Innovatives Online-Magazin:Gärtnern mit dem Leser

Innovatives Online-Magazin: Chefredakteur Ron Wijnberg will mit seinem Web-Magazin einen "Garten" mit guten Geschichten anlegen.

Chefredakteur Ron Wijnberg will mit seinem Web-Magazin einen "Garten" mit guten Geschichten anlegen.

(Foto: Stephan Rumpf)

1,1 Millionen Euro haben Niederländer schon für ein Online-Magazin bezahlt, das es noch gar nicht gibt. Das Konzept: Jeder Autor bekommt einen eigenen Themenbereich, einen "Garten", in dem er machen kann, was er will. Ein zukunftsfähiges Konzept?

Von Niklas Hofmann

Eine Frist von dreißig Tagen hatten sich die Macher von De Correspondent gesetzt, um ihr Startkapital zusammenzubringen. Gebraucht haben sie bloß acht Tage, dann waren die angepeilten 900.000 Euro beisammen. Und der so großzügige Finanzier war nicht etwa eine Bank oder ein Venture-Kapitalist, es waren die künftigen Leser der niederländischen Online-Publikation selbst. Mehr als 18.000 Menschen haben sich bis heute für 60 Euro Jahresgebühr als zahlende "Mitglieder" eines Angebots registriert, das hochwertigen Journalismus verspricht, sich aber erst in der Entwicklungsphase befindet.

Der fast 1,1 Millionen schwere Vertrauensvorschuss ehrt das Team um Chefredakteur Rob Wijnberg und Harald Dunnink, dessen Amsterdamer Webdesign-Firma Momkai die edel wirkende Optik entwickelt hat. Viele Details sind noch unklar, aber De Correspondent soll ein Autorenmagazin werden, komplett werbefrei. "Eine Plattform, auf der man die interessantesten Journalisten finden kann. Man begleitet sie auf ihrer Reise", erklärt Wijnberg.

Jeder Autor bekomme einen eigenen "Garten", in dem er machen könne, was er wolle - und sich so viele Menschen einladen, wie er möge. Der laufende Austausch mit den Lesern wird zentral sein. Täglich soll es neue Artikel geben, aber man will sich nicht von der Tagesagenda treiben lassen. Die Macher haben ein programmatisches "Manifest" ins Netz gestellt. "Van nieuws naar nieuw" bewege man sich, heißt es dort, von den Nachrichten hin zum Neuen.

Alte Hasen

Rob Wijnberg ist zwar erst 30 Jahre alt, aber in der niederländischen Medienlandschaft ein alter Hase, der schon mit 19 Jahren eine feste Kolumne bei der Boulevardzeitung De Telegraaf hatte und zuletzt als Chefredakteur zwei Jahre lang die Zeitung nrc.next leitete, einen an junge Leser gerichteten Ableger der seriös-gediegenen NRC Handelsblad.

Zu den künftigen Autoren von De Correspondent gehören etwa der Bestseller-Autor Arnon Grünberg oder der heute 85 Jahre alte Henk Hofland, der 1999 als niederländischer "Journalist des Jahrhunderts" geehrt wurde. Handelt es sich also bei dem Abonnenten-Run um ein Phänomen, das nur durch eine einzigartige Bündelung prominenter Namen erklärlich ist? "Es wäre sehr deprimierend anzunehmen, dass es nicht genügend interessante Autoren gäbe, um diesen Erfolg zu wiederholen", sagt Wijnberg. Das Gegenteil sei der Fall: "Man kann das vielleicht nicht endlos, aber doch vielfältig nachahmen. Mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaft zum Beispiel, und natürlich auch in anderen Ländern."

Ausgang noch unklar

Tatsächlich ist De Correspondent nur ein Beispiel dafür, welch interessante Start-up-Modelle für einen neuen Journalismus inzwischen im Netz entstehen, vor allem abseits der großen Medienhäuser. Es sind Experimente, deren Ausgang noch unklar ist. Und vielleicht werden sie nie die Routen aufzeigen, auf denen die Riesentanker der traditionellen Medien zurück in sicheres Fahrwasser gelangen - falls es die überhaupt gibt. Aber sie sind ermutigende Beispiele dafür, dass sich Journalismus durchaus im und über das Netz finanzieren lässt, wenn auch auf einem ökonomisch bescheidenen, eher kleinunternehmerischen bis mittelständischen Niveau. Dem qualitativen Anspruch muss das nicht schaden.

Die Niederländer übertreffen dabei finanziell auf Anhieb sogar den aufsehenerregenden Erfolg, den der amerikanische Blogger Andrew Sullivan Anfang des Jahres hatte, als er mit seinem Daily Dish, das bis dahin immer unter den Fittichen größerer Medienhäuser erschienen war, den Schritt in die Unabhängigkeit wagte - und in ein Abonnementsystem, für das Sullivan, der auch US-Präsident Barack Obama zu seinen Lesern zählt, allein innerhalb eines Tages 12.000 Interessenten gewann und mehrere Hunderttausend Dollar einspielte. Nach dem ersten Boom soll die Nachfrage allerdings nachgelassen haben.

Spannende journalistische Innovationen gibt es auch anderswo. Etwa beim amerikanisch-britischen Online-Magazin Matter (readmatter.com), das ehemalige Guardian- und Atlantic-Journalisten im vergangenen Jahr gegründet haben. Aufwendig recherchierte und bebilderte Geschichten mit einem Schwerpunkt auf Wissenschaft und Technik erscheinen dort, bislang pro Monat ein neuer Text im langen Format von 6000 bis 7000 Wörtern. Zugang erhält man für einen monatlichen Abo-Preis von 99 US-Cent.

Von der Bezahllösung überzeugen

Matter fand seinen Weg ins Leben über die Crowdsourcing-Seite Kickstarter. 50.000 Dollar war das Ziel der Macher, das sie bereits nach zwei Tagen übertroffen hatten. Fast die dreifache Summe an Nutzerspenden kam schließlich zusammen. Auf der anderen Seite des Seriositätsspektrums ist NSFWCorp angesiedelt, eine Seite, die sich selbst als "Die Zukunft des Journalismus - mit Witzen" apostrophiert, und eine wilde Mischung aus Gonzo-Journalismus und brachialer Comedy liefert. Drei Dollar kostet das Digitalabo im Monat. Und schon nach wenigen Monaten konnte der vom IT-Blog Techcrunch kommende Gründer Paul Carr im Herbst verkünden, man nähere sich den schwarzen Zahlen. Insgesamt 3000 Abonnenten seien dafür nur nötig.

Rob Wijnberg findet, dass es weniger darum gehe, Texte vor nicht zahlenden Lesern zu verstecken, als sie von der größeren Bequemlichkeit der Bezahllösung zu überzeugen. Das sei ähnlich wie bei dem Musikstreamingdienst Spotify, den jedermann kostenlos nutzen kann, der aber erst gegen eine monatliche Gebühr ein Paket an zusätzlichen Funktionen, etwa den Download von Liedern, anbietet.

Überhaupt ist es, wenn man Wijnberg folgt, am Ende gar nicht so sehr die journalistische Arbeit, die sich ändern muss, es ist vor allem der Begriff vom und der Umgang mit dem Publikum. Die Tatsache, dass seine Publikation werbefrei ist, wird in dieser Logik nicht bloß zum ästhetischen Vorzug, sondern geradezu zur Voraussetzung für das Gelingen. "Wenn man anzeigenfinanziert ist, muss man in Zielgruppen denken", sagt Wijnberg. "Wir wollen aber keine Zielgruppen, wir wollen gleichgesinnte Menschen." Das Publikum so zu sehen, das verändere die ganze Perspektive. Autoren und Leser - also Mitglieder - sollen, wenn alles gut läuft, bei De Correspondent zu einer Community verschmelzen. Das ist ein mit einem im professionellen Journalismus bis dato nicht da gewesener Grad an Interaktion - und an Loyalität.

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