Kriegsfotografin Anja Niedringhaus:"Keiner würde sagen: Hör auf damit!"

Anja Niedringhaus

Die Fotografin Anja Niedringhaus während einer Ausstellung ihrer Arbeiten in Berlin, 2011.

(Foto: dpa)

An die Gewalt gewöhnt man sich nie: Die deutsche Kriegsfotografin, die in Afghanistan erschossen wurde, war mehr als zwanzig Jahre lang in Krisengebieten unterwegs. In einem ihrer letzten Interviews spricht Anja Niedringhaus über die grenzenlose Offenheit der Afghanen, ihre Motive und die Angst vor dem Tod.

Von Hanna Gieffers

Die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus ist am Freitag in Afghanistan ums Leben gekommen.

11. März 2014, die Skype-Verbindung nach Afghanistan steht, nur ab und zu werden einige Worte verschluckt. Anja Niedringhaus ist gerade aus dem Süden des Landes nach Kabul zurückgekommen. Ihre Stimme klingt leicht verzerrt, im Hintergrund hört man Autos vorbeifahren. Sie redet schnell, Zwischenfragen zu stellen ist schwer.

Es gehe ihr gut, sagt sie, am Vormittag habe sie Frauen im Parlament getroffen, die sie für eine Fotoreihe über weibliche Abgeordnete porträtieren wird. Immer wieder lenkt sie das Gespräch auf die Warmherzigkeit der Afghanen, die sie ständig aufs Neue beeindruckt. Sie lache eigentlich jeden Tag in Afghanistan, auch wenn die Sicherheitslage momentan schwierig sei.

Anja Niedringhaus wurde für "brutal", das Abschlussmagazin der 52. Kompaktklasse der Deutschen Journalistenschule interviewt.

SZ: Frau Niedringhaus, seit mehr als 20 Jahren fotografieren Sie in den gefährlichsten Krisengebieten der Erde. Welche Rolle spielt Gewalt aktuell für Sie?

Anja Niedringhaus: Vor einer Woche wurde ein schwedischer Kollege erschossen. Mittags, 500 Meter von unserem Büro entfernt. Wir wissen noch nicht, ob er nur zur falschen Zeit am falschen Ort war - oder ob irgendwelche Leute ihn auf einer Liste hatten.

Wie verarbeiten Sie so etwas?

Ich passe auf, dass ich nicht zu viele Emotionen hineinbringe. Immer wieder mache ich mir bewusst, dass ich nicht die Hauptfigur bin. Ich soll nur draußen stehen und erzählen. Außerdem spreche ich viel mit Kollegen, um mir Sachen von der Seele zu reden. Manchmal versteht man erst viel später, beim Editieren der Fotos, was man überhaupt gesehen hat. Die Szenen kommen dann mit voller Wucht zurück. Da muss man aufpassen.

Sie haben einmal gesagt, Ihre Kamera sei Ihr Schutz. Wie meinten Sie das?

In brenzligen Situationen und bei harten Szenen konzentriere ich mich auf meine Kamera. Mit einem Kollegen war ich im Herbst 2004 bei der "Operation Morgendämmerung" im Irak dabei. Die amerikanischen Truppen haben die Stadt Falludscha im Häuserkampf eingenommen. Ich habe viele Soldaten sterben sehen. Mir tat mein Kollege leid, der nur einen Block und einen Stift in der Hand hatte. Darüber zu schreiben, das hätte ich nicht gut gekonnt.

Sie reisen seit 13 Jahren regelmäßig nach Afghanistan. Was ist das Besondere an diesem Land?

Ich treffe jeden Tag neue Menschen, die mich verwundern und bei denen ich mir denke: Meine Güte, was bin ich für eine kleine Nuss. Ich erlebe Wesenszüge, die bei uns fast nicht mehr existieren - Dinge zu teilen etwa, oder grenzenlose Offenheit. Wie oft habe ich schon bei Familien geschlafen, die mir einfach Schutz auf dem Boden angeboten haben! Die kennen mich doch gar nicht. Das überwältigt mich jedes Mal. Kriegsfotografin zu sein ist für mich mehr, als mich sieben Monate im Jahr von Schützengraben zu Schützengraben zu wälzen.

Welche Geschichten erzählen Sie mit Ihren Fotos aus Afghanistan?

Kriege und Krisen haben viele Facetten, die man beleuchten muss. Doch die interessanten Geschichten passieren oft nicht im Feuergefecht. Ich bin viel mehr am Leben der Leute vor Ort interessiert als an der Ballerei. Ich sitze sicher nicht hier und warte auf den nächsten Anschlag.

Warum sind Sie Kriegsfotografin geworden?

Das Wunderbare an diesem Beruf ist, dass ich Zeitzeugin bin. Ich kann das kollektive Gedächtnis mitprägen. Außerdem mag ich es, mich mit einer Materie zu beschäftigen, die ich noch nicht kenne. Im Krieg ist jede Situation anders. Ich gehe an meine Grenzen und lerne mich viel besser kennen. Psychisch und auch körperlich.

Wie beeinflusst der Beruf Ihr Leben?

Ich gebe einen Großteil meines Privatlebens auf. Ich bin sechs, manchmal acht Monate im Jahr auf Reisen. Trotzdem muss ich nicht alle zehn Minuten jedem erzählen, was für ein toller Hecht ich bin. Vielleicht bin ich auch gar kein toller Hecht, sondern laufe vor irgendetwas weg. Kriegsfotografin zu sein ist mehr als ein Beruf, wenn man ihn so intensiv macht wie ich. Aber ich bin glücklich damit.

Hatten Sie nie Zweifel?

Nein, an meinem Job überhaupt nicht. Aber ich habe massive Zweifel am Journalismus, wie er heute betrieben wird. Zum Glück gibt man mir bei der AP den Freiraum, regelmäßig nach Afghanistan zu reisen. Aber natürlich sehe ich Einschnitte. Wenn ich meinen Chefs eine Idee vorstelle, fragen sie zuerst nach den Kosten.

Hat Ihr Beruf Ihren Blick auf den Krieg verändert?

Ja, sehr. Wir glauben im Westen immer noch, dass man Frieden mit Militär und Waffen herstellen kann. Aber damit erreicht man nichts. Ich bin zur größten Pazifistin geworden, seit ich in diesen Gebieten arbeite. Mit Panzern löst man keine Probleme.

Wie viel vom Krieg nehmen Sie mit nach Deutschland, wenn Sie von Ihren Einsätzen zurückfliegen?

Wenn ich im Flugzeug sitze, ist der Job für mich abgeschlossen. Ich möchte möglichst wenig von meinem Beruf mit nach Hause nehmen. Ich erzähle deutschen Kindern Geschichten von afghanischen Kindern, die Wasserkanister schleppen müssen. Aber ich würde nie zurückkommen und nur noch vom Krieg reden.

Haben Sie noch Angst, wenn Sie in Krisenregionen fotografieren?

Für mich bleibt Gewalt unnormal - wenn ich den Krieg sehe, wenn Bomben hochgehen. Das ist gut so. Würde ich dieses Gefühl verlieren, dürfte ich nicht mehr arbeiten. Wenn man keine Angst hat, stimmt etwas nicht. Aber ich versuche, eine Balance zu finden, damit die Angst mich nicht lähmt. Denn der Mut, den ich bis dahin hatte, wäre dann umsonst gewesen. Ich hätte das Gefühl zu versagen, wenn ich keine Fotos machen würde.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Der Tod holt mich ein, wenn gute Kollegen sterben. Dann frage ich mich, ob es das wert ist. Aber keiner der nahen Freunde, die ich verloren habe, würde sagen: 'Hör auf damit!' Keiner. Und keiner von denen hätte aufgehört. Solange ich nicht müde werde und das, was ich täglich sehe, nicht als normal empfinde, mache ich weiter.

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