Helmut Schmidt bei Beckmann:Odyssee zwischen China und München

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Welche Rolle spielt China in der Weltpolitik? Helmut Schmidt, Reinhold Beckmann und Yu-chien Kuan diskutieren.

(Foto: dpa)

"Zwei Männer, ein Thema", so die Idee. Doch bei Beckmann wird sie nicht umgesetzt. Professor Yu-chien Kuan wird beim Thema China nur als Sidekick eingebunden und Helmut Schmidt beantwortet die meisten Fragen sehr frei formuliert bis gar nicht. Und da ist noch der Moderator, der sich heillos verzettelt.

Eine TV-Kritik von Oliver Klasen

Tom Buhrow, der Tagesthemen-Moderator, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die Sendung, die direkt danach im Ersten laufen soll. Den "Audience-Flow" erhalten, sagen die Fernsehleute dazu, also Zuschauer von einem Programm ins andere hinüberretten. "Jetzt gleich bei Reinhold Beckmann: Zwei Herren, ein Thema", sagt Buhrow also. Zu Gast seien Altkanzler Helmut Schmidt und der Sinologie-Professor Yu-chien Kuan, die seit mehr als 20 Jahren befreundet sind. Es geht um Chinas Rolle in der Weltpolitik.

Ob Buhrows Überleitung tatsächlich Zuschauer zu Beckmann hinübergerettet hat, sei einmal dahingestellt. Fest steht, dass der Tagesthemen-Mann falsche Versprechungen gemacht hat. Doch kein Vorwurf! Buhrow konnte schließlich nicht ahnen, mit welcher Taktik sich Beckmann durch die Sendung manövrieren würde.

Nach der Hälfte verzettelt sich Beckmann

Okay, anfangs ist China tatsächlich das dominierende Thema. Schmidt erzählt von seiner ersten Reise nach Peking im Jahre 1975. Es war der erste Besuch eines deutschen Bundeskanzlers damals. Mao Zedong herrschte über China in den letzten Zügen seiner Kulturrevolution. Kurz zuvor hatte er einen Schlaganfall erlitten, "aber sein Verstand war klar", so erinnert sich Schmidt. Es habe noch keine Autos in China gegeben, die Menschen lebten nicht wie heute "in Hochhäusern übereinander", sondern "in Hütten nebeneinander". Auch nach dem Umgang mit Menschenrechten fragt Beckmann. Natürlich. Außerdem nach den immer noch enormen Wachstumsraten Chinas und der latenten Angst des Westens vor dem Reich der Mitte.

Doch irgendwann, kurz nach der Hälfte der Sendezeit, beginnt der Moderator sich zu verzetteln. Kommt plötzlich auf Europa zu sprechen. Krise der Institutionen, zu schnelle Erweiterung, immer neue Rettungsschirme, Politik des Durchwurschtelns, die hässlichen Bilder von Angela Merkel mit Hakenkreuzbinde. Uli Hoeneß und die Gerechtigkeitsdebatte, der NSU-Prozess in München. Sind wir eine Gesellschaft von Zockern geworden? Muss man Steuerhinterziehung stärker besteuern? Warum wird Peer Steinbrück nicht geliebt?

Schmidt bevorzugt es, auf die allermeisten dieser Fragen sehr frei formuliert bis gar nicht zu antworten und Yu-chien Kuan, der Sinologie-Professor, hat während all der Zeit höchstens so viel Redeanteil wie Manuel Andrack damals als Sidekick in der Late-Night-Show eines anderen Herrn Schmidt.

"Wie viel Kritik an China ist erlaubt?"

Vielleicht schweift Beckmann aus Verzweiflung ab, weil leider bei den Fragen zu China nicht viel herauskommt. Es ist die alte Schmidt'sche Außenpolitik-Doktrin: China brauche keine Belehrung von außen. Er sei prinzipiell dagegen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Die Menschenrechte seien ein Erzeugnis der westlichen Kultur, das sich nicht missionarisch auf die ganze Welt übertragen lasse. Es ist schwer, dem Altkanzler in diesem Punkt in die Enge zu treiben, wenn die Frage lautet: "Wie viel Kritik an China ist erlaubt?"

Dabei hatte die Redaktion zuvor einen richtigen Impuls gesetzt: Ein Einspielfilm mit Sicherheitskräften, die gegen Oppositionelle vorgehen und Bildern des Tiananmen-Massakers von 1989. Schmidt hatte in seinen Texten und auch in seinem neuen Buch, das der äußere Anlass für die Sendung war, Verständnis für die Reaktion der damaligen Führung gezeigt und auch die Opferzahlen des chinesischen Roten Kreuzes in Zweifel gezogen. Hier hätte Beckmann nachhaken können, doch es blieb bei unverbindlichen Floskeln.

Auch die Biografie Kuans wäre durchaus spannend gewesen: In den sechziger Jahren aus dem Kommunismus über Kairo nach Deutschland geflohen, seit 1969 in Hamburg, Studium der Geschichte, später Buchautor, Dozent an der Universität, außerdem Helmut Schmidts Berater in Fragen der deutsch-chinesischen Beziehungen. Der habe ihm beigebracht, China "mit einem dritten Auge" zu sehen, "ganz objektiv", sagt Kuan. Mit Hilfe des Altkanzlers habe er gelernt, weniger emotional zu reagieren und sich dadurch seinem Heimatland nach Jahren der inneren Distanz wieder etwas annähern können. Wie diese Gespräche verlaufen sind und welche Argumente Schmidt dabei angebracht hat, darüber hätte man gerne mehr gewusst.

Odyssee als Nachtlektüre

Immerhin erfahren die Zuschauer noch, wie Schmidt seine tägliche Nachtlektüre auswählt. Er greift einfach ins Regal und zieht zufällig ein Buch aus seiner riesigen Sammlung heraus. Derzeit liest er gerade noch einmal Homer, den griechischen Dichter. Was ihm das heute bedeutet, will Beckmann wissen. "Keine Ahnung. Ich bin erst in der ersten Hälfte der Odyssee", sagt Schmidt.

"Ein paar Jahre habe ich vielleicht noch", hatte Schmidt Ende 2010 gesagt, kurz nach dem Tod seiner Frau Loki. Vergangenes Jahr war er noch einmal in China. "Ein letzter Besuch", heißt das Buch, das von dieser Reise handelt, die nur möglich war, weil ihn ein Arzt und eine Pflegerin begleiteten. "Vielleicht werde ich noch einmal nach Moskau fliegen", sagt der ehemalige Bundeskanzler. Sicher auch noch mal nach England und auf jeden Fall nach Frankreich, zu seinem Freund Valéry Giscard d'Estaing, mit dem er 1979 die Vorstufe des Euro geplant hatte. "Es geht mir derzeit erstaunlich gut", sagt Schmidt jetzt, und trotzdem gibt er offen zu: Es ist eine Abschiedstour.

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