Kritik an "Wetten, dass..?":Abschalten, sofort! Oder?

Als Gast in der zweiten Ausgabe von "Wetten, dass..?" mit Markus Lanz hat sich US-Schauspieler Tom Hanks offenbar nicht wohl gefühlt. Hinterher lästerte er über das Format, wie vor ihm kaum jemand. Ist die Kritik gerechtfertigt? Ist "Wetten, dass..?" noch geeignet für den Samstagabend?

einer großen deutschen Show.

Als Tom Hanks am Samstag eine seltsame Kopfbedeckung aufsetzen und so den Parcours fürs Sackhüpfen markieren sollte, war das vielleicht etwas viel für ihn. Der Hollywood-Star war schließlich bei Wetten, dass . . ?, um seinen Film Cloud Atlas zu vermarkten. Man hätte nur nicht gedacht, dass Herr Hanks hinterher so nachtritt.

Schon in der Sendung sagte er, Moderator Markus Lanz sehe ein bisschen wie "ein schmieriger Banker" aus. "Ich habe zugeguckt, wie der Moderator in einem Sack um mich rumhüpft - wenn das nicht Hochqualitätsfernsehen ist!", zitierte der RBB-Sender Radio 88,8 Hanks. "Wenn in den USA jemand eine TV-Show macht, die vier Stunden dauert - jeder Verantwortliche wäre am nächsten Tag gefeuert." Der Bild sagte Hanks, er habe nur gehofft, dass es endlich vorbeigehe.

Hat der Mann recht? Ist die Zeit von Wetten, dass . . ? vorüber? Soll man es abschaffen? Antworten von SZ-Autoren.

Es ist vorbei

Früher empfand das Publikum Sympathie für Kandidaten, die wetteten, etwas Filigranes mit einem Traktor anstellen zu können oder etwas Gewaltiges mit ihren Schnurrbarthaaren. Früher war der einfache, linkisch lächelnde Mensch im Fernsehen eine Sensation: einer, der es irgendwie geschafft hatte. Bei der Rückkehr ins Heimatdorf spielte die Blaskapelle.

Heute singen einfache Menschen überall im TV wie erkältete Hyänen, oder sie stellen etwas Gewaltiges mit ihren Gesäßmuskeln an. Wenn einer bei Wetten dass . . ? das Wort Sexgott mit den Ohren morst, ist er nur noch einer von vielen, der bei Twitter dafür geschlachtet wird, dass ihm nichts Neues einfällt. Wie auch? Alle Wetten sind gewettet, alle Worte sind gemorst. Es ist vorbei.

Holger Gertz

Ende der Operette

Das Schlimmste an dieser schlimmen Show ist nicht der Schenkelklopferhumor auf dem Sofamonster. Es ist nicht das Senderbohei, das so tut, als wäre ein Hollywoodschauspieler im Interview heute noch eine Sensation. Es ist nicht die krampfige Smalltalk-Inszenierung zwischen echten Stars und deutschen Buntegalabildgesichtern. Barbara Schöneberger klopft Robbie Williams auf den Po? Tihi, wie frech! Nein, all das war immer schon schlimm.

Allerdings gab es da noch den Irren mit dem Leopardensakko: Gottschalk, RTL hab' ihn selig, hat die aufgeblähte Kleinbürgertragödie gerettet, weil er sie und sich letztlich nicht ernst nahm. So wurde am Ende wenigstens noch eine Operette draus. Der Neue schafft das nicht. Im Gegenteil. Robbie Williams hat ein Babyfoto mitgebracht? Oh, süß. Tom Hanks trägt Nagellack. Steht ihm!

Marc Felix Serrao

Wir Chinesen

Wetten, dass . . ? ist genauso langweilig wie vieles andere, aber immer noch besser als manches andere. Angesichts der Kritik von Tom Hanks mag man sich plötzlich wie ein Chinese fühlen. In China ist es bekanntlich unabgesprochene Gewohnheit, dass man gegenüber westlichen Journalisten nicht über das eigene Land lästert.

Genau diesen Effekt erzielt Tom Hanks mit seiner Kritik an Wetten, dass . . ? Wer ist der Mann, dass er meint, den Deutschen mitteilen zu müssen, wie lang ihre Aufmerksamkeitsspanne zu sein habe?

Franziska Augstein

Quotenschlampen

Wetten, dass . . ? muss weitergehen. Weil es nämlich automatisches Fernsehen ist, generiert vom Tagesan- und -abfall durchreisender Prominenz, angereichert durch Wetten, die kein Mensch gewinnen möchte, und mit akrobatischen Darbietungen, die kaum Kindergartenreife erreichen, aber gesellschaftspolitisch noch wertvoller sind als die SPD. Wetten, dass . . ? hält die Leute von der Straße, auf der sie sonst womöglich besengt Auto fahren oder auf Pseudo-Italienisch beim Luigi einen überteuerten Wein bestellen würden.

Wetten, dass . . ? ist Fernsehen, wie man es sonst nie so schön auf einen Haufen kriegt: ein unbezahlbares Stelldichein von Quotenschlampen und Quatschbirnen, angeführt von einem Showmaster, der nichts meistert, aber dafür das Hemd offen hat, bei dem die Stars endlich genauso blöd ausschauen wie die Wettkönige, und das Saalpublikum sich selber begeistert applaudiert. Und schließlich: Wo sonst gäbe es Gelegenheit, sich ewig, aber nie länger als drei Tage dabei aufzuhalten, wie schlimm die letzte Sendung wieder war?

Willi Winkler

Finale Wette, jetzt!

Was ist der Unterschied zwischen einem ausgeschalteten Fernseher und einem, auf dem Wetten, dass . . ? läuft? Antwort: jetzt keiner mehr. Das Prinzip der Sendung war die Unverhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck. War. Denn bei einer Wetten, dass . . ?-Wette wurden nicht Eier gepellt, sondern rohe Eier von einem Bulldozer. Oder Steaks gebraten auf der Außenhaut einer Raumkapsel bei Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Gut für die immer gute Quote.

Doch dieses ganze Gelanze, die Veräppelung von Stars, die früh "zum Flieger" müssen; dieses scheinheilig-heimelige Lagerfeuergetue . . . all das ist jetzt unverhältnismäßig verhältnismäßig. Weil ein Jegliches seine Zeit hat und dann nicht mehr, muss Wetten, dass . . ? mit dem finalen Wett-Akt in einem Schwarzen Loch versenkt werden. Ultimative Quote!

Bernd Graff

Den "Tatort" auch!

Ja, abschaffen. Sofort. Weil die Gäste so albern wirken wie die Wetten. Die Länge ist ebenso inakzeptabel wie die Interviews, die beliebig (Gottschalk) oder schwer schleimig (Lanz) wirken. Alles an dieser Show widerspricht dem Fernsehlehrbuch. Allerdings sollte vor der Abschaffung bedacht werden, dass Wetten, dass . . ? gelerntes Fernsehen ist, das sich längst abgekoppelt hat von seinem Inhalt. Das wird geguckt, weil es immer schon da war und weil es wirkt, als würde es nie verschwinden.

Wer diese Sendung abschafft, stellt sich gegen das deutsche Fernsehen, das als Zoo für Dinosaurier geformt wurde und gerade deshalb so beliebt ist. Wer mit der Abschaffung von Wetten, dass . . ? anfängt, muss auch andere Dinos töten. Es gibt da noch den Tatort, die Sportschau und, und, und . . .

Hans Hoff

Hühnerhaut

Nö, nicht abschaffen. Wetten, dass . . ? ist Entspannungsfernsehen. Es plätschert. Es stört nicht. Es ist Zirkus, aber zwingt einen nicht, dauernd hinzuschauen. Man kann eine Weile nach nebenan in die Küche gehen, Ragout kochen, eine Hühnerhaut mit Knoblauch ausstopfen oder, wenn man ordentliche hätte, auch mit Trüffeln, und nachdenken, was es an Weihnachten zu essen geben soll.

Bei der Rückkehr wird der Mann auf dem Wohnzimmersofa immer noch vor dem laufenden Fernseher in "Technik und Motor" von vergangenem Dienstag lesen. Es ist ganz erstaunlich, wie wenig der Wechsel von Gottschalk zu Lanz eigentlich verändert hat.

Claudia Tieschky

Das Fossil lebt

Die Kritiker waren sich einig nach der ersten Sendung mit dem Neuen: "Politikergrau sein Anzug, unkontrolliert sein Hyänenlachen", hieß es. Oder: "Es wird ihm naturgemäß keine Schwierigkeiten bereiten, Wetten, dass . . ? völlig zu ruinieren." So unerbittlich urteilten die Rezensenten - damals, im Herbst 1992, als Wolfgang Lippert die Moderation von Thomas Gottschalk übernahm. Das ist die verlässlichste Konstante bei Wetten, dass . . ?: dass die Sendung von allen bodenlos schlecht gefunden wird.

Natürlich, die komplette Abwesenheit von Witz und Charme im Auftreten von Lanz ist schwer auszuhalten. Aber sie folgt der kompletten Abwesenheit von Witz und Charme im Auftreten von Elstner, Lippert und dem späten Gottschalk. Wetten, dass . . ? hat sich immer überlebt, seit fast 30 Jahren. Aber wir müssen die Show weiterhin einschalten, weil sie die Sehnsucht nach einer Zeit stillt, in der es im Fernsehen noch keine Wahl gab.

Andreas Bernard

Auf Bewährung

Dass eine anachronistische Sendung durchaus Berechtigung hat, zeigt seit 1963 Das aktuelle Sportstudio. Das Gefühl zuzuschauen, ähnelt dem Gefühl vor 20 Jahren auf speckigen Sofas. Ergo: Alte Sendungen müssen nicht alt aussehen, was daran liegt, dass sich Fußball an alle Menschen gleich gut verkaufen lässt.

Dem entgegengesetzt verhält es sich mit Wetten, dass . . ? und anderen Nachkriegsspielen wie Sackhüpfen. In der Form wie zuletzt aufgetragen, plädiert jeder an US-Unterhaltung gewöhnte Mensch für ein Lebewohl, das Joachim-Fuchsberger-Publikum von einst für den Erhalt. Das Format steckt in einer Zwickmühle, weil es sich an alle Seher richtet. Jemand muss es da rausholen. Frei auf Bewährung - noch.

Marco Maurer

Urknall

Wetten dass . . ? war die Show von Thomas Gottschalk. Diese Sendung war immer wie ein Homunkulus, aus Teilen zusammengesetzt, die nicht wirklich zusammenpassen: da ein Gast, da eine Wette, ein Lied, Gewitzel auf der Couch oder auch mal betretenes Schweigen.

Mittendrin aber war der Urknall, der diese Sendung zusammenhielt, die in all ihren seltsamen Teilen um Gottschalks Riesenego herumflog, das wie eine schlecht angezogene Sonne die Planeten auf ihrer Bahn hielt. Sonst: kalauern, Späßchen machen, flirten, beim Interview nicht richtig zuhören, Rockstars anschwärmen, die Kandidaten bewundern und veräppeln. Ob er nun Lanz oder Lippert heißt: abschalten, und zwar für immer. Bis Gottschalk wiederkommt. Oder Raab.

Harald Hordych

Der Deal

Die Sendung ist mir wurscht. Ich fände es natürlich toll, wenn das ZDF samstags um 20.15 Uhr die BBC-Sendung Later with Jools Holland ausstrahlt, in der gute Bands spielen und dann mit Jools Holland reden. Man könnte die Sendung - von einem klugen, nicht unkomischen Menschen wie Jörg Thadeusz moderiert - natürlich auch adaptieren.

Dazu wird es nie kommen. Der Grund: Eher ändert sich Weißrussland als das ZDF. Later with Jools Holland versendet das ZDF in einem seiner exakt 3000 Spartenkanäle. 10 Mio Deutsche wollen Wetten, dass . . ? sehen, eine Sendung, in der, wie man hört, keine Babys gefoltert werden. Ergo: weitersenden! Der Deal: Mir ist Wetten, dass . . ? wurscht, dem ZDF ist Jools Holland wurscht. Kürzer: Mir ist das ZDF wurscht, ich bin dem ZDF wurscht. Ideal ist das nicht. Aber es ist immerhin etwas in einer schlechten Welt.

Alexander Gorkow

Was sie wollen

Ja, ich kenne den Witz mit den Millionen Fliegen, die nicht irren können, und Verdauungsübrigbleibsel deshalb eine leckere Mahlzeit sein müssen. Mainstream ist pfui, Quotenfieber das Gegenteil von anspruchsvollem Fernsehen, und die verzweifelten Hausfrauen am RTL-Nachmittag haben auch immer ganz viele Zuschauer.

Trotzdem: 10,74 Millionen Menschen haben am vergangenen Samstag lieber Lanz und seine Couchbesucher gesehen als Thomas Gottschalk beim Supertalent oder einen ARD-Thriller. Wer und was gezeigt wird, bestimmt auch das Publikum. Und das gilt übrigens auch für Tom Hanks.

Katharina Riehl

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