Historienfilme:Wenn Tschechien fürs Fernsehen zu Deutschland wird

TANNBACH - Schicksal eines Dorfes (2)

Tannbach erzählt die Geschichte eines geteilten Dorfes an der innerdeutschen Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Kulisse für den Film bot ein böhmischer Weiler.

(Foto: Stephan Rabold/ZDF)

Wann immer deutsche TV-Macher vom Krieg oder vom Mittelalter erzählen wollen, kommt Tschechien als Drehort in Frage. Daran gibt es auch Kritik.

Von David Denk

Jedes Mal, wenn Jiří die schwarze Wollmütze in seiner Hand sinken lässt, wird auf der Besuchertribüne gemurmelt und protestiert. Die 102 Komparsen sind herausgeputzt, wie es sich im Jahr 1950 gehört: Männer tragen Fliege zum Anzug, Frauen Hut zum Kleid - vor allem aber sind sie bestens dressiert.

Deutsch verstehen die wenigsten, ihren Einsatz verpassen sie trotzdem nicht, auch nicht als die Probe vorbei ist und sie ohne den dritten Regieassistenten und dessen Mütze auskommen müssen.

Die Kleinstadt Mladá Boleslav, nordöstlich von Prag: Im verlassenen Justizgebäude ist wieder was los - wenn auch nur für einen Tag und in einem Trakt. Unter der Regie von Matthias Glasner (Blochin) entsteht hier eine Gerichtsszene für den ZDF-Zweiteiler Landgericht , der keineswegs in Tschechien spielt, aber dort gedreht wird, wie inzwischen ein großer Teil der deutschen Fernsehfilme.

Vor allem dann, wenn sie, wie Landgericht, nicht in der Gegenwart spielen. Die Szene spielt in Mainz, was in Landgericht ebenso in Tschechien liegt wie England. Etwa zur Hälfte entstand der Film in und um Prag. Am vergangenen Mittwoch fiel nach 57 Drehtagen in Havanna (dem echten!) die letzte Klappe.

Etwa 50 zumeist historische Filme aus der ganzen Welt werden jedes Jahr in Tschechien gedreht - und das deutsche Fernsehen gehört hier zu den allerbesten Kunden: 2014 waren es zehn Produktionen, davon acht fürs TV, die 36,4 Millionen Euro im Nachbarland ausgegeben haben.

Geld vom Staatsfonds

Tschechische Historien-Produktionen prägen unser an inhaltlichen Experimenten eher armes Fernsehen ähnlich stark wie die unzähligen Regionalkrimis.

Die Orientierung nach Osten liegt zum einen daran, dass sich hier Dörfer finden, in denen man ohne ganz großen Kulissenaufwand Nachkriegsatmosphäre schaffen kann.

Vor allem aber hat die Entscheidung "rein pragmatische Gründe", sagt Michal Pokorný, der mit seiner Prager Firma Mia Film Landgericht koproduziert, allen voran finanzielle. Seit 2010 zahlt der sogenannte Staatsfonds für Kinematografie 20 Prozent der in Tschechien anfallenden Herstellungskosten an die Filmemacher zurück: "Da muss man die Tschechen noch nicht mal mögen." Pokorný scheint für Illusionen nicht sehr anfällig zu sein.

"Zutiefst erzählenswertes Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte"

Die Pilgerin

Josefine Preuß als "Tilla" in Die Pilgerin - ebenfalls gedreht in Tschechien.

(Foto: Jirí Hanzl/ZDF)

Nico Hofmann, Geschäftsführer der Ufa, unter deren Dach auch Landgericht entsteht, arbeitet viel und gut mit Pokornýs Firma zusammen. Trotzdem sagt er: Es sei "höchste Zeit" für steuerliche Anreizmodelle, um die Abwanderung von "High-End-Movies und -Serien" aus Deutschland nach Tschechien einzudämmen. Statt dass Produktionen wie Tannbach über ein Dorf nach dem Zweiten Weltkrieg, Mittelalter-Spektakel wie Die Wanderhure und Das Geheimnis der Hebamme oder eben Landgericht in Deutschland entstehen, fließt das Geld nach Tschechien.

Nach dem Roman von Ursula Krechel erzählt Landgericht von dem jüdischen Richter Richard Kornitzer (Ronald Zehrfeld), der nach Jahren im kubanischen Exil 1947 versucht, wieder an sein von den Nazis geraubtes Leben in Deutschland anzuknüpfen. Doch schnell muss er feststellen, dass seine von den Umständen getrennte Familie zerbrochen ist, und auch in seinem früheren Beruf hat niemand auf Kornitzer gewartet.

Klassischer öffentlich-rechtlicher Fernsehstoff. Produzent Benjamin Benedict nennt den Roman einen "großen Wurf" Krechels. Landgericht schlage ein "erstaunlicherweise nahezu unerzähltes, aber zutiefst erzählenswertes Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte" auf.

Für die ausführende Produzentin Verena Monssen, Benedicts Stellvertreterin am Set, ist Landgericht nach der Mittelalterstory Die Pilgerin und dem KZ-Drama Nackt unter Wölfen die dritte Ufa-Produktion in Prag. "Fast wie eine zweite Heimat" sei die Stadt. "Man kennt die Wege, kennt die Teams."

Ihr Chef Benedict betont lieber die "sehr, sehr guten Produktionserfahrungen sowohl in der Auswahl möglicher Motive als auch in der Qualität des Produktionshandwerks" und natürlich das "tschechische Wirtschaftsförderungssystem".

Nur fünf Brocken Tschechisch

Jeanette Latzelsberger wohnt schon seit September 2015 in Prag, sie hat zuvor die Darsteller der ARD-Serie Charité geschminkt. Auch nach gut einem halben Jahr spreche sie nur etwa fünf Brocken Tschechisch. Die Arbeitssprache zwischen Deutschen und Tschechen am Set ist Englisch, untereinander wird in der Muttersprache kommuniziert.

Die meisten Heads of Departments sind Deutsche, der Großteil ihrer Mitarbeiter Tschechen, babylonisch geht es zu am Set.

Den tschechischen Teil des Teams hat Michal Pokorný zusammengestellt, der Mann mit dem nüchternen Blick auf sein Gewerbe. Er produziert auch selbst (Muxmäuschenstill, Oh Boy); als Service-Produzent ist er Dienstleister für deutschsprachige Film- und TV-Produktionen in Tschechien.

"Die Leute hier sind belastbar"

Vor allem aber ist er der Mann, der das Geld ranschafft: Wer Mittel aus dem Kinematografie-Fonds beantragt, muss in Tschechien einkommenssteuerpflichtig sein. Pokorný zufolge ist das Interesse seit der gesetzlichen Verankerung der Rückerstattung vor zwei Jahren noch mal gestiegen. Deutsche lieben Planungssicherheit.

Nach gut 20 Jahren in Berlin pendelt Pokorný, 47, wie so viele seiner Kunden zwischen den Städten. Dreieinhalb Stunden, nicht die Welt. Zu den rein pragmatischen Gründen für den Produktions-Boom in Tschechien gehört natürlich auch, dass "der Beleuchter hier 30 Prozent weniger kostet als in Deutschland". Und dafür sogar länger zu arbeiten bereit sei, zwölf statt zehn Stunden pro Drehtag. "Die Leute hier sind belastbar", sagt Pokorný, "und die Gewerkschaften eher schwach."

Produzenten bleibe "oft keine Wahl, als dort zu drehen, wo es deutlich billiger ist als in Deutschland", sagt Alexander Thies, der Vorsitzende der Produzentenallianz. "Während andere Länder durch Steueranreize und andere Förderinstrumente dafür sorgen, dass die Produktionskosten auch für Serien und Fernsehfilme international konkurrenzfähig sind, wird in Deutschland vor allem der Kinofilm gefördert", so Thies.

"Neue steuerbasierte Anreize" könnten "nicht nur die heimische Filmwirtschaft stärken, sondern auch Hunderte Millionen Euro in die Volkswirtschaften spülen". Produzent Nico Hofmann sagt: "Für die Ufa ist es wichtig, schnell mit der Politik in einen Dialog zu treten und unser Anliegen zu formulieren." Sonderlich konkret klingt das freilich nicht, in Prag wird also vorerst munter weitergedreht.

In der späten Mittagspause an diesem 24. Drehtag von Landgericht lädt Ronald Zehrfeld in seinen Wohnwagen. Auch für ihn ist es nicht der erste Dreh in Prag. Einen "Hauch von Klassenfahrt" spüre er jedes Mal.

Produktions-Boom als Rückkehr zu alter Stärke

Zehrfeld erinnert, als erster und einziger der Gesprächspartner, an die "große tschechische Filmtradition": "Zu Ostzeiten wurden hier die fantastischen Kindermärchenfilme gedreht", Filme wie Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Demzufolge begreift er den Produktions-Boom als eine Rückkehr zu alter Stärke.

Kaum sind die einen Deutschen weg, kommen schon wieder die nächsten. Mitte Juni ist Vergeltung zu Gast, eine ZDF-Produktion mit Nadja Uhl, "wieder eine Nachkriegsgeschichte, diesmal allerdings aus Ostdeutschland".

Pokorný und seine zehn festen Mitarbeiter müssen noch allerhand organisieren, Unterkünfte, Drehorte, Drehgenehmigungen, das Übliche. Ein Ende ist nicht absehbar. Pokorný sagt: "Die Maschinerie läuft weiter."

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