"Kulturakte" auf Arte:Beethoven taumelt zwischen Straßenbahnen

Kulturakte auf Arte

Luxus, wo er hingehört: Pegah Ferydoni und Samuel Finzi als Glamourpaar Cosima und Richard.

(Foto: Falco Seliger)

Bildungsfernsehen so, wie es sein soll: Die Reihe "Kulturakte" fahndet im Stil einer Profiler-Serie nach den Geheimnissen um Richard Wagner oder Pier Paolo Pasolini. Und zeigt, wo der Gebührenluxus hingehört.

Von Claudia Tieschky

Kultur, und das ist nur wenig übertrieben, ist für das Quotenfernsehen beinah so etwas wie der Tod für die Bremer Stadtmusikanten. Sie wird in die Nachtstunden und in die Spartenprogramme geschoben, also dahin, wo es sowieso egal ist. Nur als vor knapp zwei Jahren die Akte Kleist auf Arte lief, da sah plötzlich beides, Kultur und Tod, einfach hinreißend aus. Große Überraschung: federzarte Kleidchen, helles Lachen, Fangenspiel im Birkenwald. Meret Becker und Alexander Beyer als Henriette Vogel und Heinrich von Kleist in den letzten Stunden vor ihrem Selbstmord am Kleinen Wannsee im Jahr 1811.

Es sah so leicht aus, beschwingt, so wie einst Zeugen die beiden zuletzt gesehen haben. Ja, da war die Hand vielleicht, die angedeutete Geste vom Zielen mit der Pistole beim Sich-in-die-Augensehen im lichten Wald. Was ging da vor?

Manchmal ist der Tod auch ein Meister vom Fernsehen. Für seine Kulturdokumentation hat der Berliner Produzent Christian Beetz deshalb einfach dahin geschaut, wo besonders quotenträchtig und noch dazu in rauen Mengen gestorben wird: zu den amerikanischen und deutschen Profiler-Krimis. Er hat ihre Methode angewandt, und dem Rätsel in der Geschichte den Vorrang eingeräumt. Wenn dann die Spuren ermittelt werden im Fall Kleist, sieht das aus wie in hart geschnittenen Krimi-Episoden. Nur ganz stimmt das auch nicht, denn zu den Spielszenen und Experten-Interviews kommen als drittes, eigenwilligstes Element Animationen nach Art von Story Boards oder Graphic Novels. Kurzum, die Akte Kleist mit den Autoren Simone Dobmeier, Hedwig Schmutte und Torsten Striegnitz war ein höchst überzeugender Angriffe auf die üblichen Erwartungen.

Von Richard Wagner bis Zarah Leander

Was damals nicht öffentlich bekannt war: Beetz konzipierte für sich längst schon eine Reihe in diesem Stil, Die Akte Kleist war sozusagen sein Testlauf im Birkenwäldchen. Inzwischen ist die "Kulturakte" auf fünf weitere Episoden angewachsen. Die erste, über Richard Wagner, wird zum zweihundertsten Geburtstag des Komponisten Ende Mai bei Arte (22. Mai) und dem SWR (23. Mai) laufen. Nach dem 90 Minuten langen Wagnerwahn sollen Filme über Ludwig van Beethoven, Pier Paolo Pasolini, Vincent van Gogh und Zarah Leander folgen, mit den Partnern WDR, ZDF, RBB, MDR.

Christian Beetz ist 44 Jahre alt. In seinem Büro in der Berliner Niederlassung der Gebrüder Beetz Filmproduktion (aktuell mit Lebt wohl, Genossen für den Grimme-Preis nominiert) in Prenzlauer Berg hängen Familienbilder an der Wand. Im Januar sagte er dort auf die Frage nach der Idee, um die es ihm seit 2007 geht, diesen bekannten Satz, den man so unglaublich oft hört unter den öffentlich-rechtlichen Fernsehmachern - und der mehr noch als er eine Frage ist, ein grundsätzliches Problem beschreibt. Oder vielleicht auch nur eine große Veränderung. Beetz denkt also darüber nach: "Wie erreichen wir junges Publikum mit Hochkultur?"

Große Lücke auf dem Bildungsmarkt

Eine Antwort, die er gerade ausprobiert, legt nahe, dass Christian Beetz dabei eher an eine Veränderung der Gewohnheiten als an ein wirklich ernsthaftes und unüberbrückbares Problem glaubt. Neue Geräte sind Teil seiner Antwort, und die Idee dessen, was ein Produzent herstellt, auch: Das Kulturakte-Projekt wird also nicht nur als Film für das Fernsehen gefertigt, sondern auch als App in mehreren Sprachen aufgesetzt und vertrieben.

Parallel erscheint die Graphic Novel Wagner von Andreas Völlinger und Flavia Scuderi in Kooperation mit dem Filmprojekt bei Knesebeck; die Zeichnungen sind wie bei Die Akte Kleist Teil des Films - und sie stellen auch das Gerüst für die App. Ganz einfach ist das nicht, eine App muss zum Beispiel anders gezeichnet werden als die Graphic Novel mit ihren fixen Sprechblasen. Zu den Bildern kombiniert die digitale Ausgabe Filmausschnitte, Spiele, Musik und Infos, eine Polizeiakte zum Aufklappen. Für die Apps ist Uwe Flade als Art Direktor dabei, der schon Musikvideos für Depeche Mode, Franz Ferdinand und Rammstein drehte. Und natürlich ist das alles "nicht voll finanziert", wie die übliche Umschreibung in der Branche dafür lautet, dass der Produzent erst mal eigenes Geld vorstreckt und ins Risiko geht.

"Es gibt auch einen Bildungsmarkt, auf dem sich eine große Lücke auftut", glaubt Beetz, der sich damit zumindest als Kulturoptimist erweist und auch neue Absatzmärkte für Kulturprodukte jenseits der Fernsehsender sieht: "Den Stiefel von Wagner im Museum zu zeigen, das ist einfach vorbei", findet er. "Wir wollen jung wirken, aber nicht anbiedernd, es war klar, es darf vor der Kleist-Community nicht peinlich sein".

Trotzdem ist das, was von der Kulturakte bisher zu sehen ist, vor allem eine ziemlich radikale Übersetzung von Storys in die Gegenwart. Der ertaubende Beethoven taumelt zwischen Straßenbahnen auf einer Verkehrsinsel in Berlin, mit seiner rasenden Stille im Kopf. Seine "unsterbliche Geliebte" arbeitet beim Fernsehen. Richard Wagner greift vom Flügel aus so locker zum Telefon wie der Lebemann in einer Komödie aus den 50er Jahren. Goethe würde hier vermutlich nicht nur Eisenbahn fahren, sondern sogar ICE. Warum das funktioniert? Vielleicht, weil Alexander Beyer und Meret Becker in Kleist dabei waren. Weil Samuel Finzi Wagner spielt und Lars Eidinger Beethoven. Weil es glänzt wie Fernsehen heute glänzen muss. Weil der Gebührenluxus da ist, wo er hingehört.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: