Hitlers Tagebücher:Absturz im Birnenschorf

Der Stern, Gerd Heidemann

Stern-Reporter Gerd Heidemann (rechts) am 25. April 1983 mit den vermeintlichen Hitler-Tagebüchern.

(Foto: dpa)

Hitlers angebliche Tagebücher wurden am Ort eines tatsächlichen Flugzeugunglücks im sächsischen Börnersdorf "gefunden". 30 Jahre nach der "Stern"-Affäre steht der Ort noch im Bann der Geschichte.

Von Cornelius Pollmer

Manchmal genügt ein Wort, um die ganze Geschichte zu erzählen. Es gibt so ein Wort für ein sonderbares Dorf südlich von Dresden, und dieses Wort fällt in einer wunderbaren Szene von "Schtonk!". Rolf Hoppe liest darin aus den Hitler-Tagebüchern vor, er versucht es zumindest, denn er kann die Handschrift kaum deuten. Am Schluss einer Passage blickt Hoppe auf und sagt so etwas wie "Birnenschorf". Unter den Zuhörern steht Karl Schönböck und schlussfolgert wie vom Blitzkrieg getroffen: "Börnersdorf".

Schönböck spricht diesen Namen nicht aus, er haucht ihn. Es ist ein gewaltiges Erstaunen in seiner Stimme, man ahnt da schon, dass seine Erkenntnis viel größer sein muss als die Wahrheit. Und so ist es in Börnersdorf ja tatsächlich gewesen, in diesem Ort, der sich heute so still in die wellige Landschaft duckt. An dem sich aber wirkliche Geschichte mit medialer in einer Weise verwoben hat, das einem noch heute ganz schwindelig werden kann.

Die wirkliche Geschichte geht so: Am 21. April 1945 macht sich die Junkers 352 von Fliegermajor Friedrich Anton Gundelfinger auf den Weg von Berlin nach Salzburg. Gegen 6 Uhr bleibt sie beim Versuch notzulanden kurz vor einer Lichtung an den Baumwipfeln hängen und stürzt ab. An Bord sind Kisten aus der Reichskanzlei, in ihnen lagert Wichtiges und Wertvolles, jedoch nicht: Adolf Hitlers Tagebücher.

Das aber behauptet später der Großfälscher Konrad Kujau gegenüber dem Stern-Reporter Gerd Heidemann. Dieser reist Anfang der Achtziger zwei Mal und in Begleitung der Staatssicherheit nach Börnersdorf. Den tatsächlichen Absturz und die real existierenden Gräber der Insassen wertet er als entscheidenden Beleg für die Glaubwürdigkeit Kujaus. Der Rest ist Mediengeschichte: Der Stern präsentiert im April 1983 breitbeinig den "größten journalistischen Coup der Nachkriegszeit", wenig später stellt sich das Watergate als Waterloo heraus. Der Stern und die Veröffentlichung der erfundenen Tagebücher, das ist noch heute ein Paar im Medienmemory.

"Kujau, Kujau, Kujau"

In Börnersdorf hat sich die fingierte Geschichte in die tatsächliche hineingefressen, und wenn man herausfinden möchte, was das für den Ort bedeutet, dann muss man Peter Ertel anrufen. "Kujau, Kujau, Kujau. Ich kann's nicht mehr hören", sagt er gleich nach dem Hallo. Dann spricht man doch eine Weile, denn andererseits, das stimmt ja auch: "Ohne die Tagebücher würde sich kein Mensch für Börnersdorf interessieren."

Interesse ist ein zu kleines Wort für das, was Peter Ertel mit Börnersdorf verbindet. Es ist mindestens Faszination, wahrscheinlich sogar mehr. Ertel, 64, lebt im mittelsächsischen Döbeln, er ist Diplom-Museologe und besaß einmal die größte Blechspielzeugsammlung Deutschlands. Sie wurde ihm 2002 von der Flut genommen. "Ich hatte nichts mehr. Das war der richtige Startschuss." Und zwar für seine Nachforschungen über den Flugzeugabsturz. Zwischenbilanzieren kann man diese am besten in Ertels Büro oder bei einer gemeinsamen Fahrt durch Börnersdorf.

Weit mehr als 100 Ordner umfasst Ertels Archiv, geordnet nach Personen, Orten, Ereignissen. In einer Vitrine liegen verkohlte Splitter der Geschichte: die Kopfhörermuscheln eines Funkers, Flugzeugteile, ein Taschenmesser. Ertel hat in Börnersdorf immer mal wieder gesucht und gegraben, vor zwei Jahren erst fand er am Waldesrand zwei Weinflaschen aus der Junkers. Fährt man mit ihm durch den Ort, fällt Ertel immer wieder in ein historisches hier: "Hier sehe ich noch die Panzer stehen ... hier die Flak ... hier die Hitlerjugend." Die vielen Fotos, Gespräche, Unterlagen verdichten sich in seinem Kopf zu einem Bild: So muss es gewesen sein, damals.

In der Vitrine in Döbeln stehen auch "Die geheimen Tagebücher des Konrad Kujau", ihr mutmaßlicher Verfasser hat sie für Peter Ertel gleich mehrfach signiert. Unter der Widmung steht die Unterschrift Kujaus - aber eben auch die von Chagall, Hitler, Renoir. "Kujau hat wirklich alle verarscht", sagt Ertel. Als er den Fälscher 1996 auf einer Messe in Stuttgart kennenlernte, fragte er ihn: "Du kommst doch auch aus der DDR, oder?" Kujau antwortete: "Klar. Ich habe ja auch die FDJ-Hymne erfunden."

Deutsch-deutsche Groteske in Börnersdorf

Ertel wog damals deutlich mehr als heute, er sah Kujau recht ähnlich, und es überrascht vielleicht nicht, dass sich ein Mann wie Kujau für ein Fast-Abbild seiner selbst interessiert. Die beiden Männer aus Sachsen blieben in Kontakt. Zunächst interessierte sich Ertel nur für die Person und den Fälscher, in seiner Galerie in Döbeln bot er zeitweise einen, nun ja, echten Kujau zum Verkauf an. "Als er dann starb, wollte ich wissen, was in Börnersdorf wirklich passiert ist", sagt Ertel.

Dieser Frage geht auch ein sehenswerter Film der Münchner Produktion Bilderfest nach, an dem Ertel mitgearbeitet hat und der am kommenden Montag um 23.30 Uhr in der ARD ausgestrahlt wird. Der Film berichtet davon, wie der Stern-Reporter Gerd Heidemann eine frühe Form des Enkeltricks benutzte, um sich Zugang zu den Menschen im Ort zu verschaffen. Er erzählt, wie zunächst die Stasi, später die Weltpresse und nach der Wende die Militaria-Jäger in den Ort eingefallen sind. Und er fügt all das zusammen zu einer "deutsch-deutschen Groteske, die die Kinder von Börnersdorf ein Leben lang beschäftigen" sollte, über die sie viel gesprochen haben - "nur nicht mit anderen".

Manchmal hinterlassen Medien mehr verbrannte Erde als das ausgeloderte Wrack eines dreimotorigen Transportflugzeugs. Peter Ertel aber vertrauen die Börnersdorfer. Obwohl er keiner von ihnen ist und obwohl er sich selbst zum Ortschronisten ausgerufen hat. Aber er kümmert sich. Wenn Ertel nach Börnersdorf kommt, dann fährt er manchmal zu einer Fleischerei in der Nähe, um dort Wurst zu kaufen und sie dem ehemaligen Stern-Redakteur Thomas Walde zu schicken. Walde war damals mit Heidemann in Sachsen und verantwortete als Ressortleiter die Recherche. Den Leuten im Dorf wiederum bringt Ertel selbst gemachte Postkarten mit, gerade hat er Helfried Leuteritz einen kleinen Stapel in die Hand gedrückt.

"Ich war der erste an der Absturzstelle", sagt Leuteritz. Er sitzt in seinem Wohnzimmer, braungrauer Teppich, das Sofa in beige-grauem Möbelhaus-Camouflage. Die Zimmertemperatur: holzofenmollig. Im April 1945 war Leuteritz sieben Jahre alt, ein Schüler der zweiten Klasse, und wie sein Vater: Frühaufsteher. Er belauschte seine Eltern im Stall, und hörte, wie sein Vater von dem Absturz erzählte. Leuteritz rannte sofort los zu einem Weg, den sie Buttersteig nannten, nach zehn Minuten war er außer Atem angekommen bei dieser Wiese am Heidenholz. "Einige Insassen waren verbrannt, andere haben noch geschrien", sagt Leuteritz. Er sah noch, wie Männer Holz- und Metallkisten forttrugen, zwei Mann pro Kiste, dann wurde er verscheucht.

"Wir reden wirklich noch viel darüber", sagt Helfried Leuteritz. "Auf eine Art ist das nur eine Erinnerung - aber irgendwie ist es auch ein Geschehen, das niemandem aus dem Kopf geht." Denn es gibt immer diese ungeklärte Frage - drei der Absturzopfer sind bis heute nicht identifiziert. Wer waren die drei Toten? "Für mich wäre es die größte Freude, diese Frage zu beantworten", sagt Peter Ertel. Das sei sein Ziel, "und das erreiche ich auch. Das wird mich bis an mein Lebensende beschäftigen." Er sei im übrigen kurz davor, ein Geheimnis zu lüften, "aber da kann ich Ihnen jetzt noch nichts sagen."

Vermutlich ist es ein anderes Geheimnis als jenes, von dem Helfried Leuteritz glaubt, dass es sein Vater mit ins Grab genommen hat. Es gebe da eine Sache, sagt er, der Vater habe ihm das mehrfach angedeutet und ihm versprochen: "Das sage ich nur Dir persönlich, wenn ich mal auf dem Sterbebett liege." Allerdings erlag der Vater später einem Schlaganfall, er wurde erst dreieinhalb Stunden später gefunden.

Was könnte das für ein Geheimnis gewesen sein? Sanftes Lächeln, ein kurzer Blick nach draußen, Nuscheln. Es gehe um die nicht identifizierten Toten, sagt Leuteritz.

Aber Sie glauben doch nicht, dass Hitler ... Leuteritz nickt leicht, seine Augen leuchten. "Na, was glauben Sie denn?"

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