Im Interview: Tom Rachman:"Die Versuchung ist sehr groß"

Über Journalisten, Büroatmosphäre und Silvio Berlusconi - Autor und Journalist Tom Rachman im Gespräch.

Tanja Schwarzenbach

Tom Rachman wurde 1974 in London geboren. Als er sieben Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern nach Vancouver in Kanada und studierte später an der Columbia University in New York City Journalismus. Er arbeitete sieben Jahre lang als Redakteur für die Nachrichtenagentur Associated Press, zunächst in New York, später als Auslandskorrespondent in Rom. 2006 zog er nach Paris, um sein erstes Buch, "Die Unperfekten", zu schreiben - eine Geschichte über eine internationale Tageszeitung in Rom und das Leben ihrer Redakteure. Rachmans Debütroman ist in den USA ein Bestseller und erscheint demnächst in 15 weiteren Ländern. In Deutschland ab 20. September bei dtv.

Tom Rachman

Tom Rachman, Autor des Buches "Die Unperfekten", im Gespräch.

(Foto: bildextern)

Lesen sie hier Auszüge aus dem Interview in der SZ am Wochenende vom 24. Juni.

(...)

SZ: Ihr Roman hat elf Kapitel - fast jedes stellt einen anderen Mitarbeiter der Zeitung vor. Der Kriegsberichterstatter kommt besonders schlecht weg. Gibt es viele so unsympathische, skrupellose Kriegsberichterstatter?

Rachman: Na ja, ein paar habe ich schon getroffen.

SZ: Liegt es daran, dass diese Menschen sich tagtäglich mit den grausamen Ereignissen der Welt befassen?

Rachman: Ich glaube, dass diese ehrgeizigste und nervenaufreibendste Form von Journalismus einen bestimmten Typus Mensch anzieht: den Thrill-Seeker. Und diese Arbeit wiederum befördert vor allem jene Menschen, die skrupellos und aggressiv vorgehen. Der, den ich beschreibe, ist wirklich ein grässlicher Typ - aber zweifelsohne produziert er ziemlich geniale Reportagen. Die Ironie in diesem Job ist, dass du nicht unbedingt der beste Reporter wirst, wenn du auch der netteste Mensch bist. So ein Job kann einen Menschen schon verändern, manche entwickeln eine ähnliche Haltung wie Ärzte oder Chirurgen, die irgendwann auch nicht mehr geschockt sind, wenn sie jemandem mit einem abgehackten Arm sehen. Andererseits - jeder Job verändert einen Menschen. Jemand, der als Bastard anfängt, wird auch als Bastard enden, eben nur als ein anderer Bastard. Natürlich, das muss ich hier noch erwähnen, gibt es auch ganz reizende Kriegsberichterstatter . . .

SZ: In Ihrer fiktiven Redaktion gibt es eine schwarze Liste mit Worten, die die Redakteure nicht benutzen dürfen. Gab es das in Ihren Karrierestationen auch?

Rachman: Oh ja, und die war lang. Bestimmte Klischees waren verpönt. Wer das Wort "kontrovers" verwendete, stand leicht im Verdacht, dass er einer Situation nachträglich mehr Dramatik verleihen wollte. "Aus nicht näher benannter Quelle" durften wir nicht sagen, denn alles ist ja irgendwie benannt, auch wenn der Autor den Namen nicht kennt. Dasselbe galt für eine Wendung wie "unbekannte Attentäter", denn sie sind ja bekannt, nur eben nicht dem Autor . . . Und die Tatsache, dass in einer Meldung etwas "andauert", galt immer als Indiz dafür, dass es in Wirklichkeit keine neue Entwicklung gab, also mussten wir uns etwas anderes ausdenken, eine Wendung wie: "Die Befreier intensivierten ihre Bemühungen bei der Suche nach Überlebenden."

SZ: Sie haben das viele Jahre gemacht - und dann Ihren Job bei der Nachrichtenagentur hingeschmissen. Warum?

"Andere in diesem Beruf brauchen diesen Stress geradezu"

Rachman: Ich war wie alle Journalisten von Ambitionen getrieben, wollte interessante Stories schreiben, einen tolleren Job bekommen. Ich habe meine Arbeit als Journalist gut gemacht, aber ich habe sie nie geliebt. Ich wollte im Journalismus immer nur Erfahrungen sammeln und Dinge erleben, über die ich eines Tages in Prosaform schreiben könnte. Und mit 30 war mir klar: Wenn ich jetzt nicht kündige, dann wird das ein lebenslanges Forschungsprojekt. Außerdem konnte ich nie mit dem immens hohen Stresslevel im Journalismus umgehen. Andere in diesem Beruf brauchen diesen Stress geradezu, es gab jedenfalls immer Kollegen, die herumbrüllten. Ich wollte immer sehr ruhig wirken. Obwohl ich es nicht war. Diese äußerliche Gelassenheit aufrechtzuerhalten, war sehr anstrengend.

SZ: Einen Roman zu schreiben, ist auch sehr anstrengend.

Rachman: Das stimmt, aber ich kann mein eigenes Tempo bestimmen. Ich bin eher einzelgängerisch. Natürlich hat es dann auch etwas Gutes, in einem Büro zu arbeiten, in dem man gezwungen wird, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Aber ich fühle mich wohler, wenn ich in meiner Wohnung in Chelsea sitze, schreibe und mit niemandem sprechen muss.

SZ: Eigenartige Bürowelt: Man sitzt zehn, 20 Jahre mit denselben Leuten in einem großen Raum. Und am Ende hat man sie trotzdem nie richtig kennengelernt.

Rachman: Ich bin überzeugt: Die meisten Leute in Büros bleiben, wenn sie nicht gerade miteinander schlafen, einander fremd. Ich erinnere mich daran, dass mir das schon als Kind auffiel. Wenn ich meine Mutter oder meinen Vater bei der Arbeit anrief, hatten sie plötzlich ganz andere Stimmen. Auch ich selber habe mich im Büro ganz anders präsentiert als bei meinen Freunden oder zu Hause. Es ist eine Schutzmauer, die man da tagsüber um sich herum errichtet. Das ist, glaube ich, sogar normal. Wie Sie gerade sagten: Sonderbar daran ist eher die lange Dauer, die man so verbringt. 40 Stunden pro Woche. 50 Wochen pro Jahr. Abertausende Stunden.

SZ: Obwohl alle Menschen in Ihrem Buch unterschiedliche Charaktere haben, habe ich mich gefragt, ob beim Leser nicht doch wieder nur das Image des Journalisten rüberkommt, der übertreibt, unehrlich ist und herumschnüffelt.

Rachman: Ich glaube, die beiden am weitesten verbreiteten Bilder von Journalisten aus Film und Fernsehen sind die des unglaublich noblen oder des wahnsinnig unehrlichen Journalisten. Keines ist akkurat.

SZ: Eine Ihrer Romanfiguren, ein Auslandskorrespondent in Paris, erfindet Geschichten, um ein paar Euro zu verdienen. In Deutschland gab es kürzlich wieder einen ähnlichen Fall bei einem Magazin, der Mann hatte Interviews gefälscht.

Rachman: Es gibt eine Menge solcher Fälle, auch in den USA. Ich glaube, dass es sie auch immer geben wird. Die Versuchung ist sehr groß. Man wird schnell zum Star, wenn man angeblich mit Menschen gesprochen hat, mit denen es so gut wie unmöglich ist, ein Interview zu bekommen. Aber solche Betrügereien fliegen normalerweise auf, wie kürzlich in Italien: Ein Literaturjournalist hat ein Interview mit Philip Roth veröffentlicht, in dem Roth Barack Obama denunziert.

"Die richtige Balance zu halten, ist sehr schwierig"

Philip Roth erfuhr davon und wie sich herausstellte, kannte er den Journalisten überhaupt nicht. Wenn so etwas herauskommt, bedeutet das das Ende der journalistischen Karriere.

SZ: In Ihrem Buch trifft eine Chefredakteurin ihren Ex-Freund aus Studienzeiten wieder, der mittlerweile Pressesprecher für Silvio Berlusconis Regierung ist. Sie hat wegen ihrer Zeitung Skrupel, sich auf eine Affäre mit ihm einzulassen. Das ist ja wiederum sehr ehrenvoll.

Rachman: Ich glaube, dass Ethos einer der Grundsteine dieses Jobs ist. Man darf nichts erfinden, man muss die Wahrheit erzählen und man darf seine Berichterstattung nicht von persönlichen Verwicklungen manipulieren lassen. Das kann sehr verzwickt sein. Dann wenn man eine Situation wirklich verstehen will, ist es manchmal nötig, persönlich involviert zu sein. Nicht in dem Ausmaß, dass man mit Informanten schläft, aber indem man zusammen zum Abendessen geht zum Beispiel. Die richtige Balance zu halten, ist sehr schwierig - der Journalismus soll ja nicht kompromittiert werden und die Person soll sich am Ende nicht betrogen fühlen. Obwohl Letzteres oft der Fall ist.

SZ: Haben Sie persönliche Erfahrungen damit?

Rachman: Die Associated Press hatte sehr strenge Regeln. Redakteure durften zum Beispiel keine Geschenke annehmen. In manchen Ländern aber gehört das Schenken auch zur Kultur. Wenn man dann sagen würde, dass man den Stift, den man gerade überreicht bekam, gerne bezahlen würde, wäre das wohl eher eine Beleidigung.

SZ: Sie haben auch einige Jahre bei AP in Rom verbracht. Sind Sie während dieser Zeit eigentlich Silvio Berlusconi begegnet?

Rachman: Der internationalen Presse gibt er nicht gerne Interviews. Der AP hat er zu meiner Zeit keines gegeben. Nur hin und wieder der New York Times.

SZ: Die internationale Berichterstattung zu Berlusconi ist eben auch sehr kritisch.

Rachman: Das Seltsame ist, dass die Medien ihn immerzu als Albtraum präsentieren, aber niemand je versucht zu erklären, warum er in Italien so beliebt ist. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass er die Presse ignoriert oder ob es genau andersherum ist. Tatsache ist, dass er immer wieder in sein Amt gewählt wird. Auch unter den italienischen Frauen ist er beliebt. Es gibt viele, die ihn sehr attraktiv finden.

SZ: Einen Mann mit Make-up, Elevator- Schuhen und angemalten Haaren?

Rachman: Ja! Auf Kundgebungen sind sie verrückt nach ihm, sie lieben ihn!

SZ: Und ich dachte, das läge daran, dass er so großzügig mit Präsenten ist. Angeblich fahren mindestens 15 hübsche Italienerinnen mit grünen Minis herum, die er ihnen geschenkt hat.

Rachman: Ich bin mir sicher, da ist er nicht knauserig.

(...)

Das ganze Interview lesen Sie in der SZ am Wochenendevom 24. Juli.

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