Jürgen von der Lippe: Neue TV-Show:"Suchtkrank wie alle Zirkuspferde"

Was macht der WDR, wenn er Kreativität in sich entdeckt? Er schaltet ab. So geschah es auch mit Jürgen von der Lippes feiner Literaturshow "Was liest du?". Sat.1 ist nun seine neue Heimat, "Ich liebe Deutschland" heißt die neue Show. Er moderiert sie nur noch, weil er es nicht lassen kann.

Hans Hoff

Als im vergangenen Jahr deutlich wurde, dass der Westdeutsche Rundfunk (WDR) Jürgen von der Lippes Minishow Was liest du? nicht fortführen würde, wirkte es ein bisschen, als sei dies das Ende einer Fernsehkarriere. Wer den einst zur Bundesliga der Showmoderatoren zählenden von der Lippe ein bisschen kannte, wusste, dass man ihm mit der Einstellung der Sendung nach sieben unterhaltsamen Jahren das Herz gebrochen hatte.

Jürgen von der Lippe bekommt neue Sat.1-Show

Jürgen von der Lippe (im Bild) kann es einfach nicht lassen. Mit der Sat.1-Spielshow "Ich liebe Deutschland" kehrt er auf die TV-Bühne zurück. Prominente müssen in dem Format Fragen über Deutschland beantworten, den Gewinn heimst das Publikum ein.

(Foto: dpa)

An Was liest du? hing der 63-Jährige wie schon lange an keinem Programm mehr. Wenn er gemeinsam mit wechselnden Gästen humorvolle Stellen aus bekannten und unbekannten Büchern vorlas, war er in seinem Element. Da gab es immer wieder wundervolle Momente voller Situationskomik. Und so ganz nebenbei wurde manchem Talent zum unaufgeregten Durchbruch verholfen. Der WDR indes tat das, was er inzwischen immer tut, wenn er ein bisschen unkonventionelle Kreativität in sich entdeckt: Er schaltet ab.

Wenn Jürgen von der Lippe nun am kommenden Freitag mit der Spielshow Ich liebe Deutschland für vorerst sechs Folgen bei Sat.1 doch noch einmal auf den Bildschirm zurückkehrt, hat das vor allem zwei Gründe: Zum einen kann er es nicht lassen. Und zum anderen hat er sich noch ein bisschen Hoffnung bewahrt.

Fragt man ihn, der doch eigentlich von seinen erfolgreichen Bühnenauftritten leben könnte, warum er sich das mit dem Fernsehen noch antut, ob er aus irgendeinem Grunde vielleicht muss, bekommt man eine klare Antwort. "Ich muss überhaupt nichts", sagt er und schiebt dann eine klare Diagnose nach: "Wenn ich es nicht tue, werde ich bald tot sein. Ich bin suchtkrank wie alle Zirkuspferde."

Außerdem wolle er unbedingt noch den dritten Grimme-Preis einheimsen. Einen hat er 1994 für die WDR-Spielshow Geld oder Liebe bekommen, den zweiten 2007 für die Pro-Sieben-Sendung Extreme Activity.

Wenn er nun sechs Mal schwer vaterländisch "Ich liebe Deutschland" sagen muss, dann fällt das einem vornehmlich in den sechziger Jahren sozialisierten Haudegen nicht so ganz leicht. Von der Lippe weiß aber wohl, dass er inzwischen für andere Zuschauer sendet als früher. "Es gibt eine Generation, die sich dabei nichts denkt", sagt er. Er kennt aber durchaus auch die Vorbehalte seiner eigenen Altersgruppe: "Wir kriegen das aus unseren Köpfen aber nicht mehr raus."

"Gebt mir 'Was liest du?' wieder"

Ich liebe Deutschland ist eine Spielshow, in der jeweils zwei vierköpfige Prominententeams ihr Wissen um das Thema Deutschland unter Beweis stellen sollen. "Das sind erprobte Sachen, die ich auch bei einem gemütlichen Abend spielen würde", sagt der Moderator, der sich im Vorfeld auch mit dem niederländischen Original Ik hou van Holland beschäftigt hat.

Dieses Original fällt vor allem auf durch die ständigen Kicherattacken, mit denen die Moderatorin Linda de Mol, die auch im deutschen Fernsehen mal sehr präsent war, auf die Antworten ihrer Kandidaten reagiert. "Das hat mich nicht so befeuert. Es wird bei uns sachlicher zugehen", sagt von der Lippe und verspricht, dass der Pegel weniger Richtung Kindergeburtstag ausschlagen soll. Als "Bildungsparty" annonciert Sat.1 sein neues Produkt, das aber nach dem Willen des Präsentators keinesfalls abheben soll. "Die Pforte zum Elfenbeinturm wird sicherlich nicht aufgebrochen", verspricht er.

Spricht man mit Jürgen von der Lippe über das deutsche Unterhaltungsgeschäft, dann spürt man trotz seiner offiziellen Aufbruchsstimmung einen leicht resignativen Unterton. "Unterhaltung ist heute ein Gremienergebnis. Es sitzen 1000 Leute zusammen und rühren einen Brei", sagt er und macht damit klar, dass er inzwischen auch nur noch ein Rädchen im großen Werk ist. Die Allmachtsstellung eines großen Moderators, der einst bestimmte, wo es langgeht, ist längst der Pflichterfüllung gewichen. "Stefan Raab ist der letzte, der noch machen kann, was er will", sagt von der Lippe, und man meint, ein tiefes Seufzen zu vernehmen.

Fragt man ihn dann noch nach der Fernsehzukunft jenseits von Ich liebe Deutschland, wird es schnell eng. Vom WDR, seinem einstigen Haussender, erwartet von der Lippe wenig bis gar nichts. "Gebt mir Was liest du? wieder. Über was anderes brauchen wir gar nicht zu reden", formuliert er seine Botschaft. Womit das Thema wieder seine kleine, feine Literaturshow ist. Die will er nicht aufgeben. "Da hat mein Herz dran gehangen und hängt es noch", sagt er, und dann sagt er eher leise einen Satz, der, wenn es nach ihm ginge, doch ganz laut in die Fernsehlandschaft hinaus hallen sollte: "Vielleicht findet sich ja noch jemand."

Ich liebe Deutschland, Sat.1, Freitag, 20.15 Uhr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: