Jürgen Klopp im Gespräch:"Kerner ist ein Fußball-Maniac"

Bundesligatrainer Jürgen Klopp wurde als TV-Experte populär. Ein Gespräch über die Rolle des Fernsehens beim Fußball und den perfekten Angriff.

Freddie Röckenhaus

SZ: Herr Klopp, Sie sind Anfang Oktober zum zweiten Mal mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. 2006 für Ihre Co-Kommentierung während der Fußball-WM beim ZDF, und dieses Mal für denselben Job bei RTL. Sie haben den Preis allerdings beide Male nicht persönlich abgeholt. Beim letzten Mal sind Sie stattdessen zu einer privaten Geburtstagsfeier von Freunden gegangen. Sind Ihnen die Geister unheimlich, die Sie da gerufen haben?

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"Mehmet Scholl macht einen Klasse-Job", findet Jürgen Klopp. Ein Gespräch mit dem TV-Experten und Bundesligatrainer.

(Foto: ddp)

Klopp: Sagen wir es so: Ich möchte nicht in die Annalen eingehen als der Fußballtrainer, der zweimal den Fernsehpreis gewonnen hat, aber mit seinen Mannschaften nichts Bedeutendes.

SZ: Das Fernsehen erzeugt heutzutage über Nacht surreale Bekanntheit. Denken Sie nicht, dass Ihnen Ihr Erfolg als WM-Experte beim ZDF auch den Weg in Ihrem eigentlichen Beruf als Trainer geebnet hat? Weil auch Klub-Manager Ihre Popularität bewundern.

Klopp: Mir hat diese Fernsehsache zunächst einmal auch geschadet. Es gab Schlagzeilen wie: "Der Star in Mainz ist der Trainer". Oder: "Klopp, der TV-Bundestrainer". Jedenfalls hatten wir alle zusammen in Mainz damals ja schon sehr viel Entwicklungsarbeit geleistet. Meine Expertenrolle im Fernsehen stellte mir das alles viel zu sehr in den Schatten. Aber die Zustimmung einer breiten Öffentlichkeit zu meinen Fernsehauftritten kann natürlich zu gewissen Vorschusslorbeeren geführt haben.

SZ: Das Fernsehen neigt dazu, manche Leistungen krass überzubewerten und andere völlig auszublenden.

Klopp: Das Fernsehen bietet Bedeutungsmuster an. Wir tendieren deshalb dazu, jemanden, der dort in weißem Kittel und mit Birkenstock-Schuhen herumsteht, ein medizinisches Fachwissen zuzutrauen. Das mag außerhalb des Fernsehens auch so sein, aber der Effekt verstärkt sich auf dem Bildschirm.

SZ: Haben Sie selbst eine Erklärung, warum Sie so viel Zustimmung bei den Zuschauern genießen, für Ihre Art, das Spiel zu beurteilen und zu erklären?

Klopp: Nicht wirklich. Meine Fähigkeit, frei daherzureden vor anderen Leuten, war schon immer da. Wahrscheinlich habe ich die von meinem Vater mitbekommen. Ich nehme das eigentlich kaum wahr an mir. Wenn man laufen kann, freut man sich ja auch nicht jeden Tag, dass man laufen kann.

SZ: Das erklärt noch nicht den Unterhaltungsfaktor, den Sie bieten. Bei RTL haben Sie Günther Jauch locker zum Statisten gemacht. RTL war als einziger WM-Sender nicht in Südafrika präsent, hat aber dank Ihrer Auftritte, etwas umstritten, den Fernsehpreis bekommen.

Klopp: Ich bin zu meiner eigenen Überraschung in der 8. Klasse zum Klassensprecher gewählt worden. Hätten mündliche Leistungen schon damals mehr gezählt, meine Abiturnoten wären sicher besser ausgefallen. Ich kann gut zuhören und deshalb in Gesprächen spontan reagieren. Man kann im freien Gespräch auch mal übers Ziel hinaus schießen. Das ist alles nicht so wichtig.

"Ein Spieler muss nicht jede Sportsendung anschauen"

SZ: Mit wem haben Ihnen die Gespräche vor der Kamera denn selbst am meisten Spaß gemacht?

Klopp: Die Zusammenarbeit mit Johannes Kerner wie auch mit Günther Jauch war gut. Aber Kerner ist halt ein totaler Fußball-Maniac. Der wäre selbst Kicker geworden, wenn er das Talent für eine höhere Liga gehabt hätte. Johannes ist beim Fußball wie ein Schuljunge, der sich freut, wenn er nach der Sendung mehr weiß als vorher. Günther Jauch ist mehr der TV-Profi, weniger der Fußballer. Außerdem gibt es bei RTL andere Zwänge: Werbezeiten, die lang sind und punktgenau laufen müssen. Man soll da in höchstens 1:15 Minuten alles auf den Punkt bringen. Das ist bei komplexen Spielen manchmal etwas schwierig.

SZ: Welcher der Fernseh-Fußballexperten gefällt Ihnen gerade am besten?

Klopp: Mehmet Scholl macht einen Klasse-Job. Aber wer im Moment am besten gefällt, ist Thomas Strunz bei der Spieltagsanalyse auf Sport1. Auch Thomas Helmer ist dort nicht schlecht.

SZ: Wissen wir eigentlich nicht schon genug über Fußball?

Klopp: Der Wissensstand allgemein ist zu niedrig, finde ich. Der könnte höher sein, denn es scheinen sich ja viele Leute sehr dafür zu interessieren.

SZ: Was wäre Ihnen denn zu wenig?

Klopp: Ich höre im Moment dauernd die aktuellen Mode-Statements: "Wir waren nicht nah genug dran", "wir standen zu tief", "wir konnten die Zweikämpfe nicht führen". Ja warum konnte man denn die Zweikämpfe nicht führen? Wenn man nicht festgebunden ist, warum kann man es dann nicht?

SZ: Sie sind ja schon wieder mitten drin in der Expertenrolle.

Klopp: Im Ernst: Ich mache im Fernsehen einfach fast genau das, was ich mit meiner Mannschaft sowieso zweimal die Woche mache. Da ist kaum ein Unterschied. Da schauen wir natürlich Videomaterial zusammen an. Man schaut sich Fehler an, und ich bin dem Spieler, der einen klaren Fehler gemacht hat, im Prinzip sogar dankbar, weil er mir die Gelegenheit gibt, etwas deutlich aufzuzeigen, was in abgeschwächter Form vielleicht dauernd falsch gemacht wird. So funktioniert ja Lernen.

"Eine vollkommene Szene"

SZ: Bilder haben eine suggestive Kraft und bleiben haften. Was machen die unendlichen Wiederholungen von TV-Bildern mit Spielern, wenn sie sich ihr Versagen immer wieder anschauen müssen?

Klopp: Ein Spieler muss sich nicht jede Sportsendung anschauen. Wenn wir unseren Jungs Bilder zeigen, dann dürfen das nie zu viele Bilder sein. Nach dem Spiel kann man sowieso nicht viel rückblickende Analyse betreiben, denn nach einem Spiel ist drei, vier Tage später schon das nächste.

SZ: Man sagte früher, dass man ein Fußballspiel nur dann wirklich verstehen kann, wenn man es im Stadion sieht, nicht im Fernsehen. Stimmt das noch?

Klopp: Ja natürlich. Wenn man wichtige Dinge sehen will, geht das im Stadion besser als im Fernsehen. Im Live-Fernsehen sind einige Dinge besser geworden: Man sieht Eins-gegen-eins-Situationen besser, man sieht ganz individuelle Fehler besser. Ideal wäre für mich allerdings, wenn ich die normale Führungskamera hätte. Und dann noch eine Kamera, die hinter dem Tor steht und das Spielfeld in der Länge hoch schaut.

S Z: Das wäre das Trainer-Fernsehen?

Klopp: Mir ist klar, dass so etwas kein Unterhaltungsbild ist, sondern eine Expertenperspektive. Man sieht aber aus der erhöhten Hintertor-Kamera am besten das Schieben und Bewegen beider Mannschaften, also gruppentaktische Dinge. Ich glaube nicht, dass sich besonders viele Zuschauer dafür interessieren. Flugkameras und Bilder von jubelnden Zuschauern bringen dagegen mir wenig. Die Bildqualität schien mir 2006 bei der WM übrigens besser als 2010. Das nur mal nebenbei.

SZ: Ist Ihnen ein Fernsehbild aus den vergangenen Wochen in Erinnerung, das Sie besonders gerne gezeigt haben?

Klopp: Ja. Das war unser Tor zum 2:1 beim FC St. Pauli. Die Strafraumbesetzung geht nicht besser als in dieser Szene. Wir wollen bei einem geordneten Angriff immer mindestens mit drei, besser vier Spielern im gegnerischen Strafraum sein, mindestens zwei weitere rund um den Strafraum. Götze geht mit dem Ball bis zur Torauslinie, passt von der rechten Seite zurück, Richtung Elfmeterpunkt, wo Großkreutz steht. Kevin könnte schießen, schießt aber nicht, sondern täuscht nur an, weiß aber, ohne zu gucken, dass Kagawa hinter ihm ganz frei stehen muss, weil das unser Spielzug so vorgibt. Kevin lässt also für Shinji durch, der den Ball flach in die Torecke schießt. Wäre der Ball an den Pfosten gegangen, dann steht dort verabredungsgemäß auch noch Bender, der den Abpraller hätte reinschieben können. Eine vollkommene Szene. Ich habe das Bild abgespielt und war glücklich.

Jürgen Klopp ist Trainer des derzeitigen Bundesligatabellenführers Borussia Dortmund. Von 2005 bis 2008 bildete der 43-Jährige mit Johannes B. Kerner und dem Schweizer Schiedsrichter Urs Meyer das Fußball-Moderatorenteam des ZDF. 2010 war er Experte bei den RTL-WM-Übertragungen und Partner von Günther Jauch. Vor Dortmund trainierte der diplomierte Sportwissenschaftler acht Jahre lang den FSV Mainz 05, für den er als Profi selbst 325 Zweitliga-Spiele absolvierte.

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