"Kasimir und Karoline" auf Arte:Bilder, die man saufen kann

Nach einem ziemlich brutalen Oktoberfestabend wird das schnuckelige Paar keins mehr sein: Die Verfilmung von Horváts "Kasimir und Karoline" von ZDF und Arte zeigt, dass eine qualitative Adaption von Theaterstücken für das Fernsehen möglich ist.

Claudia Tieschky

Ganz am Anfang dieses Films sieht man einem Paar beim Aufwachen zu. Sonne scheint auf das Bett, sie schmusen schläfrig, und als es schließlich doch auf Morgensex zuläuft, verliert die Kamera plötzlich das Interesse an den beiden und stellt stattdessen den Hintergrund scharf. Man sieht: Nichts als eine endlos öde Fläche von Betonbalkonen mit Satellitenschüsseln.

Kasimir & Karoline

Ödön von Horváts Theaterstück Kasimir und Karoline ist 1932 uraufgeführt worden, und man kann es heute superaktuell lesen.

(Foto: Arte, Ben von Grafenstein)

Das ist wie die Vorwegnahme von allem, was kommt. Denn am Ende dieses Tages werden die beiden, die sich bärchenlieb "Kasi" und "Karo" rufen, kein Paar mehr sein, und überhaupt jeder für sich ziemlich die Kontur verloren haben im erschrockenen Restgefühl eines ziemlich brutalen Oktoberfestabends. Das Bier hat da auch nicht geholfen, weil doch irgendwoher das Geld und die Romantik kommen müssen, wo der Kasimir jetzt doch schon so lang arbeitslos ist und keinen mehr hochkriegt.

Ödön von Horváts Theaterstück Kasimir und Karoline ist 1932 uraufgeführt worden, und man kann es heute - weil ja von Wirtschaftskrisenzeiten auch wieder viel die Rede ist - sozusagen superaktuell lesen. Natürlich hat sich bei Horváth keiner seine Hartz-IV-Nummer auf den Arm tätowieren lassen wie in Ben von Grafensteins Verfilmung. Aber die Sprache von Horváths Sozialdrama auf der Wiesn zieht doch noch ungeheuer.

Trotzdem hat man sich beim ZDF Theaterkanal, der das Projekt mit Arte zusammen finanzierte, für eine komplett neue Dialogfassung entschieden. Man wollte kein Bühnenstück ohne Bühne, sondern einen dreckigen kleinen Spielfilm. Das Fernsehen hat seine kulturelle Berechtigung ja lange vom Theater geborgt und tut es noch. ARD und ZDF begannen beide ihren Sendebetrieb mit etwas Faust. Und wenn mal, wie in Frankreich, das öffentlich-rechtliche System infrage steht, ist das Mittel der Programmmacher immer noch: Molière in der Primetime.

Experiment Theaterfilm

Trotzdem funktioniert eben Fernsehdramaturgie völlig anders als Theater. Wenn Sender wie Arte, 3sat oder gelegentlich ARD/ZDF angesagte Bühneninszenierungen in aufwendiger HD-Technik zeigen, dann freut das vor allem Theaterfreunde, und wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum das ZDF seinen digitalen Theaterkanal inzwischen lieber zum Jugendsender ZDF Kultur umgebaut hat.

Irgendwo an der Schnittstelle von Bühne und Fernsehen, von Nische und Masse, experimentiert man in dem ZDF-Digitalkanal seit 2003 mit sogenannten Theaterfilmen. Es entstanden unter anderem Baal, Lulu, Peer Gynt, Kabale und Liebe, Werther - und es liegt auf der Hand, dass filmbekannte Schauspieler wie Matthias Schweighöfer, Hannah Herzsprung, Stefan Konarske oder Jessica Schwartz auch junges Fernsehpublikum locken sollen. Kasimir und Karoline wurde 2010 auf der Jubiläums-Wiesn gedreht.

Klar, das ist auch der Film zum Oktoberfest. Nach der Premiere beim Münchner Filmfest sagte Wolfgang Bergmann, "das sind Bilder, die kann man saufen". Bergmann ist als Leiter von ZDF Theaterkanal/ZDF Kultur einer der Erfinder der Theaterfilm-Reihe, und was er gemeint haben könnte ist dieses Kirmes-Licht vor dem Münchner Septemberabendhimmel oder das Funkenstauben später, wenn ein Auto abbrennt und das noch die weit harmloseste Tat dieser Nacht ist. Solche Bilder sind in diesem Film, süffig, und man denkt, es gibt ein paar Sachen, die Film kann und Theater nicht kann.

Schauspielerische Leistung

Das Original ist ja noch todtrauriger, vielleicht weil ein bisschen wie auf einem Labortisch vorgeführt wird, wie diese Kleineleuteliebe kaputtgeht. Da haut einem die Freundin ab, eigentlich mag sie ihn ja, aber er ist ein armer Schlucker geworden, hat kein Selbstbewusstsein mehr, ist kein Mann mehr, und arm ist sie schon selber. Horváth hat der Karoline (im Film gespielt von Christina Hecke) den ganzen moralischen Konflikt aufgegeben, während Kasimir mehr oder weniger ungebremst zur Hölle fährt, das heißt in die Kriminalität gerät.

Golo Euler erhielt für die Rolle beim Filmfest München den Schauspielerpreis. Max Tidof macht eine tolle Figur als großkotziger Musikproduzent in Wiesn-Outfit. Aber man muss sagen, dass die Fallhöhe des Films irgendwie mit Robert Gwisdek zu tun hat, der als Kasimirs Bekannter Merkl mit seinem Spiel schön räudig und mephistohaft das Böse in die Welt bringt.

Ben von Grafenstein, der Regisseur, sagt, dass er sich jetzt in die Idee verliebt hat, Theaterstücke auf relativ radikale Weise zu modernisieren. Es ist natürlich Wahnsinn, mitten im laufenden Wiesn-Betrieb einen Film zu drehen, und es sollten ja auch keine lustigen Leute im Bild stehen und winken.

Kameramann Ralf Noack hat die digitale Variante einer Spiegelreflex-Kamera benutzt, mit der man praktischerweise auch HD-Filme drehen kann. Das sieht aus wie ein Fotoapparat, sehr unauffällig. Das Equipment hat das Team in einem Einkaufswagen mitgeschoben. Da man auf der Wiesn meistens schlecht miteinander reden kann, ohne zu schreien, hat Grafenstein die grundlegenden Sachen, das Textlich-Emotionale, mit den Schauspielern vorher eine Woche lang geprobt, und da ist man dann ja auch irgendwie wieder nahe dran, am Theater.

Sendung: Kasimir und Karoline, ARTE, Montag, 21.35 Uhr

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