Historisches im deutschen TV:Gesendete Geschichte

Bornholmer Straße

Etwa sieben Millionen Zuschauer verfolgten Anfang November die Mauerfallkomödie Bornholmer Straße in der ARD.

(Foto: MDR/UFA FICTION/Nik Konietzny)

Von Nazizeit bis Mauerfall: Fiktional aufbereitete Zeitgeschichte erzielt im deutschen Fernsehen hohe Zuschauerzahlen. Warum eigentlich? Auf Spurensuche mit einem Produzenten, einem Regisseur und einem Medienpsychologen.

Von Matthias Kohlmaier

"Ich schau halt nicht mehr so viel fern wie früher. Und wenn doch, dann schau ich mir Sachen an, wo ich sagen kann: Da profitiere ich! Geschichte zum Beispiel, das schaue ich mir an, da lernst du was, das ist interessant. Ich habe ja lange wirklich nicht gewusst, wie weit Geschichte zurückgeht."

Dieser Passus, freilich etwas verknappt und ins Hochdeutsche übersetzt, entstammt einer großartigen Nummer des Kabarettisten Gerhard Polt. Wenngleich der damit auf das große Ganze hinauswill, so trifft seine Aussage auch ganz konkret auf den deutschen Fernsehzuschauer zu: Fiktional aufbereitete Zeitgeschichte interessiert das Publikum. Filme über historische Ereignisse sorgen verlässlich für hohe Quoten und dementsprechend Freude bei den Sendeanstalten.

Viele große TV-Projekte der vergangenen Jahre haben genau dieses Bedürfnis der Zuseher bedient. Der Weltkriegsmehrteiler Unsere Mütter, unsere Väter war 2013 aller Kritik zum Trotz ein Publikumsmagnet, in jüngster Vergangenheit feierte Regisseur Christian Schwochow mit der Mauerfallkomödie Bornholmer Straße einen Erfolg, der ZDF-Film Das Zeugenhaus über die Nachkriegsprozesse 1946 lockte an einem Montagabend mehr Zuschauer vor die TV-Geräte als in der Woche zuvor auf demselben Sendeplatz ein Film aus der beliebten Reihe Spreewaldkrimi.

Das Gros der Deutschen hat im schulischen Geschichtsunterricht lieber kleine Zettelchen mit allerlei unterrichtsfernen Botschaften verfasst als des Lehrers Ausführungen zu folgen, ist aber mit Interesse bei der Sache, sobald das Ganze in bunten Bildern aufbereitet vom heimischen Sofa aus zu konsumieren ist. Woran liegt das?

Allein an den Fakten wohl kaum, sagt Medienpsychologe Frank Schwab, Lehrstuhlinhaber an der Universität Würzburg: "Eine Geschichte mit Anfang, Höhepunkt und Ende, die zusätzlich noch an einem Konflikt entlang erzählt ist, hilft uns, Ordnung in unser Wissen zu bringen." Das zeigt sich auch daran, dass reine Dokumentationen zu einem historischen Thema weniger Zuschauer finden als Spielfilme desselben historischen Inhalts. Das Fernsehpublikum will eine Geschichte erzählt bekommen, sagt Schwab, und: "Will man ein breites Publikum erreichen, scheint es mir ratsam, ein gewisses Maß an Fiktion zuzulassen."

Filmische Wissensvermittlung

Will heißen: Ohne die amourösen Abenteuer der Wanderhure wäre das Mittelalter im gleichnamigen Mehrteiler gewiss für viele Zuschauer weit weniger interessant und ebenso deutlich weniger lehrreich gewesen. Das menschliche Gedächtnis neige dazu, sich episodisches Material besser zu merken als reine Fakten, sagt Schwab.

Der TV-Konsument hofft also bei Filmen über Nazis, Stasi et cetera unter anderem auf Vermittlung des seinerzeit beim schulischen Zettelschreiben versäumten Wissens - gerade, wenn es sich um die Historie des eigenen Landes handelt. "Wenn es in fiktional aufbereiteten historischen Stoffen um die Geschichte des Heimatlandes geht, hoffen viele Zuschauer nicht nur darauf, unterhalten zu werden, sondern auch darauf, etwas zu lernen", sagt Schwab. Im Umkehrschluss: Hätte der Geschichtslehrer, als es um die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ging, ein paar Liebesgeschichten eingefügt, statt nur über die ständigen Kriege zu referieren - wir alle wüssten heute vermutlich besser über Otto von Bismarck Bescheid.

Altbekanntes neuartig erzählt

Warum erfinden die Autoren dieses Landes ständig Geschichten, wenn auch ein leicht getuntes Schulbuch als Skript genügen würde? Weil es natürlich ganz so einfach nicht ist. "Es wäre sehr kurz gedacht, wenn wir ständig sagen würden: Das ist eine historische Geschichte, dafür interessieren sich alle Zuschauer, das setzen wir um", sagt Oliver Berben, Produzent von Zeugenhaus und diverser anderer Filme aus dem zeitgeschichtlichen Genre. Es sei bei solchen Filmen elementar, "einen Aspekt der Geschichte zu finden, der dem Zuschauer etwas Neues bietet". Die Nazizeit mag also grundsätzlich ein Quotenbringer sein, aber ein Film darüber muss schon etwas Unbekanntes - oder wenigstens etwas Bekanntes auf neuartige Weise - erzählen, um gut angenommen zu werden.

Eben dieses erfrischende Erzählen altbekannter Dinge machte Bornholmer Straße so erfolgreich. Vom Mauerfall hatten schon zig Filmemacher berichtet, aber kaum einer hatte so wie Christian Schwochow die Chuzpe, der historischen Zeitenwende mit Humor zu begegnen. "Wir haben uns an dieser Geschichte schon so sehr abgearbeitet", sagt der Regisseur selbst über seinen Film, "wir müssen dafür neue erzählerische Formen finden." Und weiter: "Ich würde mir wünschen, dass wir gerade für das jüngere Publikum mutigere, radikalere Erzählweisen von zeithistorischen Stoffen ausprobieren."

Was wird weggelassen und was hinzugefügt?

Dieser Mut und diese Radikalität erfordern dabei vor allem auch: Kreativität. Denn egal, wie viele Daten zu einer Geschichte auf dem Tisch liegen, manches kann der Filmemacher, der Produzent, der Regisseur niemals wissen. Und so gibt es natürlich auch im Film über Zeitgeschichtliches dramaturgische Entscheidungen zu treffen, muss überlegt werden, wie die Menschen wohl hinter verschlossenen Türen miteinander geplaudert haben, was man weglassen kann - und was man womöglich hinzufügen muss.

Die Gräfin, im Zeugenhaus von Oliver Berbens Mutter Iris verkörpert, hat es zum Beispiel so im wirklichen Leben nie gegeben. Sie ist Fiktion, eingebettet in reale Begebenheiten. Solcherlei Kniffe dem Zuschauer beizubringen, ist eine Kunst. Er muss jedoch zwingend wissen, da sind sich Produzent, Regisseur und Medienpsychologe einig, was Realität ist und was erfundene Beigabe. Bei historischen Fakten habe man als Filmemacher die Verpflichtung, "keinen Unfug zu treiben", sagt Berben; eventuell müsse man dem Publikum das Gesehene in einer dem Spielfilm nachgelagerten Dokumentation erklären. Forscher Schwab meint: "Man sollte durch die Art des Erzählens klar machen, dass es sich um die Inszenierung einer auf Tatsachen beruhenden Begebenheit handelt."

Vor eben solch einer filmemacherischen Aufgabe - unzählige Fakten liegen vor, vieles ist dennoch unklar - steht Christian Schwochow. In einem geplanten ARD-Dreiteiler über den NSU, quasi Teil der jüngsten deutschen Zeitgeschichte, wird er für Teil eins verantwortlich sein. Eine reine Geschichtsstunde soll es nicht werden. "Wir wissen mit großer Sicherheit, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gefährliche Terroristen waren und viele Menschen umgebracht haben. Wir wissen auch, dass Nazis schlechte Menschen sind. Aber nur das zu illustrieren, würde mich nicht interessieren", sagt Schwochow. Er werde sich diesen Menschen, insbesondere Beate Zschäpe, "so nähern, als wäre sie meine Klassenkameradin gewesen".

Dafür wird eine Menge Verquickung von Realität und Fiktion notwendig sein. Aber die braucht es ja nach Meinung des Medienpsychologen ohnehin, damit das Publikum sowohl unterhalten werden, gleichzeitig aber auch seiner Erwartung gemäß etwas lernen kann. Kabarettist Gerhard Polt weiß schließlich auch erst, seit er die ganzen Filme über den Kaiser Nero gesehen hat, "dass der Peter Ustinov Rom angezündet hat".

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