Krautreporter:"Der Osten wird gerade ein zweites Mal entdeckt"

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Das Online-Magazin "Krautreporter" plant eine neue Lokalausgabe in Sachsen. Reporter Josa Mania-Schlegel erzählt, warum es Redaktionen derzeit ostwärts zieht.

Interview von Runa Behr

Seit der Gründung vor vier Jahren veröffentlicht das Online-Magazin Krautreporter Reportagen und Hintergrundberichte über Deutschland und das Weltgeschehen. Geschrieben wurden die bisher vornehmlich aus dem Büro in Berlin. Jetzt ist die erste Regionalausgabe geplant - in Sachsen. Weil sich Krautreporter ausschließlich über Mitgliedsbeiträge finanziert, sind für den geplanten Ausbau mindestens 200 Unterstützer notwendig. Ein Viertel davon war bis Dienstag mit fünf Euro pro Monat dabei. Kommen genug Leser zusammen, starten die Redakteure Josa Mania-Schlegel und Christian Gesellmann die neue Lokalausgabe von, mit und über Sachsen.

SZ: Warum brauchen die Krautreporter unbedingt eine Sachsen-Redaktion?

Josa Mania-Schlegel: Mein Kollege Christian Gesellmann hat bei Facebook die Gruppe "Mensch, Sachsen" gegründet, um sich mit Menschen über Rechtspopulismus in Ostdeutschland auszutauschen. Ziemlich bald kam die Erkenntnis, dass es im Osten mehr zu besprechen gibt als nur Rechtspopulismus. Ich bin überzeugt, dass durch so ziemlich jedes Thema, das die Bundesrepublik bewegt, immer noch eine Grenze zwischen Ost und West verläuft. Sei es Hartz IV, Renten, Gehälter oder Essgewohnheiten und Popmusik. Diese Grenze würden wir gern entdecken - oder hinterfragen.

Braucht Sachsen eine Regionalausgabe dringender als andere Bundesländer?

Ja, absolut. Ich würde das vielleicht sogar so formulieren: Ostdeutschland braucht das. Ostdeutsche Probleme unterscheiden sich stärker von westdeutschen, als nord- von süddeutschen. Der Ost-West-Konflikt ist der drängendste, da kann kein anderer innerdeutscher Konflikt mithalten. All die Symptome und Probleme des Ostens existieren natürlich auch in Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Brandenburg, aber gerade in Sachsen kochen sie immer wieder hoch, hier ist das einfach am spürbarsten.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit, wie Sie sie vorhaben, von der ostdeutscher Tageszeitungen?

Die Lokalzeitungen arbeiten viel kleinteiliger, die können nicht einfach mal drei Zeitungsseiten freimachen für eine riesige Reportage aus dem Erzgebirge. Wir setzen genau auf diese großen, erklärenden Stücke, das ergänzt sich ganz gut. Außerdem machen wir Bürgerjournalismus, indem wir unseren Lesern quasi die redaktionelle Mitarbeit anbieten. Sei es bei der Themenfindung oder mit Interviewfragen an Politiker. Wir spüren Gefühlen nach, die unsere Leser artikulieren, aber nicht unbedingt belegen können.

Ostdeutschland ist in den Medien momentan ein großes Thema.

Der Osten wird gerade ein zweites Mal entdeckt, habe ich das Gefühl. Die großen Medien haben mittlerweile Ostkorrespondenten. Neu ist, dass es ostdeutsche Themen gerade in die Mitte der bundespolitischen Debatte schaffen, also raus aus den Lokalbeilagen und rein ins Hauptblatt. Nach der Bundestagswahl ging es darum, wer ist der wütende, ostdeutsche Mann, der die AfD wählt. Danach die Debatte, warum kein Ossi ein Ministerium bekommt und dann wurde Franziska Giffey Familienministerin. Wer als Autor oder Intellektueller etwas auf sich hält, schreibt jetzt seinen großen Ost-Essay oder stellt eine provokante Ostdeutschland-These auf. Das ist eine große Chance, weil in den 28 Jahren seit dem Mauerfall über unglaublich viel überhaupt nicht geredet wurde, aber weiterhin ostdeutsche Erfahrungen gemacht wurden. In den frühen Neunzigerjahren hat man viel über Ostdeutschland als Region geredet. Mit der Gründung der neuen Bundesländer dann eher über die einzelnen Länder, da verschwand der Begriff Ostdeutschland wieder aus den Medien. Jetzt kommt er zurück, und ich habe das Gefühl, es schält sich da eine neue Identität heraus: Man fühlt sich nicht mehr so sehr als Thüringer oder Sachse, sondern wieder als Ostdeutscher.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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