Journalismus in der Ukraine:Beschimpft und verprügelt

Demonstranten Kiew Ukraine Masken Janukowitsch Putin

Demonstranten in Kiew tragen Masken, die Präsident Viktor Janukowitsch (l.) und den russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen.

(Foto: dpa)

In der Ukraine geht das Regierungslager gezielt gegen Journalisten vor, jüngst wurde eine Journalistin in ihrem Auto verletzt. Mit jeder Stunde bröckelt die Meinungsfreiheit und die Situation der Medien ist mehr als angespannt. Ein Lagebericht.

Von Katya Gorchinskaya

Der Weihnachtstag war erst wenige Minuten alt, als zwei Männer in ihr Auto stiegen und fluchten: "Verdammt. Was für ein Miststück!" Die beiden hatten gerade eine Frau zusammengeschlagen. Zuvor hatten sie das Auto der Frau auf der Autobahn nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew mehrmals gerammt.

Ihr Opfer war Tetyana Chornovol, eine zierliche, 34 Jahre alte Journalistin und politische Aktivistin. Sie blieb am Straßenrand zurück, mit verquollenem Gesicht, gebrochener Nase, aufgeplatzten Lippen und einer Gehirnerschütterung. Dort wurde sie später gefunden und in ein Krankenhaus gebracht.

Die Zensur beherrscht die Medien

Sie ist eines der jüngsten Ziele von Angriffen gegen Journalisten in der Ukraine, wo Presse- und Meinungsfreiheit offenkundig mit jeder Stunde bröckeln. Und wo man als Journalist seine Gesundheit gefährden kann. 2013 wurden Hunderte Journalisten attackiert oder sie verloren ihren Job, weil sie gegen die Zensur verstießen, die die Übernahme der unabhängigen Medien durch regimenahe Geschäftsleute mit sich gebracht hatte. Berichterstatter hat man vielfältig gegängelt: E-Mails wurden überwacht, geheimes und kompromittierendes Videomaterial veröffentlicht oder Razzien in Redaktionen durchgeführt.

Im Dezember wurde das rigorose Vorgehen während der Massenproteste deutlich. Die Regierung hatte am 21. November entschieden, die Vorbereitungen für einen Vertrag mit der Europäischen Union rückgängig zu machen. Stattdessen entschied sie sich für eine Wiederannäherung an Russland. Als Tausende Menschen auf den Straßen demonstrierten, machten Journalisten ihren Job und berichteten über die Proteste, manchmal halfen sie auch bei deren Organisation. In der Folge wurden sie beschimpft und angegriffen.

Gezielter Einsatz gegen Journalisten

Allein am 1. Dezember wurden mindestens 45 Journalisten bei Massentumulten von Polizisten verprügelt. Videos und Fotos bezeugen die Ereignisse; sie zeigen, dass die Polizei gezielt gegen Journalisten vorging, diese identifizierte und Foto- und Filmaufnahmen von ihnen machte.

Wochen später ist noch immer keiner der Angreifer bestraft worden. Damit setzt sich die Regierungstradition von Verschleierung und Nichtverfolgung von Verbrechen gegen Journalisten und Kritiker fort. "Häufigkeit und Heftigkeit der Angriffe gegen Journalisten zeigen, dass die Informationsfreiheit gezielt zerstört werden soll", lautete das Fazit von Reporter ohne Grenzen.

Oft sind die aktivsten Medien und Journalisten das Angriffsziel. So auch Chornovol, die den verschwenderischen Lebenswandel und die exklusiven Besitztümer von Präsident Viktor Janukowitsch und anderen hochrangigen Politikern angeprangert hatte. Dass sie erst kürzlich Fotos von den Residenzen oberster ukrainischer Funktionäre gemacht hatte, nannte sie in einem Interview nach der Attacke als wahrscheinlichen Grund.

Ein Symbol für Korruption

Janukowitsch lebt in einem prunkvollen Anwesen nördlich der Hauptstadt, das sich über 140 Hektar Land erstreckt - abgeschirmt von fünf Meter hohen Zäunen. Abgesehen von einer Palastresidenz gibt es dort einen Yachthafen, einen Golfclub, einen Tennisplatz, Jagdgründe und anderen Luxus. Das Grundstück soll trotz umstrittener Planung privatisiert worden sein, unterstützt von Unternehmern, die zum engsten Kreis des Präsidenten gehören. So wurde sein Anwesen namens Mezhyhirya zum Symbol für die Korruption in der Ukraine und die Ungestraftheit des Führungszirkels.

Chornovol war eine von wenigen Investigativjournalisten, die über die Bestechungsaffäre berichteten und im August 2012 auf das Grundstück vordrangen, um Fotos zu machen. Nach dem brutalen Angriff gegen sie sagte Chornovol, dass sie kurz vorher einen neuen Präsidentenpalast entdeckt und fotografiert habe, einen "noch pompöseren, den er selbst bauen und ausstatten ließ".

Eine prekäre Situation für die Ermittler

Am Abend nach der Attacke veröffentlichte Chornovol einen Blog mit Fotos der Vorstadtresidenz von Innenminister Vitali Sachartschenko, jenem Mann, der verantwortlich für die Polizeieinheit ist, die Journalisten im Dezember angegriffen hatte und nun die Ermittlungen gegen Chornovol leitet.

Fünf Verdächtige hat die Polizei inzwischen festgenommen. Aber die Journalistin identifizierte ihrem Ehemann Mykola Berezovy zufolge nur einen als Angreifer. Welche Rolle die anderen vier spielen, ist bisher unklar. Ebenso die Frage, was die Ermittler tun werden, wenn die Beweise zu den Drahtziehern der Verbrechen gegen Journalisten führen - die womöglich die obersten Bosse der Ermittler sind.

Katya Gorchinskaya, 36, ist stellvertretende Chefredakteurin der englischsprachigen Wochenzeitung Kyiv Post in Kiew. Übersetzung: Laura Hertreiter

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