Heidi Klum "Project Runway":Warum Amerika die blonde Heidi liebt

"Auf Wiedersehen" - mit Project Runway ist Heidi Klum in den USA ein Star geworden. Wie das sein kann, zeigt die neueste Staffel.

Patrizia Barbera

Ricky ist dem Nervenzusammenbruch nahe. Aus den verquollen Augen des 35-jährigen Kaliforniers schießen Tränen, seine Stimme zittert. Aufgelöst stottert er in die Kamera: "Ich will, dass Sarah mein Outfit mag!" Ricky Lizdale ist einer von 15 ehrgeizigen Jungdesignern, die in der vierten Staffel von Heidi Klums amerikanischer Castingshow Project Runway, die der Fernsehsender Viva immer dienstags um 21:30 Uhr ausstrahlt, um 100.000 Dollar Startkapital kämpfen.

Das Ziel ist die eigene Modelinie, ein Auto und ein gefälliger Artikel im Modemagazin Elle. Sarah wiederum ist Sarah Jessica Parker, Star der US-Serie Sex and the City und Gastjuror der Sendung.

In dem Fernsehstück spielt die Frau jene Carrie, die von Mode besessen ist und nur die angesagten Designer-Klamotten trägt. Auch privat setzt sich Sarah Jessica Parker durch teure Desingermode in Szene und gilt als Mode-Ikone. Für ihre Modelinie Bitten sollen die Kandidaten ein Outfit entwerfen. "Ich will zeigen, dass ich mehr kann, als nur Unterwäsche designen", sagt Ricky Lizdale noch mit tränenerstickter Stimme. Dann vergräbt er sein Gesicht schluchzend in den Händen.

Der Drama-Faktor kocht hoch

Es ist wie so oft bei Castingshows: Wenn der Drama-Faktor hochkocht und die Tränen in Strömen fließen, hält die Kamera drauf. Die Kandidaten wohnen in einer mit Kameras bestückten WG und werden mit Vorliebe beim Zicken und Lästern gezeigt ("Ob die geheime Mode-Ikone Britney Spears ist? Gott hoffentlich, die hätte unsere Hilfe nötig!").

Die an sich schon angespannte Wettbewerbssituation wird durch Juryvorgaben noch verschärft (Heidi: "Ihr habt 15 Minuten Zeit, um für 15 Dollar den Stoff für ein Outfit zu finden, das ihr in nur einem Tag designen und fertignähen müsst!").

Man könnte die Sendung vorschnell in die Schublade der am Fernsehhimmel auftauchenden Castingshows mit altbekanntem Quotenkonzept stecken. Aber Project Runway ist raffinierter. Die Show dreht sich um ein Universum, das dem Durchschnittszuschauer fremd ist, ihm aber durch ein ausgeklügeltes Konzept nähergebracht wird.

Außergewöhnliche Wettbewerbe und Schlüsselloch

Persönliche Schicksale der Designer, das Mitfiebern beim Erfüllen der außergewöhnlichen Wettbewerbe (in einer der späteren Episoden der vierten Staffel müssen die Kandidaten in fünf Minuten ihre Materialien bei Schokoladenhersteller Hershey's zusammensuchen) und der Schlüssellocheffekt beim Belauschen der hitzigen Jurydiskussion, wer "in" und wer "out" ist, all das macht Project Runway zu einer durchaus attraktiven Sendung.

Durchdacht ist vor allem die Urteilsverkündung. Alle Kandidaten, die sich im sicheren Mittelfeld tummeln, dürfen sofort wieder hinter die Bühne und sich über ihr Weiterkommen freuen. Nur die jeweils schlechtesten und besten Zwei müssen sich der schonungslosen Kritik der Jury stellen (Heidi mit angewidertem Blick: "Das sieht aus wie ein schmutziger Putzlappen" ). Ob sie allerdings mit ihren Outfits ganz vorne oder ganz hinten liegen, wird die deutsche Domina erst ganz am Ende verraten.

"Das sieht aus wie Pocahontas obdachlos"

Unterhaltsam sind zudem die in der Regel extrovertierten, schillernden und mitunter sehr zickigen Kandidaten (Christian Siriano auf die vernichtende Kritik der Jury: "Tut mir leid, das akzeptiere ich nicht. Ich will nur hören, was Sarah Jessica Parker sagt"). Kleine Intrigen zwischen den Kandidaten und markante Sprüche der Jury ("Das sieht aus wie eine obdachlose Pocahontas") garnieren das Geschehen. Heidis Show wurde bereits drei Mal für den Fernsehpreis Emmy nominiert.

Die Kandidaten bei Project Runway sind, nicht wie bei Germany's Next Topmodel üblich, naive Erstbewerber, die blauäugig von ihrer Traumkarriere im Rampenlicht phantasieren. Heidis Kandidaten arbeiteten vielmehr in der Regel bereits vor ihrer Bewerbung in der Castingshow erfolgreich als Designer. Kandidat Christian Siriano rühmt sich damit, bereits für Vivien Westwood designt zu haben, Rami Kashou wiederum hat ein eigenes Studio in Los Angeles und kann Jessica Alba zu seinen Kunden zählen.

Zudem glänzt die Jury durch Kompetenz und Prominenz: In der vierten Staffel entscheiden neben Heidi Klum der amerikanische Designer Michael Kors (Gründer des Fashion Institute of Technology in New York und der Modelinie LLC ) und Elle-Redakteurin Nina Garcia, ob ein Kandidat in die nächste Runde kommt und seinen Traum von der eigenen Modelinie weiterträumen darf. US-Modedesigner Tim Gunn verteilt zudem in jeder Folge praktische Tipps, während sich die Designer die Finger wund nähen. Als Gastjuroren werden unter anderem noch Victoria Beckham und Roberto Cavalli auftreten.

"Auf Wiedersehn!"

Mit der Moderation dieser Show hatte Heidi Klum den Durchbruch in Amerika geschafft. Inzwischen läuft im US-Fernsehen schon die siebte Staffel von Project Runway - und rund um Heidi Klum ist ein ganzer Hype entstanden. Zu Beginn jeder Folge setzt sich die Moderatorin, selbst durch das gekonnte Präsentieren auf dem Laufsteg in ausgefeilten Designeroutfits in Szene. Ihr zweiter großer Joker ist ihr exotischer Deutsch-Faktor.

"Auf Wiedersehen!" - Sprachgebrauch à la Heidi

Kandidaten, die nicht weiterkommen, verabschiedet Heidi auf Deutsch mit den Worten "Auf Wiedersehen!" und zwei Wangenküsschen. Diese Klum'schen Verabschiedungsworte haben sich inzwischen sogar als Verb in den amerikanischen Sprachgebrauch eingeschlichen. Will der Project-Runway-Amerikaner sagen, dass jemand gekündigt, rausgeschmissen oder abserviert wird, benutzt er nun das Verb "to be auf'd".

Auch amerikanische Comedysendungen wie Mad TV haben ihren Spaß an Heidi Klum. Während die Vorzeigeblondine in deutschen Sendungen wie Switch hauptsächlich wegen ihrer schrillen hohen Stimme parodiert wird, fällt sie im US-Fernsehen durch eine geschriene Moderation auf, die an Drill-Sergeants erinnert.

Dabei ist Heidi in ihrem amerikanischen Castingshow-Pendant viel gnädiger als in Germany's Next Topmodel. Die Entscheidung wird kurz und schmerzlos verkündet; Heidis Blick signalisiert Mitleid. Die richtig fiesen Kommentare fallen nur, wenn die Kandidaten hinter der Bühne um die nächste Runde bangen.

Ricky, der schon zu Beginn der Sendung allein beim Anblick von Sarah Jessica Parker minutenlang panisch schluchzte, entging einer zerschmetternden Jurykritik - er gehörte zum sicheren Mittelfeld und ist eine Runde weiter. Gehen musste am Ende Marion Lee aus Texas- für seine Interpretation der "obdachlosen Pocahontas".

Heidi Klum riss noch einmal angewidert ihre Augen auf und sagte: "Das sah einfach aus wie aus einem schmutzigen Keller." Und dann: "Auf Wiedersehen!"

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