Kölner "Tatort":Wie viel Feingefühl braucht ein Kommissar?

Tatort: Mitgehangen; Tatort Mitgehangen WDR Köln

Ist er ein Mörder? Für Kommissar Ballauf (r.) ist die Antwort klar - und Matthes Grevel dringend tatverdächtig.

(Foto: WDR/Thomas Kost)

Im Kölner "Tatort" hält Max Ballauf verbissen an einem Verdacht fest - und will damit seine persönliche Krise überwinden.

Von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

"Mitgehangen" handelt auf zwei Ebenen von einer Krise. Max Ballauf zweifelt an seiner Arbeit und ein Familienvater gerät unter Mordverdacht. Als beides auf ungute Weise zusammenfällt, stellen sich Fragen: Wie viel kann eine Familie aushalten? Und wie viel Feingefühl braucht ein Kommissar? Allein schon, weil er diese Probleme aufwirft, lohnt sich der Kölner Tatort.

Darum geht es:

In einem Kölner Baggersee finden Taucher ein versenktes Auto. Im Kofferraum liegt die Leiche von Florin Baciu, dem Teilhaber eines Reifenhändlers. Baciu war bei seinen Kollegen nicht besonders beliebt und seinem Geschäftspartner Matthes Grevel soll er auf der Nase herumgetanzt haben. Kommissar Ballauf ist sich bald sicher, dass Grevel es war, der Baciu in der Halle des Reifenhandels erschossen hat. Allerdings haben die Kölner Ermittler nur Indizien, keine Beweise. Ballauf ist das egal. Er führt Grevel vor den Augen seiner Familie ab, veranlasst eine Hausdurchsuchung und lässt ihm schließlich in Untersuchungshaft ein manipuliertes Handy zukommen, um ihn abzuhören. Mit all dem kommen Mutter Grevel und die beiden Kinder schwer klar, sie schreien sich an, zerdeppern Geschirr und können sich bald nicht mal mehr in den Arm nehmen. Aber Ballauf stößt mit seinen vehementen Maßnahmen nicht nur Familie Grevel vor den Kopf, sondern auch seinen langjährigen Kollegen Schenk.

Bezeichnender Dialog:

In einem Gespräch mit den Kommissaren und seinem Anwalt ist Grevel gerade ausgerastet. Nun sitzt er erschöpft vor Ballauf, der dem Verdächtigen droht, dessen Familie zu vernehmen.

Grevel: Lassen Sie meine Familie in Ruhe. Haben Sie eine minimale Ahnung davon, was Sie hier kaputtmachen?

Ballauf schweigt.

Schenk: Nein, hat er nicht. Der Kollege hat keine Familie.

Mit dieser Reaktion hat Ballauf nicht gerechnet. Er schnaubt ungläubig und verlässt den Raum.

Flop:

Mal wieder ist ein Kommissar in der Krise und mal wieder wirkt die Krise lieblos inszeniert. Es ist nur mäßig überzeugend, wie Ballauf auf einmal Schwimm-Fachzeitschriften liest und in der Mittagspause lieber ein paar Bahnen krault als mit Schenk Currywurst zu essen. Ähnlich verbissen wie er sich ins Training stürzt, verdächtigt der Kommissar Matthes Grevel und lässt keine Zweifel zu. Zum ansonsten so besonnenen Ballauf passt das nicht. War aber halt wichtig für die Handlung.

Top:

Die Eröffnungsszene. Die Kommissare finden einen Mann erhängt in seiner Gefängniszelle vor. Während Ballauf nur ein "Scheiße" rausbringt, ätzt Schenk seinem Kollegen ein verächtliches "weichgekocht" zu und stürmt wütend davon. Cut. Der Fall geht los. Aber eines ist da schon klar: Der Erhängte ist Matthes Grevel. Mit diesem Detail im Hinterkopf ahnt der Zuschauer die ganze Zeit, welch tragische Folge Ballaufs "Weichkochen" haben wird. Ihre volle Wucht entfaltet die Szene jedoch, als sie gegen Ende noch einmal läuft.

Bester Auftritt:

Mal küsst er seine Ehefrau liebevoll und geht mit seinem Sohn angeln, dann fährt Matthes Grevel die Kommissare unvermittelt an, blinzelt oft und atmet schnell, fast schon panisch. Zunächst gibt er sich ahnungslos, später unbeirrbar. Dann, als Ballauf ihn immer mehr unter Druck setzt, zerbricht langsam etwas in ihm. In U-Haft schließlich verliert Grevel schnell die Beherrschung, schreit Mithäftlinge an, seine Stimme zittert, wenn er spricht. Grevels ganze Verzweiflung offenbart sich, als er mit seiner Ehefrau während der Besuchszeit Sex hat. Seine Züge verzerren sich, in ihnen spiegelt sich nicht Lust oder Leidenschaft, sondern Wut und Brutalität. Kathrin Grevel scheint er als Menschen nicht mehr wahrzunehmen, auf ihre Zeichen reagiert er nicht, stattdessen wirft er sie wie ein Stück Fleisch von einer Seite auf die andere. Auch als sie sich weinend die Stirn hält, stößt Grevel noch brutal zu. Moritz Grove spielt diesen verzweifelten Reifenhändler, der einem Kollegen zufolge zu gut für diese Welt sein soll, überzeugend facettenreich. Mal findet man ihn sympathisch, dann hat man Angst vor ihm. Und zwischendurch Mitleid.

Schlusspointe:

Mit seinem Kollegen Schenk sitzt Ballauf im Schwimmbad und sinniert darüber, was ihm als jungem Mann an der Polizeischule eingebläut wurde: "Du wirst nie gerufen, wenn alles gut ist. (...) Du wirst immer nur gerufen, wenn alles scheiße ist." Dann zückt Schenk die Stoppuhr. Und Ballauf springt. Er will noch einmal an seine Bestzeit herankommen. Und vielleicht noch einmal an bessere Zeiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: