Internationale Medien:Auf Thatchers Spuren

Eine "integere Deutsche" oder einfach nur "Mittelmaß": Merkels Wahlsieg elektrisiert die internationalen Medien. Die Meinungen zum Wahlergebnis gehen weit auseinander, "Biedermeier"-Analysen treffen auf Thatcher-Vergleiche. Eine Presseschau.

Von Karin Janker, Christina Metallinos, Isabel Pfaff und Sebastian Schoepp

Wer Macht hat, polarisiert. Entsprechend der deutschen Rolle in der EU nimmt der Ausgang der deutschen Bundestagswahl in den europäischen Medien viel Platz ein. Der Blick in die Zeitungen aus Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien, der Schweiz, Polen und Österreich zeigt: kein Jubel, aber Ehrfurcht. Der Sieg der Union, so sieht es die Mehrheit der Kommentatoren, ist ein persönlicher Triumph Angela Merkels.

Spaniens größte Tageszeitung El País interpretiert Merkels Sieg als einen "Triumph des Pragmatismus": Sie verkörpere einen Führungsstil, den die Deutschen lieben würden - wenig Risiken, Flexibilität als Ideologie. Die spanische Zeitung betrachtet Merkels Selbststilisierung als eine einfache Frau, ja, sogar Hausfrau als zentrales Erfolgsrezept. "Merkel akzeptiert die Autorität der Verfassungsrichter. Merkel ist geschieden und versteht die verschiedenen Familienmodelle. Merkel definiert die deutschen Interessen in Brüssel, ohne sich gegen die Europäisierung zu stellen. Sie verführt Deutschland mit diesen Eigenschaften." Seinen Lesern rät El País deshalb: "Schnallen Sie sich an für das letzte Drittel der Ära Merkel."

Die konservative französische Tageszeitung Le Figaro findet es nachvollziehbar, dass sich die Deutschen so eindeutig hinter Angela Merkel gestellt haben. In einem Editorial heißt es: "Pragmatismus, Klugheit, Disziplin, Vernunft: Warum hätten sich die Deutschen auf das Abenteuer Peer Steinbrück einlassen sollen, statt erneut der bescheidenen und kontrollierten Staatsführung ihrer Kanzlerin das Vertrauen auszusprechen?" Nun werde Geschichte geschrieben, so der Figaro, denn Staatschefs wie Merkel seien selten geworden.

"Schon wieder nichts!" schreibt Frankreichs andere große Tageszeitung Le Monde über die Niederlage der SPD. Das schlechte Ergebnis der Sozialdemokraten sei teilweise Peer Steinbrück zuzuschreiben, der nach seiner Nominierung einen Fehler nach dem anderen gemacht habe. Außerdem habe er einem Dilemma nicht entkommen können: Vieles, was die SPD der Regierung Merkel vorwerfe, beruhe auf Schröders Agenda 2010, die Steinbrück immer unterstützt habe. "Außerdem", so die linksliberale Zeitung, "muss die SPD ihre Strategie in Bezug auf die Linke überdenken." Ohne deren Unterstützung könnten weder Sozialdemokraten noch Grüne künftig auf Mehrheiten hoffen.

Der britische Guardian spekuliert über Merkels politische Langlebigkeit und vergleicht nach dem wiederholten Wahlsieg Angela Merkel mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher: Merkel belege nun den zweiten Platz bei den am längsten regierenden, demokratisch gewählten Regierungschefinnen in Europa - knapp hinter der "Eisernen Lady". Das wird sich allerdings ändern, wenn sie ihre neue Amtszeit vollendet.

Bundestagswahl Merkel Thatcher Medien Stimmen

Iron ladies: Der Guardian vergleiche Margaret Thatcher und Angela Merkel.

(Foto: Screenshot TheGuardian.com)

Die große italienische Tageszeitung La Stampa kommentiert das deutsche Wahlergebnis noch am Wahlabend mit der Überschrift: "Nüchternheit und Fleiß - So hat 'Mutti Angela' Deutschland wieder für sich gewonnen". Der Zeitung zufolge verkörpert Merkel den "integeren Deutschen". Außerdem vermutet La Stampa, die neue Regierung unter Merkel werde Italien helfen - vorausgesetzt das Land beuge sich ihren deutschen Kriterien.

Presseschau

"Mutti Angela": Die italienische La Stampa wartet gespannt darauf, wie die neue Regierung wird.

Mit den Eurokritikern der AfD geht La Stampa nicht zimperlich um: "Angela hat allein das Kommando - ohne den Albtraum der Euroskeptiker" titelt die Turiner Tageszeitung am Tag nach der Wahl. Es sei das unbestreitbare Verdienst Angela Merkels, dass der Populismus der AfD abgewendet sei - und damit auch "der berühmte 'Feind von rechts', das traditionelle Schreckgespenst der Christdemokraten".

Nach dem Vatermord gehts zum Einkaufen

Für die konservative griechische Tageszeitung Kathimerini stellt Angela Merkels Sieg die nächste Etappe in ihrem langjährigen Machtzuwachs dar. Durch "Vatermord" habe sie alle innerparteilichen Rivalen aus dem Weg räumen können. Auch ihre Europapolitik der "langsamen und bedächtigen Schritte, ohne eine Vision und mit risikoscheuen Entscheidungen, die das deutsche Volk hätte ablehnen können" habe zum Wahlsieg beigetragen.

Im Hinblick auf die Koalitionsbildung schreibt die griechische Tageszeitung Ta Nea, dass die große Koalition für den Rest Europas das beste aller möglichen Szenarien sei. Die Sozialdemokraten würden so Merkels absolute Dominanz begrenzen und eine freundlichere Europapolitik auslösen. Aus diesem Grund werde Angela Merkel nach den Wahlen eine andere sein als die Kanzlerin der letzten vier Jahre.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) sieht in Merkels Wahlerfolg eine Entscheidung der Deutschen für die "mentale Biedermeierstube": Eine schwache Opposition und eine wendige, populäre Kanzlerin seien die Gründe für den Erfolg der Union. "In einem anderen Land mit mehr Sorgen und einem raueren politischen Klima wäre dies eine zu bescheidene Bilanz, um dem Wahlabend gelassen entgegenzublicken", schreibt die NZZ. In der Wohlfühl-Republik Deutschland genüge das aber.

Als am späten Abend Merkels hoher Sieg feststeht, verweist die NZZ auf die programmatische Leere und Visionsarmut der Union, die diese Defizite allein durch die Kanzlerin ausgleichen konnte. Doch wer braucht schon Visionen? "Nach der bitteren Erfahrung des Krieges können die Deutschen offenbar auf den ganz kühnen Wurf gut verzichten." Das katastrophale Ergebnis der FDP hat laut liberaler NZZ mit dem Abschied der Partei von zentralen liberalen Inhalten zu tun: "Sie, die sich mit vielen ins Bett gelegt und dabei oft bis zur Unkenntlichkeit verbogen haben, sind rüde ausgemustert worden - endlich, ist man fast versucht zu sagen, denn was die FDP am Schluss bot, hatte mit Liberalismus in vielen Fällen gar nichts mehr zu tun."

Presseschau

Der österreichische Standard: beschäftigt sich mit Steinbrücks Wahlkampf

Die Tageszeitung Der Standard aus Wien kommentiert den deutschen Wahlausgang mit den Worten "Triumph des Mittelmaßes". Für Merkel selbst sei das Ergebnis eine enorme Bestätigung - obwohl sie es "nur wegen der Parteispendenaffäre unter Helmut Kohl" an die Spitze der CDU geschafft habe. In Merkels Wahlsieg zeige sich die Präferenz der Deutschen für Mittelmaß, Solidität und Stabilität. Während sie thematisch keine klare Linie fahre, habe Steinbrück wenigstens versucht, "Inhalte in diesen Wahlkampf zu bringen".

Die österreichische Kronenzeitung meldet den Rücktritt von FDP-Parteichef Philipp Rösler und kürt Parteivize Christian Lindner zur "letzten Hoffnung" der Liberalen. Der Achtungserfolg der AfD hat der Kronenzeitung zufolge auch Auswirkungen auf die österreichische Politik: Direkt am Tag nach der Wahl habe sich die "Alternative für Österreich" formiert, die sich als "unabhängig, proeuropäisch, aber EU- kritisch" bezeichnet.

Die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza diskutiert kontrovers über die AfD: Noch am frühen Wahlabend bezeichnete die Zeitung die AfD als "radikale Partei", die eine Politik Bismarcks vertrete und für eine engere Zusammenarbeit mit Russland sei. Im Laufe des Abends reagiert die Zeitung jedoch auf kritische Leserkommentare und nimmt die Passagen über Bismarck und Russland wieder heraus.

Das erfolgreichste europäische Stück zur Bundestagswahl hat übrigens nichts mit Parteien, Koalitionen oder der Eurokrise zu tun - stattdessen: mit einem Supermarkt.

Der Europa-Korrespondent von El País, Luis Doncel de la Colina, hat eine Menge Artikel über die deutsche Wahl geschrieben. Er hat das Wahlrecht erklärt, die Bedeutung von Umwelttechnik erläutert und die Haltung der Parteien zu Schwulenehe abgeklopft. Doch nichts fand so viel Aufmerksamkeit in seiner Heimat wie die paar Schnappschüsse, die Doncel in einem Supermarkt in der Berliner Mohrenstraße machte. Dort lief ihm Angela Merkel höchstpersönlich vor die Linse - beim Einkaufen. Man sieht sie, wie sie ihren Wagen durch die Regalreihen schiebt, ihre Waren aufs Band an der Kasse packt, darunter ein großer Blumenkohl, und alles anschließend in eine rote Einkaufstasche stopft. Die Fotos erschienen auf der Titelseite der Internetausgabe von El Pais, wurden tausendfach verlinkt und durch die sozialen Netzwerke geschickt. Warum das in Spanien so eine Sensation ist, wenn eine Regierungschefin selber einkauft, erklärt Doncel in einem Satz: "Weil es undenkbar wäre, unseren Ministerpräsidenten Rajoy in einem Supermarkt anzutreffen."

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