Kachelmann-Prozess: Medienreaktionen:Kachelmanns Gegner - "plattgemacht"

Freispruch für Jörg Kachelmann: Am Ende eines aufsehenerregenden Prozesses ist eigentlich keiner richtig zufrieden. In der Kritik der Medien: Staatsanwälte, Verteidiger, das Gericht - und die eigenen Kollegen. Eine Presseschau.

Jörg Kachelmann ist freigesprochen worden. So richtig zufrieden ist nach dem Urteil keiner - manch einer kritisiert den Richterspruch selbst, manch einer die Staatsanwaltschaft. Am schlechtesten haben jedoch nach Ansicht vieler Journalisten die eigenen Kollegen abgeschnitten.

Kachelmann freigesprochen

Alice Schwarzer berichtete für die Bild-Zeitung aus dem Gerichtssaal - nach dem Freispruch forderte sie: "Man muss weiterhin Respekt haben für das mögliche Opfer."

(Foto: dapd)

Für die Bild-Zeitung hatte die Feministin Alice Schwarzer über den Fall berichtet. Nach dem Freispruch zeigte sie sich auf Bild.de enttäuscht von dem Urteil: "Was in diesem Kachelmann-Jahr mal wieder schmerzhaft klargeworden ist: Ein männlicher Angeklagter ist gesellschaftlich, medial, ja sogar juristisch viel stärker als so eine weibliche Nebenklägerin. Wer in diesem Fall auch nur erwog, die Exfreundin könnte vielleicht die Wahrheit sagen, der wurde plattgemacht." Schwarzer fühlt sich sogar persönlich angegriffen: "Wer hier ein (mutmaßliches) Opfer ernst nimmt, kann sich warm anziehen. Denn der wird selber zum Opfer. Das haben wir auch im Kachelmann-Prozess drastisch vorgeführt bekommen: vom Therapeuten über die Staatsanwälte bis hin zu mir."

Eine gänzlich andere Meinung vertritt in der Zeit Schwarzers Kollegin Sabine Rückert, die stets vor einer Vorverurteilung Kachelmanns gewarnt hatte. Mit dem Ausgang des Prozesses ist sie nur fast zufrieden. "Zwar zeigt dieser Freispruch, dass in einem Rechtsstaat zuletzt doch Verstand und Vernunft den Sieg davontragen über Verblendung und böse Absichten. Trotzdem ist er keine Ruhmestat der deutschen Strafjustiz. Denn Kachelmann hat seinen Freispruch weniger dem Aufklärungswillen der Mannheimer Staatsanwälte und Richter zu verdanken, als vielmehr seiner eigenen Fähigkeit, sich vehement zur Wehr zu setzen", schreibt sie auf Zeit Online. Grund zur Freude bestünde deswegen für niemanden: "Dem Bürger aber muss die Vorstellung, in die Hände solcher Ermittler zu fallen, Angst machen."

Beide oben genannten Kolleginnen kritisiert Michael Hanfeld auf Faz.net, dem Online-Portal die Frankfurter Allgemeinen Zeitung scharf, ebenso wie die Gerichtsreporterin des Spiegels, Gisela Friedrichsen: "Parteiischer und einseitiger, als die Berichterstattung der Genannten ausgefallen ist, kann man sich die Arbeit von Vertreterinnen der 'vierten Gewalt' jedenfalls nicht vorstellen. So wie sich vor Gericht Staatsanwaltschaft und Verteidigung gegenüberstehen, haben sich die Reporterinnen aufgestellt: Anklage, Verteidigung und kein Richter dazwischen, als Korrektiv aber sehr wohl die Kollegen anderer Blätter, die sich an das gehalten haben, was im Gerichtssaal zur Sprache kam."

In der Passauer Neuen Presse (Mittwochausgabe) kritisiert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Rolle der Medien: "Die Unschuldsvermutung ist in Gefahr, wenn Medien ihr Urteil fällen, lange bevor Richter gesprochen haben." Es bestehe die Gefahr, dass rechtsstaatliche Verfahren "ausgehebelt" würden, "wenn die Beweisaufnahme vom Gerichtssaal in Talkshows verlagert wird".

Auch die Berliner Zeitung geht in ihrer Beurteilung vor allem auf die Rolle der Medien ein: "Es war ein Fest, zu dem jeder - ob geladen oder ungeladen - beitrug, was er nur vermochte: Boulevardzeitschriften wie die Bunte zahlten Geld an frühere Geliebte, um von ihnen noch vor dem Gericht alles - gleich, ob Lüge oder Wahrheit - über die Penetrationsneigung des Angeklagten zu erfahren."

Die Stuttgarter Zeitung kommentiert: "Der Fall Kachelmann hat sich auch zu einem Medienspektakel allererster Güte entwickelt, mit zahlreichen Zeitgenossen, die außerhalb des Gerichtssaales weit gesprächiger waren als dort, wo ihre Worte tatsächlich etwas zählen. Und mit Medien, die diese Gesprächsbereitschaft durch üppige finanzielle Zuwendungen befördert haben. Diesen Unsinn gilt es ebenso abzustellen."

Die Neue Osnabrücker Zeitungkonzentriert sich in einem Kommentar am Morgen vor dem Urteil auch auf diesen Aspekt. "Wer hätte das gedacht?", heißt es auf dem Online-Portal der Zeitung, "ein Großteil des Prozesses gegen Jörg Kachelmann wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Wer das Verfahren in manchen Medien verfolgt hat, könnte auch zu der Ansicht gelangt sein, die Reporter seien zu jeder Minute dabei gewesen. Nicht wenige in diesem 'Publikum' dürften sich ihr Urteil gebildet haben, noch bevor die Richter heute ein Urteil sprechen."

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