TV-Journalistinnen im Sport:Sportjournalismus: Das letzte Refugium der Chauvis

'Champions For Charity' Football Match - Nowitzki v Vettel

Zur "heißesten Sportmoderatorin" gekürt: Laura Wontorra. Einen heißesten Sportmoderator gab es nicht.

(Foto: Getty Images)

Es gibt jetzt mehr Frauen im Sportjournalismus, aber immer noch nicht viele. Und die müssen einiges aushalten.

Von Anna Dreher

Die Geschichte der Ratte Sue ist in diesem Sommer 30 Jahre alt - und das Überraschendste ist wohl, dass man sie heute wieder erzählen muss, nachdem die ZDF-Journalistin Claudia Neumann bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich zwei Vorrundenspiele kommentierte. Neumann wurde schon während sie arbeitete bei Twitter und Facebook beschimpft und beleidigt - und zwar nicht, weil sie während der 90 Minuten im ZDF schwere Fehler gemacht hätte. Sondern ganz einfach: weil sie eine Frau ist.

Die Debatte über die Rolle von Frauen im Sportjournalismus, glaubte man eigentlich längst überwunden. Aber immerhin: Die Frauen haben bereits eine schöne Strecke zurückgelegt auf dem Weg zur Gleichberechtigung auch in diesem Männer-Metier. Vor nicht allzu langer Zeit verglich man Sportreporterinnen noch mit Ratten. Für immer in Erinnerung blieb eben jene Ratte namens Sue.

Bis in die Achtzigerjahre war es Frauen verboten die Umkleidekabinen zu betreten

Die Geschichte stammt von Susan Fornoff, einer US-Sportjournalistin, die mit ihrem Mut eine Bresche in diese Männer-Domäne geschlagen hat. Frauen war es bis in die Achtzigerjahre hinein in den meisten Sportligen verboten, einen Bereich der Stadien zu betreten, der in den USA traditionell zum Sportjournalismus gehört: die Umkleidekabinen, wo häufig Interviews geführt werden. Schwierig, einen Job gut zu machen, wenn ein elementarer Bestandteil fehlt. Fornoff war eine der ersten Frauen, die sich für die Aufhebung des Verbots einsetzte und schließlich unter den gleichen Bedingungen arbeiten konnte wie ihre Kollegen. Zumindest formal.

Der Baseballspieler Dave Kingman beispielsweise weigerte sich, in ihrer Gegenwart Fragen zu beantworten. In einen Pulk von Journalisten sagte er: Solange die hier sei, werde er gar nichts sagen. "Ich habe meine Kollegen angeschaut. Alle haben den Mund gehalten. Da bin ich gegangen", schrieb Fornoff in ihrem Buch Lady in the Locker Room. 1986 wurde ihr in einem Presseraum eine Kiste gebracht, darin eine Ratte mit einem Schild um den Hals: "Mein Name ist Sue". Alle wussten, wer der Absender des Geschenks war. "Langfristig", so sagt Fornoff, "hat diese Kiste dabei geholfen, das Bewusstsein zu steigern und die Toleranz für die ganzen Schikanen zu verringern. Ich glaube, so etwas kann heute nicht mehr passieren."

Der Fall Neumann hat gezeigt, dass immer noch jede Menge passieren kann, wenn Frauen über Sport berichten, vor allem über Männersport. Die Athleten haben zu angemessenen Umgangsformen gefunden, aber unter den Zuschauern brachen sich Sexismus, Chauvinismus Bahn. Bei den Olympischen Spielen in Rio wird Neumann wieder Fußballspiele kommentieren, aber es wird wohl keinen Aufschrei geben - zumindest nicht in dieser Dimension. Die Olympischen Spiele, das ist dann doch noch mal etwas anderes. Nicht so wichtig scheinbar, zumindest im Vergleich zu einer Fußball-EM. Und das ist wohl der Stand des Fortschritts in Sachen Gleichberechtigung im Sportjournalismus: Frauen dürfen auch nach Männermeinung nicht mehr nur über Kunstturnen und rhythmische Sportgymnastik berichten. Aber Fußball-Europameisterschaft, die Männer-Domäne schlechthin: no go. Und wenn, dann höchstens vor der Kamera, und bitte gut aussehen!

"Wenn eine Reporterin am Spielfeldrand steht, und noch ganz nett ausschaut, dann ist das meist okay. Dann dringt da niemand in männliches Hoheitsgebiet vor", sagte Neumann nach der Europameisterschaft. "Aber wenn eine Frau 90 Minuten aus dem Off heraus quatscht und den Männern auch noch Dinge zum Fußball erzählt, die sie gar nicht wissen oder selber anders sehen - da muss man schon sehr selbstbewusst sein, um das zu akzeptieren. Und das sind dann vielleicht doch nicht so viele." Sie hatte schon seit Jahren Fußballspiele berichtet, aber eben noch nie live von einer Fußball-EM. Das war eine Premiere, die Spuren hinterlassen hat, auch bei ihren Kolleginnen.

In einer Umfrage wird die "heißeste Sportmoderatorin" gewählt

Große Aufmerksamkeit hatte die Sportredaktion des ZDF schon erwartet, Art und Weise der Kritik überraschte aber doch sehr. "Natürlich muss man nicht alles gut finden. Aber dass immer noch kritisiert wurde, dass eine Frau ein Männerspiel kommentiert hat, ist unfassbar", sagt Anke Scholten, Olympia-Programmchefin des ZDF für die Sommerspiele in Rio. Und sie sagt: "Das nervt!" In der Redaktion sei es schon lange kein Thema mehr, ob ein Job von einem Mann oder einer Frau gemacht wird. "Grundvoraussetzung ist schlichtweg das Können." Und eigentlich habe man gedacht, dass Sportjournalistinnen auch für die Zuschauer kein Grund zur Aufregung mehr seien. Weil es inzwischen eben mehr Frauen in diesem Job gibt.

"Mehr" heißt in diesem Fall allerdings nach wie vor nicht "viele". Eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln und der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation untersuchte 2011 die internationale Sportberichterstattung in Tageszeitungen. Bei 80 analysierten Medien aus 22 Ländern waren 92 Prozent der Sportjournalisten männlich, in Deutschland waren es 89 Prozent. Im Verband Deutscher Sportjournalisten sind gerade einmal zehn Prozent der Mitglieder weiblich. Nach Rio schickt das ZDF dieses Jahr 79 Journalisten, 19 davon sind Frauen.

Ob daran allerdings wirklich nur die Männer schuld sind? Auch Frauen haben daran Zweifel. "Der Sport ist ein hartes Ressort, auch von den Arbeitszeiten her. Man muss das eben auch wollen, es sich zutrauen, sich dafür interessieren. Und dann können es ja auch nicht alle", sagt Martina Knief, Hörfunk-Reporterin des Hessischen Rundfunks bei den Olympischen Spielen. Ohne Fachwissen und gute Leistungen gehe es nun mal nicht - gerade in Live-Situationen. Julia Scharf, Moderatorin der ARD und Dozentin an einer Medienhochschule, hat festgestellt: "Wenn ich bei hundert Studentinnen und Studenten im Hörsaal die Frage stelle, wer später sportjournalistisch arbeiten will, heben vielleicht fünf Frauen die Hand." Langsam, hofft sie, werde sich das einpendeln.

Die Akzeptanz von Frauen hängt davon ab, über welchen Sport sie berichten

Die Akzeptanz von Frauen hängt auch ihrer Beobachtung nach immer noch stark davon ab, über welchen Sport in welcher Position berichtet wird. Kommentatoren stehen auch bei den Männern stark in der Kritik, besonders im Fußball, wo scheinbar jeder Zuschauer ein Experte ist. Hätte Claudia Neumann Wintersport oder Leichtathletik kommentiert, das Echo wäre geringer gewesen. "Wie man als Frau gesehen wird, von Publikum und von Sportlern, hängt mit der Entwicklung der Sportarten zusammen", sagt Julia Scharf. Bei der Jobvergabe werde die Kompetenz bei Frauen manchmal mehr abgeklopft als bei Männern, aber "im Wintersport zum Beispiel würde nie einer fragen: Wieso macht das eine Frau? Letztendlich kommt es darauf an, einen guten Job zu machen - da werden alle gleich bewertet. Ich fühle mich jedenfalls nicht als Exotin."

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis Frauen auch im Fußball nicht mehr als Exotinnen gelten, auch wenn sich seit den Zeiten von Carmen Thomas einiges verändert hat. Sie war 1973 die erste Frau, die das Aktuelle Sportstudio im ZDF moderierte. Aus dem Schalke 04 machte sie Schalke 05 und lieferte der ohnehin bestehenden Meinung weiteren Stoff: Viele hatten ja geradezu darauf gehofft, Thomas würde das lange kultivierte Vorurteil bestätigen, dass Frauen und Fußball nicht vereinbar seien. "Ein Zuschauer schrieb", erzählte Thomas in einem Interview, "ich sollte mir bewusst sein, dass ich gegen eine ganze Nation antreten würde. Und so fühlte sich das zu Beginn dann auch an."

Auch wenn es heutzutage innerhalb der Redaktionen und bei den meisten Sportarten keine große Unterscheidung zwischen Sportjournalistinnen und Sportjournalisten mehr gibt, so sind die Unterschiede in der Sichtweise des Publikums immer noch auffallend. Für viele scheint das Aussehen einer Sportmoderatorin interessanter zu sein als ihre Arbeit. In sozialen Netzwerken stehen neben Bildern von Moderatorinnen wie Anna Kraft (ZDF) Kommentare wie "Du siehst wieder einfach suuuuper aus!" Oder: "Von einer Bierdusche mit dir träumt jeder Mann, liebe Anna." Bei ihrem Kollegen Jochen Breyer fallen in erster Linie sachliche und fachliche Kommentare. Laura Wontorra, Moderatorin beim Sender Sport 1, wurde dieses Jahr in einer Meinungsumfrage zur "heißesten Sportmoderatorin" gekürt. Sexismus im Sportjournalismus? Wontorra selbst sieht das gelassen: "Ich habe das als Rückmeldung gesehen, dass ich gut ankomme - es haben ja Männer und Frauen abgestimmt. Und darüber habe ich mich gefreut."

Die Wahl zum heißesten Sportmoderator gab es übrigens nicht.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es, der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) hätte die Umfrage zur heißesten Sportmoderatorin in Auftrag gegeben. Das Verbandsmagazin hatte aber nur über die Umfrage berichtet. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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