Jubiläum von Werbespots:Tischlein fleckt nicht - 60 Jahre Werbefernsehen

Vor 60 Jahren: Erster Fernseh-Werbespot

Der erste Werbespot im deutschen TV: Liesl Karlstadt und Beppo Brem verschmutzen die Tischdecke, damit Persil sie wieder reinigen kann.

(Foto: dpa)

Mit einem Spot für Waschmittel begann 1956 Werbefernsehen in Deutschland. Heute gibt es Werbung praktisch überall. Und es sieht aus, als würde sie dadurch sogar besser.

Von Cornelius Pollmer

Die Welt der Werbung lässt sich in eine Zeit vor und nach WWW unterteilen und damit ist vorläufig noch nicht das Internet gemeint. Noch bevor Boris Becker im Fernsehen Werbung für selbiges machte, stand WWW Mitte der Neunziger akronym für Die Witzigsten Werbespots der Welt, eine von Fritz Egner moderierte Sendung auf Sat1, die aus heutiger Sicht sehr schräg in der Fernsehgeschichte herumsteht. Einerseits war WWW eine schon bei Ausstrahlung staubige Sendung, eine mäßig konzipierte Weltwerbeausstellung, in der sich Egner oft fröhlich zwischen den Kontinenten verlief. Andererseits muss man WWW fast als wegweisend einstufen: Tendenziell beliebige Zusammenstellungen irgendwie lustiger Videos aus aller Welt, das entspricht ziemlich genau dem gegenwärtigen Suchtverhalten normalgelangweilter Herumscroller.

Dieses Verhalten scheint unglaublich fern dem Jahr 1956, als im deutschen Fernsehen der erste Werbespot ausgestrahlt wurde. An diesem Donnerstag ist das genau 60 Jahre her. Für gewöhnlich sind solche Jubiläen für Werbeinteressierte Anlass, die VHS-Kassette einzulegen und vermeintlich kollektive Erinnerungen kurz auflodern zu lassen: Klementine in der Latzhose; HB-Männchen; Mensch, darauf einen Dujardin! Für diese alte Fernsehwerbewelt steht auch WWW und vor allem steht es dafür, dass diese Welt längst nicht mehr das kreative Kraftzentrum ist, das es einmal war. Die Webseite von WWW ist vor einer Weile im Internet Archive beerdigt worden, einer Art Zentralfriedhof. Übrig geblieben ist ein Youtube-Kanal, auf dem die Clips mit "Fail" und anderen Wörtern anmoderiert werden, die es im Egnerozän der Werbegeschichte noch nicht gegeben hat.

Vor WWW im Sinne von ganz früher, da war Fernsehwerbung ähnlicher Art wie in jenem Spot, der am 3. November 1956 im Bayerischen Rundfunk lief. Die Volksschauspieler Liesl Karlstadt und Beppo Brem spielten eine Ehepaar, sie gingen als solches ins Restaurant. Brem besudelte die Tischdecke, aber zum Glück gab es ja Persil. Nach WWW im Sinne von heute gibt es zwar noch Fernsehwerbung gewohnter Prägung. Aber es wird auch laut gekichert in den Kommentarspalten, wenn Aldi sich anno 2016 entschließt, erstmals Fernsehwerbung zu schalten.

Die Werbewirkung des Fernsehens bleibt stabil

Und es fühlt sich bereits durchaus normal an, dass Werbung nicht mehr allein in sauber isolierten Ghettos vorkommt, sondern im Grunde in allen möglichen Kontexten. Werbung sieht heute auch so aus, dass die kontinuierlich relative Person der Zeitgeschichte Sarah Lombardi, geborene Engels, über ihren Instagram-Account ein Herbstbild hochlädt, auf dem sie mit einer Herbstdecke auf ihrer Couch sitzt und mit Herbstgriff eine Tasse Tee umklammert. Genauer: einen "Detox Tea", der "super gesund ist!" und mit "liebem Dank" an den Hersteller getrunken wird. Fans bekommen mit dem Code "sarah15" Rabatt, #tea #hot #love.

Es ist nicht so, dass die klassische Welt in Trümmern läge. Die Werbewirkung des Fernsehens wird von Mediaplanern als stabil eingeschätzt. Weiterhin fliegen sehnige Agenturleute regelmäßig zum Drehen nach Südafrika, weil es dort Landschaften gibt, die nach deutschen Gärten aussehen, nur eben mit verlässlicherem Sommer. Noch immer gibt es diese herrlich scheinnormalen Bierwerbespots, bei deren Besetzung angestrengt auf jene angenommene Sozialverträglichkeit geachtet wird, die der Werber Stefan Kolle gut beschrieben hat: Ein Mann alleine würde als Alkoholiker gelten, zwei als schwul. Zwei Männer plus eine Frau ginge, funktioniere aber nicht, wegen assoziierter Konkurrenz.

Was früher die Werbepause war, ist heute der Clip vor dem Clip oder ein weiterer danach

Es ist durchaus so, dass TV-Werbung inhaltlich ausentwickelt und auserzählt wirkt. Die jüngsten Innovationen? TV-Werbung wird seit einer Weile immer häufiger so konzipiert, dass sie auch ohne Ton funktioniert, weil viele Leute den Fernseher in Werbepausen leiser stellen. Ansonsten: noch mehr Penetration. Vor gut eineinhalb Jahren jubelten die US-Kabelsender, weil sie eine Technik entwickelt hatten, Serien schneller abzuspulen ohne dabei Bildqualität zu verlieren. Eine Folge von Seinfeld etwa war statt 25 nun 22 Minuten lang - und in der halben Programmstunde war folglich mehr Platz für Werbung.

Digital sind die Ausspielflächen für Bewegtbildanbieter im Grunde unendlich und was früher die Werbepause war, ist nun eben ein Clip vor dem Clip oder ein weiterer danach. Durch Fragmentierung von Videoinhalten entsteht dabei langsam eine Wirklichkeit, die früher im Sinne von zu WWW-Zeiten mal als Witz begann: Nicht mehr Inhalte sind es, die von Werbung unterbrochen werden, sondern Werbung ist es, die von Inhalten unterbrochen wird.

Die digitale Öffentlichkeit, dein Freund und Helfer

Es gibt Indizien dafür, dass Werbung durch diese neuen Ausspielflächen tendenziell besser wird - funktioniert ein Spot, geht er viral und fährt kostenlos eine werbewirksame Sofortrendite ein. Auch als Korrektiv scheint digitale Öffentlichkeit für Werbung zu funktionieren, das durfte etwa das Unternehmen Wiesenhof erfahren, als es einen komplett verirrten Spot mit Atze Schröder zurückrufen musste.

Es gibt noch nicht viele Indizien dafür, wie es mit Werbung weitergeht, wenn sie dereinst alle Grenzen überschritten hat. So oder so könnte es sich lohnen, zum nächsten Jahrestag mal nicht das Band mit dem Kaminfeuer einzulegen, sondern jenes mit dem Film Die Truman Show. Truman Burbank gibt darin, ohne es zu wissen, den Hauptdarsteller einer Fernsehserie, deren Produktion über die bezahlte Platzierung von Bier und Sparschälern und tausend andere Sachen in allen Bereichen des Lebens von Truman finanziert wird. Alle in diesem Film geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden, heißt es.

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