Kritik am deutschen Fernsehfilm:Woher der öffentlich-rechtliche Kitsch kommt

Es wird viel gejammert über die Qualität des deutschen Fernsehfilms. Was ARD und ZDF produzieren, ist oft nur kitschiges Quoten-TV. Woher kommt dieses Elend, warum wird es einfach nicht besser? Ganz einfach: Weil der Fernsehfilm sich verkauft hat - in vielerlei Hinsicht.

Christopher Keil

Irgendeine deutsche Serie, die im Ausland interessiert, die ins Ausland verkauft wurde? Jede Menge. Früher war es Derrick, heute ist es zum Beispiel Alarm für Cobra 11 (in 110 Länder) oder Europas angeblich erfolgreichste Krimiserie, die inzwischen in Italien produziert wird: Kommissar Rex.

Neustart Serie 'Forsthaus Falkenau'

Das Grauen in quietschbunten Farben: Die ZDF-Serie "Forsthaus Falkenau" ist eines der glattgebügelten Quotendinger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

(Foto: dpa)

Serien wie Sopranos, The Wire, Mad Men, Grey's Anatomy, Little Britain, Prime Suspect, Shameless oder Dr. House stammen nicht aus Deutschland. Von den Deutschen erwartet die Welt die besten Autos und Maschinen, nicht die besten Filme und Serien. Doch die Deutschen erwarten von ihrem Fernsehen die besten Filme und Serien, besonders vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das hinsichtlich seiner Budgetgröße und Arbeitsplatzsicherung weltweit einmalig ist. Gemessen daran, kommt kaum Bestes heraus.

Als nationale AAA-Serie kann nur der Tatort gelten, weil sich in ihm Publikumszuspruch und handwerkliche Qualität, Risikobereitschaft und Sender-Bewusstsein nicht ausschließen. Deshalb gibt es den Tatort, der 1970 eingeführt wurde, noch - und auch, weil er der einzige fiktionale Spiegel des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist, in dem sich mittlerweile die fünfte Generation gerne betrachtet.

Woran liegt es, dass sich der deutsche Fernsehfilm, über Ausnahmen hinweg, entweder an der Banalität seiner Stoffe, Dramaturgien und Darstellungen berauscht oder in der Kompliziertheit sozialer Themen und Metaphern verliert? Warum gelingt es ausnehmend selten, eine Geschichte seriell oder einzeln so zu erzählen, dass sie nicht verraten wird an den Massengeschmack? Und warum ist das Gegenteil vom Massengeschmack so häufig wütende künstlerische Engstirnigkeit, die sich dem Publikum verweigert?

Wenn man die Entwicklung des Fernsehfilms bei ARD und ZDF seit den späten sechziger Jahren richtig verstanden hat, gab es am Anfang Freiheit: Freiheit für Regisseure, für Produzenten und Redakteure. Daraus hat sich eine Fernsehfilmkultur der Lust, des Ausprobierens, der Grenzüberschreitungen entwickelt, auch mit Marken wie dem Kleinen Fernsehspiel. ARD und ZDF waren Monopolisten einer modernen Unterhaltungsindustrie und die Verantwortlichen sich der Bedeutung eines grundgesetzlich beauftragten Rundfunks bewusst: Fernsehfilm sollte und durfte Kultur sein.

Mit dem Start der Privaten veränderte sich alles

Über Kultur wurde gestritten. Der Freiraum für Auseinandersetzungen entstand nicht nur, weil früher niemand so genau wusste, was ein Fernsehfilm sein sollte und wollte. Es gab ein Grundverständnis für das, was eine fiktionale Arbeit im Gegensatz zu einer Gesprächsrunde, einer Nachrichten- oder einer Rate-Sendung sein sollte: künstlerischer Ausdruck in einem Massenmedium, das in Konkurrenz zum Theater oder dem Kino neue Formen und eigene Stile suchte und brauchte.

Mit dem Eintritt des privaten Fernsehens 1984 hat sich nicht nur der Charakter des Systems verändert, das ein Duopol wurde, es hat sich auch der Charakter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verändert. Der Fehler von ARD und ZDF ist es gewesen, sich dem Kommerz-TV in beinahe jedem Genre angenähert zu haben, statt die Unterschiede zu betonen oder sie zu schärfen, etwa beim Fernsehfilm - auch bei dem, der gezielt und aus dem Selbstverständnis eines Unterhaltungsmediums auf Zerstreuung und Ablenkung zielt. Der öffentlich-rechtliche und der private Rundfunk koexistieren in einer Währungsunion, ihr beider Zahlungsmittel ist: die Quote.

Heute entstehen Fernsehfilme deshalb als Produkte für Zielgruppen. Die Ausrichtung auf den Marktanteilsprofit hat die Freiräume durch Vorgaben bis hin zu Kamera-Einstellungen ersetzt. Der Redakteur handelt wie ein Unternehmer, allerdings mit geliehenem Geld. Produzenten müssen Ideen wie Marketingmanager verkaufen. Die Besetzung folgt einer angenommenen Quotentauglichkeit. Künstlerische Ambition wurde durch Angst ersetzt, der Angst, am Markt zu versagen.

Natürlich gibt es gute TV-Fiktion. Das sind aber oft Filme, die sich das System trotzdem leistet, womit es nur eines zeigt: seine Macht.

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