Interview mit "Mad-Men"Hauptdarsteller:"Wir haben genügend Laster"

Der Reiz, eine Orgie mitzuerleben: "Mad-Men"-Hauptdarsteller Jon Hamm über amerikanischen Lebensstil, Drinks bei Geschäftsessen und Schaulust.

Tobias Moorstedt

Jon Hamm, 39, ist ein guter Verkäufer. Er hat einen festen Händedruck, eine tiefe Stimme und er hat seinen Text gelernt - er gibt seinem Gegenüber das Gefühl, dass er nur auf dieses Gespräch gewartet hat. Kurz: Jon Hamm ist die Idealbesetzung für die Rolle des Don Draper, dem Werber und Weiberhelden aus der TV-Serie Mad Men, die im New York der 60er Jahre spielt. Mad Men ist die einflussreichste TV-Serie seit dem Mafia-Epos Die Sopranos und ist von diesem Mittwoch an im Free TV bei ZDF Neo (22.30 Uhr) zu sehen und läuft bereits im Pay-TV-Angebot von Sky.

SZ: Mr. Hamm, wir machen uns Sorgen. Don Draper ist ein Borderline-Alkoholiker und Kettenraucher. Die Drehtage müssen ungesund sein.

Jon Hamm: Ich will Ihnen ja nicht die Illusionen und Träume kaputt machen, aber nicht alles, was man auf dem TV-Bildschirm sieht, passiert auch in echt. Die Zigaretten, die wir am Set rauchen, sind Kräuterkippen ohne Nikotin - behaupten die Produzenten.

SZ: Was ist so faszinierend am ungesunden Lebensstil der Vergangenheit?

Hamm: In den 60er Jahren hatte man eine andere Haltung gegenüber Zigaretten und Alkohol. Man wusste ja auch nicht so viel über die gesundheitlichen Risiken. Die heutige Gesellschaft ist obsessiv, was Gesundheit und Produktivität betrifft. Es ist in Amerika inzwischen tabu, sich bei einem Geschäftsessen einen Drink zu bestellen.

SZ: Die Zuschauer haben aber offenbar eine Sehnsucht nach dem wilden Leben. Oder freut man sich grundsätzlich über die kulturelle Evolution?

Hamm: Beides. Es hat eben einen unwiderstehlichen Reiz, anderen Menschen beim Ausrasten zuzusehen, eine Orgie mitzuerleben, ohne die negativen Konsequenzen tragen zu müssen. Andererseits kann man auch sagen: Schau mal, wie dumm die Menschen damals waren. Und vergessen Sie nicht, dass wir immer noch genügend Laster haben, Marlboro ist immer noch eine der größten Firmen Amerikas und wir sind auch keine Nation von Anti-Alkoholikern geworden.

SZ: Draper, Ihre Figur, ist ein ehemaliges Heimkind und hat im Korea-Krieg die Identität eines gefallenen Kameraden angenommen. Draper ist ein Selfmade-Man im besten Wortsinn, also sehr amerikanisch.

Hamm: Er ist der amerikanische Traum, und die 60er Jahre waren ja eine unglaublich spannende Zeit. Die staubtrockene Eisenhower-Ära ging zu Ende, alte Werte und Gesetze wurden über den Haufen geschmissen, und die Generation der Baby Boomer übernahm das Ruder. Die Amerikaner hatten Geld, die Möglichkeit zu reisen und die Welt zu sehen. Und trotzdem blieb dieses Gefühl: Ich bin immer noch nicht glücklich. Es ist der Job von Don Draper, der Welt Glück zu verkaufen, obwohl er weiß, dass er es selbst nicht kaufen kann. Die Zuschauer finden sich in diesem Dilemma wieder.

SZ: Mad Men wirkt manchmal wie ein Proseminar in US-Geschichte, die historische Kulisse wird gebildet von der Kuba-Krise, der Bügerrechtsbewegung und der Ermordung von JFK.

Hamm: Wir wollen kein historisches Drama machen, sondern einfach nur die Geschichte der Menschen erzählen, die in einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Milieu gelebt haben. Die 60er Jahre sind uns gleichzeitig sehr fremd und unheimlich nah.

Wütende Reaktionen

SZ: Manchmal hat man den Eindruck, man schaut der Gegenwart beim Entstehen zu. Es gibt eine Episode, in der ein Picknick die Szene bestimmt. Als alle aufgegessen haben, bleibt der Müll zurück. Hat sich da auch Zorn beim amerikanischen Zuschauer geregt?

Hamm: Oh ja. Es gab wütende Reaktionen. Lyndon B. Johnson hat Ende der 60er Jahre eine erste Umweltschutzinitiative gestartet. Die Mentalität damals war: einkaufen und wegschmeißen. Die Haltung steckt aber immer noch tief in uns drin.

SZ: Was muss eine TV-Serie haben, um als kulturell beispielhaft und auch als einmalig zu gelten, wie die Sopranos oder eben Mad Men?

Hamm: Mad Men hat eine geteilte DNA mit den Sopranos. Matthew Weiner, der Erfinder der Mad Men, hat dort als Autor gearbeitet. Als wir den Pilotfilm drehten, hatten die Sopranos zufällig gerade Winterpause, weshalb wir auf die Crew, die Production Designer, Stylisten und Kameraleute zurückgreifen konnten. Grundsätzlich glaube ich aber, dass es vor allem eine originäre, kreative Vision braucht. TV-Serien werden zu oft von Autorenteams geschrieben, die jede Zeile mit Markttests überprüfen. Eine richtig große, tiefe Story kann nur von einem Autor der alten Schule erdacht werden. Matt Weiner weiß genau, was er sehen und zeigen will.

SZ: In den USA ist von einem zweiten goldenen Zeitalter des Fernsehens die Rede, weil die Beliebtheit der Serien das Interesse an Hollywood-Produktionen vermindert hat. Ist der Erfolg auch mit technologischen Neuerungen wie Internet-TV oder DVDs zu erklären?

Hamm: Absolut. Früher gab es in den USA nur drei TV-Sender, die von den Werbekunden abhängig waren. Für einen großen Konzern, der ABC, CBS und NBC mit Anzeigen fütterte, war es kein Problem, eine Show absetzen oder umschreiben zu lassen. Heute sammeln sich die Zuschauer nicht automatisch vor dem Fernseher, sondern konsumieren die Shows, wo sie wollen, auf DVD, im Netz oder als Pay-TV. Die Kreativen müssen ihr Konzept also nicht mehr auf das Massenpublikum zuschneiden, sondern können ihre Ideen über verschiedene Kanäle einer kleineren Zielgruppe zugänglich machen. Heute bestimmen nicht mehr die Werbekunden, was gesendet wird, sondern das Publikum. Die Macht der Mad Men ist Geschichte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: