Kleine Typologie der Fernbedienung:Bei Taste fünf wird's duster

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Wer zappt, der ist auf der Suche. Ohne Rast, ohne Ziel, von einer Sendung zur anderen. Die Fernbedienung ist dabei ein treuer Begleiter: Sie gibt Orientierung in einer Welt, der die Ordnung abhandengekommen ist. Und so ist die Frage, welche Sender auf welchen Tasten liegen, alles andere als banal. Denn in der Fernbedienung spiegelt sich die Seele des Zuschauers.

Typologie.

Der Seichte

Wer zappt, der sucht. Die Tastaturbelegung auf Ihrer Fernbedienung gibt über die Präferenzen bei dieser Fahndung Auskunft. (Foto: dpa)

RTL II liegt vorn, dann folgen Sat 1, Pro 7 und RTL. Bei Taste fünf wird's duster. Da lag bis vor kurzem noch 9Live, weil auch der Seichte mal ein bisschen mitdenken will, wenn er vor der Kiste hockt. Privatfernsehen also, sagen manche. Unterschichtenfernsehen, hat Harald Schmidt mal gesagt. Das war als Seitenhieb gegen seinen früheren Arbeitgeber Sat 1 gedacht, als der Entertainer schon bei der ARD war. Und der Stich saß. Erhöht schließlich nicht gerade die Chancen, Werbeplätze zu verticken, wenn man den Anzeigenkunden sagt, dass die dann ohnehin nur Leute ohne Geld zu Gesicht bekommen.

Es stimmt, dass Arbeitslose im Schnitt deutlich mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen als Akademiker. Aber es gibt durchaus auch promovierte Soziologen, die bei "Frauentausch" einschalten. Nur würden sie das natürlich nie in der Öffentlichkeit zugeben. Statt dessen beteuern sie, dass sie ohnehin nur noch amerikanische Serie auf DVD schauen. Den Seichten mit Hochschulabschluss erkennt man eben erst an der Tastenbelegung seiner Fernbedienung.

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Michael König.

Mit der Taste vier beginnt die Unsicherheit. Dass die Programmplätze eins bis drei mit ARD, ZDF und dem Dritten belegt sind, ist für viele Fernsehzuschauer so selbstverständlich wie ein CSU-Ministerpräsident in Bayern - wobei die Taste fürs Dritte mittlerweile nur noch so selbstverständlich ist wie ein CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg.

Doch was kommt dann? Seit 1984 gibt es mehr als nur drei Sender, doch eine eindeutige Reihenfolge hat sich nicht herauskristallisiert. Wer etwas auf sein Bildungsbürgertum gibt, schiebt 3sat, Arte & Co. nach vorne.

Die meisten aber sortieren sich irgendwie die Sender der RTL-Gruppe und der ProSiebenSat.1 Media AG zurecht, wobei nur Pro Sieben einen klaren Platz beanspruchen darf. Eine clevere Idee für die Problematik hatten vor ein paar Jahren findige Fernsehmanager. Sie tauften ihren Sender "Das Vierte" - doch die Hoffnung auf einen sicheren Platz war vergebens. Der Marktanteil betrug im abgelaufenen Jahr lediglich 0,2 Prozent. Und bei den meisten Fernsehzuschauern findet sich "Das Vierte" höchstens auf der Taste 14 oder 40.

Eurosport und Sport1 und, ja, und sonst eigentlich nichts - gerade mal zwei Sportsender gibt es in Deutschlands Fernsehen. Doch wer daraus schließen möchte, dass es Sportfreaks bei der Belegung der Fernbedienung leicht haben, der irrt. Denn die wichtigsten Sportveranstaltungen laufen ja überall, nur nicht auf den beiden Sportsendern.

Und so muss sich der Sportfreak erstmal durch die vertrackte Sportrechtelage kämpfen - und dann auch noch entscheiden, für welchen Platz auf der Fernbedienung sich das regelmäßige Champions-League-Topspiel qualifiziert.

Außerdem gibt es für den Sportfreak noch eine ganz entscheidende Taste - jene, mit der er auf den digitalen Abo-Sender Sky umschalten kann. Und die Steuerung durch diese Sonder-Welt mit all ihren Optionen ist noch einmal ein Fall für sich: Kameraperspektive eins oder Kameraperspektive zwei? Konferenz oder Einzelspiel? Original-Kommentar, Stadion-Atmosphäre oder gänzliche Stille?

Da ist keine Zeit mehr, sich um die spezielle Belegung einzelner Tasten Gedanken zu machen.

Super RTL ganz vorn, ZDF erst auf Platz 20 und mittendrin Kinderkanal, Phoenix, Vox und Kabel eins. Es steckt keine Logik dahinter - außer dieser: Der automatische Suchdurchlauf hat die Sender so angeordnet.

Irgendwann einmal, als der Fernseher angeschlossen wurde. Die Kiste selbst steht natürlich auch schon seit 15 Jahren im Wohnzimmer. Seither hat sich die Technik weiterentwickelt. Moderne Geräte sorgen selbstständig für Ordnung: Platz eins gehört dem Ersten, mit der zweiten Taste sieht man besser und so weiter.

Aber Änderungen, das ist eben nicht jedermanns Sache. Viel zu anstrengend. Selbst wenn's das Leben letztlich leichter macht. Man also nicht jedes Mal knapp vor Beginn der Tagesthemen überlegen müsste, wo die ARD liegt. Erst einmal müsste man sich aber aufraffen. Und so sehr stört das Kuddelmuddel dann doch nicht.

Der Pragmatiker entscheidet für den Moment. Kommt durchaus auch mal vor, dass er die Fernbedienung liegen lässt, weil die Batterien leer sind. Ist doch eigentlich ganz praktisch, sagt er sich dann, so ein bisschen Bewegung vor dem Fernseher.

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Eine Welt ohne Fernbedienungen, das wäre für viele Mediziner doch wirklich eine wünschenswerte Variante. Die Menschen könnten dann nicht mehr die ganze Zeit auf der Couch herumlungern, sondern müssten zum Fernsehgerät selbst gehen, um den Sender zu wechseln - und das wäre natürlich für den Körper im allgemeinen (mehr Bewegung!) und die Augen im Speziellen (weniger Zappen!) sehr förderlich.

Nun verzichten in der Tat immer mehr Menschen auf die Fernbedienung - weil immer mehr Menschen generell auf einen Fernseher verzichten. Erstens heißt der beste Fernsehsender der Welt ohnehin längst Youtube. Und zweitens konsumiert der moderne Mensch sein Programm via TV-Karte am Computer oder Live-Stream-Seiten wie zattoo.tv.

Da gibt es im Zweifel mehr Sender, und zudem muss sich niemand Gedanken um die Sortierung der Programme machen. Die sind dort einfach in einer alphabetischen Liste niedergeschrieben. Ob diese Art des Fernsehkonsums allerdings zu mehr Bewegung und weniger Zappen führt, sei mal dahingestellt.

© SZ vom 27.8.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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