Hörfunk:In alter Schönheit

Hörfunk: 20 Jahre dran geblieben: Dietmar Freitsmiedl (l.) und Eberhard Efinger von Radio Lora haben Widerständen getrotzt. Sie würden gern mehr senden.

20 Jahre dran geblieben: Dietmar Freitsmiedl (l.) und Eberhard Efinger von Radio Lora haben Widerständen getrotzt. Sie würden gern mehr senden.

(Foto: Robert Haas)

30 Jahre nach Gründung kehrt am Samstag für einen Tag das Berliner Radio 100 zurück - und damit eine linke Utopie. Freie Radios haben in Zeiten von Facebook Bedeutung eingebüßt. Politisch aber sind sie gewollt wie nie.

Von Stefan Fischer

Achtzigerjahre-Partys sind überaus zweifelhafte Veranstaltungen. Es sei denn, sie berufen sich nicht auf die Mainstream-Kultur dieses Jahrzehnts mit Vokuhila-Frisur bei ihm, Dauerwelle bei ihr, Schulterpolstern bei beiden - und das zur Musik von A-ha. Das größte alternative Milieu dieser Zeit existierte in Berlin, journalistisch gruppierte es sich um die taz und das Stadtmagazin Zitty, beide Ende der 1970er gegründet - und Radio 100.

Wenn nun dieses längst wieder eingestellte Freie Radio am Samstag noch einmal für einen Tag auf der Berliner UKW-Frequenz 88,4 auf Sendung geht, um seine eigene Gründung vor 30 Jahren zu feiern, klingt das nach einer vielversprechenden Party, und in eine solche wird der Tag im Columbia-Theater auch münden. Eine erste Feier gibt es schon Freitagabend, dazu Panels und Diskussionen.

Radio 100 hat in den nur vier Jahren seiner Existenz - von 1987 bis 1991 - eine Wirkung erreicht, von der heutige Freie Radios weit entfernt sind. Der Berliner Sender hatte täglich mehrere Zehntausend und an Spitzentagen sogar mehr als 100 000 Hörer. Die meisten Freien Radios heute haben ein Publikum von wenigen Tausend Menschen. Gleichzeitig jedoch gibt es hierzulande so viele dieser Sender wie nie zuvor. In Summe wächst diese Nische des Hörfunkangebotes also, die sich als dritte Säule des Mediums versteht neben den öffentlich-rechtlichen und den kommerziellen Wellen. Ihre Bedeutung aber ist mit der aus den Gründungszeiten kaum noch vergleichbar - aus Zeiten, in denen mit der Idee des Bürgerradios eine große Utopie verbunden war, die vor allem Menschen mit einer linksliberalen bis -radikalen Grundhaltung einte.

Freie Radios waren vor dem Internet eine große Verheißung, sie boten die einzige Möglichkeit, als Bürger publizistisch und mit relativ großer Breitenwirkung aufzutreten. Die Welt ist heute aber natürlich eine andere, inzwischen kann, wer unabhängig publizieren will, bloggen, Youtube-Videos drehen oder auch einfach seine Meinung auf Facebook zum Besten geben. Diese neue Vielfalt hat den Freien Radios einen Teil ihrer Reichweite und Bedeutung genommen.

Immer mehr Freie Radios erhalten Vollfrequenzen. Sie sind auch ein Feigenblatt

Politisch allerdings sind die Sender heute so gewollt wie nie. Das hat mit der medienpolitischen Einsicht zu tun, dass auch privater Rundfunk in Zeiten von Musikstreamingdiensten wie Spotify mehr sein muss als eine Abspielstation von Mainstream-Pop, wenn die Gattung Radio ihre Relevanz behalten will. In Bayern hat die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) beschlossen, die auch "Community Radios" genannten Sender zu stärken. Aktuell ist die Münchner Frequenz 92,4 ausgeschrieben, die sich bislang lokale Community Radios mit kirchlichen Sendern teilen. Dabei wird es bleiben; wie es jedoch aussieht, bekommen Radio Lora, Radio Feierwerk und Radio München künftig mehr Sendezeit. Immer mehr Freie Radios haben Vollfrequenzen, einige sind über ihr Sendegebiet hinaus bekannt wie etwa Radio Corax in Halle/Saale, das etwa im vergangenen Oktober mit "Radio Revolten", ein viel beachtetes Festival der Radiokunst veranstaltete. Die Unterstützung von Bürgerradios ist für die Politik nicht zuletzt aber auch ein gern genutztes Feigenblatt.

Im Bundesverband Freier Radios sind aktuell 32 Sender zusammengeschlossen, die meisten gibt es in Baden-Württemberg, das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen hingegen hat mit dem Kölner Punksender indessen nur ein Freies Radio, das obendrein keine UKW-Frequenz hat. Wobei Freie Radios sich noch einmal unterscheiden von den offenen Kanälen. Die offenen Kanäle sind Radio-Plattformen. Jeder Bürger kann beantragen, dort eine Sendung auszustrahlen. Die Freien Sender begreifen sich indessen eben als Sender, mit einer Gesamtverantwortung für das Programm. Sie sind nicht gewinnorientiert, senden demnach keine Werbung, arbeiten basisdemokratisch und haben sich in der Verbands-Charta zu "informativem und kritischem Rundfunk" verpflichtet. Den Sendebetrieb finanziert in der Regel die zuständige Landesmedienanstalt. Der Verband der Freien Radios fordert, dass seine Mitglieder Mittel aus der Rundfunkgebühr zur Verfügung gestellt bekommen, und zwar ausreichend, um ein Vollprogramm senden zu können - unentgeltlich, auch das ist ein Prinzip Freier Radios.

Sie sind puristischer, als es das jetzt kurzzeitig wiederbelebte Radio 100 je sein konnte. "Das war ein kommerzieller Sender", sagt Andreas Baier. Die Kosten von rund 25 000 D-Mark pro Monat für die Frequenz, die Miete und die Nachrichtenagenturen seien über Werbung eingespielt worden, so Baier. Seinerzeit war der Selfmade-Tontechniker bei Radio 100 dabei.

Privaten Rundfunk gibt es seit 1984. Die Vorstellung von Sendern mit Anspruch hielt nicht lange

In den 1980er-Jahren war der Radiomarkt in Deutschland überschaubar, privater Rundfunk wurde 1984 zugelassen, und eine Zeit lang hielt sich in der Medienpolitik die Vorstellung, dass es inhaltlich relevanten, anspruchsvollen privaten Hörfunk geben könne. Bis heute hat sich das in wenigsten Fällen bewahrheitet. Auch deshalb hat Radio 100 nach fünf Jahren Insolvenz angemeldet.

Freie Radios sind bis heute auch auf einem anderen Gebiet relevant: in der Talentförderung - vor allem dort, wo es anders als etwa in München (M 94,5) oder Leipzig (Mephisto 97,6) keine Ausbildungs- oder Campusradios gibt. "Wir haben viel Zuwachs von jungen Leuten", sagt Andreas Baier - Menschen, die für die Öffentlich-Rechtlichen noch zu unerfahren sind oder ihre Kreativität weder dort noch bei den Kommerziellen ausleben können. "Bei uns sitzen nicht alte Säcke herum und betreiben Selbstbespaßung, sonst würde ich es auch nicht mehr machen." Nur beim Jubiläum darf gerne Nostalgie aufkommen.

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