In einem Punkt war der 1850 verstorbene Literat Balzac sehr modern: In seinen Erzählungen richten sich die Frauen nicht nach den Männern. Stattdessen hat er die Männer stets um die Frauen flirren lassen: Was stellen sie nicht alles an, um ihnen zu gefallen? Wie sehr benötigen die Kerle die Damen, um selbst etwas darzustellen? Vater Goriot, das Deutschlandfunk Kultur jetzt als Hörspiel adaptiert hat, ist in Balzacs Werk nur vordergründig eine Ausnahme: Diesmal hat die satirische Gesellschaftsbetrachtung zwar eine männliche Titelfigur und noch mehrere andere männliche Akteure - aber auch deren Schicksal hängt an dem der Frauen.
Der alte Goriot, ein ehemaliger Nudelfabrikant, nimmt den gesellschaftlichen Abstieg in Kauf, um seinen Töchtern den Aufstieg zu ermöglichen. Was schwerer wiegt als der Vermögensverlust ist die Verachtung, die ihm dafür entgegenschlägt: Seine Schwiegersöhne sehen ihn nie als ihresgleichen an, bald distanzieren sich auch die Töchter. Der 2017 gestorbene Schauspieler Hans-Michael Rehberg ist hier in seiner letzten Rolle zu hören als die Realitäten ausblendender, närrisch in seine Töchter Verliebter.
Um Goriot kreisen jüngere Männer, von denen einige naiv und andere gerissen sind. Gemein ist ihnen, dass sie um die Gunst von Frauen ringen - die deren Absichten in der Regel durchschauen. "Wir Frauen haben auch unsere Schlachten zu schlagen", sagt eine der Adeligen, in deren Salons es alle hineindrängt. Als ob das bessere Orte wären.
Helmut Peschina (Bearbeitung) und Judith Lorentz (Regie) fokussieren ihre Fassung auf die Hinterfotzigkeiten der Figuren. Balzacs "Menschliche Komödie", zu der er 91 Romane zusammengefasst hat, darunter auch Vater Goriot, ist eine lustvolle Beschreibung menschlicher Niedertracht, die sich einer Wärme gegenüber ihren Kreaturen nie verschließt. Das macht auch das Hörspiel aus: die Sympathie für all diese Unzulänglichen.
Vater Goriot, Deutschlandfunk Kultur, drei Folgen, jeweils mittwochs, 21.30 Uhr.