Hasnain Kazim:"Ich fühle mich alleingelassen"

Autor Hasnain Kazim im Gespraech mit auf der Frankfurter Buchmesse 2017 Berlin 13 10 2017 Berlin D

"Früher hat man mich anonym beschimpft, heute schreibt man mir mit Namen und Privatadresse", sagt der Spiegel-Journalist Hasnain Kazim.

(Foto: Michael Gottschalk/imago/photothek)

Für den Autor und Sohn indisch-pakistanischer Eltern ist es Alltag, Hassmails zu bekommen. In einem Buch beschreibt der Journalist nun, was er Menschen antwortet, die ihn mit einer Ratte gleichsetzen.

Interview von Jakob Biazza

Hasnain Kazim, 43, ist in Oldenburg geboren, aufgewachsen in Hollern-Twielenfleth, Sohn indisch-pakistanischer Eltern. Er ist kein Muslim, und er ist Deutscher. Man muss das deshalb so betonen, weil der Spiegel-Journalist quasi täglich Nachrichten wie diese bekommt: "Leute wie dich sollte man in Deutschland vergasen!!!!!!! Geh zurück zu deinen Kamelfickern! Muselpack hat bei uns nichts verloren, Islam gehört NICHT zu Deutschland! Hierzulande gehört es vernichtet und ausgerottet!" Vor etwa zwei Jahren hat Kazim angefangen, auf solche Nachrichten systematisch zu antworten. 854 Dialoge hat er so geführt. Per Mail, auf Facebook oder bei Twitter. Gerade hat er eine Auswahl als Buch veröffentlicht: "Post von Karlheinz". Untertitel: "Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte".

SZ: Herr Kazim, ist die Gesellschaft gespaltener als früher?

Hasnain Kazim: Ja, ich empfinde das so. Immer mehr Menschen sind zum Beispiel ganz klar pro oder contra Flüchtlinge. Oder sogar kategorisch für oder gegen Ausländer. Es sind radikale, unreflektierte Positionen, die sich da etabliert haben und jetzt vernünftige, wichtige Diskussionen über echte Probleme fast unmöglich machen. Ich würde sogar sagen, es gibt inzwischen viele Menschen, die ernsthaft darüber diskutieren, ob jemand wie ich Teil der deutschen Gesellschaft sein kann.

Ist das die Frage, bei der die Gesellschaft gerade am weitesten auseinanderklafft: Migration ja oder nein?

Nein, das ist nur eine der Debatten, an denen sich eine viel grundlegendere Frage zeigt: Wie gehen wir mit Menschen um? Der Hass richtet sich ja auch gegen Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit anderer sexueller Ausrichtung. Die Frage, die uns wirklich trennt, lautet: Halten wir es für legitim oder sogar normal, andere aus irgendeinem Grund herabzuwürdigen?

An ein paar Stellen im Buch könnte man Ihnen diesen Vorwurf wohl auch machen. Sie lassen Ihr Gegenüber - zumindest gelegentlich - spüren, dass Sie ihn oder sie geistig für nicht ganz auf der Höhe des Geschehens halten.

Man wirft mir ja auch ganz explizit vor, wegen des Buches aber auch wegen meiner Art etwa im Social Web, ich würde den Graben vertiefen.

Ganz von der Hand zu weisen ist das wohl nicht, oder?

Nein. Ich weiß, was ich tue.

Ist der Anspruch, mit jedem auf Augenhöhe zu reden, realistisch?

Es ist mir manchmal ein Rätsel, wie ich diesem Anspruch gerecht werden soll. Welche Augenhöhe ist das denn bitte? Wenn mir jemand schreibt, "Wir Deutschen müssen mit euch Muslimen das Werk fortsetzen, das wir mit den Juden begonnen haben", dann wünsche ich mir einen Graben zwischen mir und solchen Leuten, die so etwas sagen. Und trage gerne dazu bei, ihn zu vertiefen.

Eine Ihrer Erkenntnisse lautet also: Mit echten Rechten kann man nicht mehr reden?

Leute, die einen bestimmten Grad an Menschenverachtung im Ton erreicht haben, sehe ich tatsächlich als verloren an, ja. Ich höre natürlich immer mal wieder, dass ich doch auch auf diese Leute noch offen zugehen solle. Aber ich bitte da um Verständnis: Wenn mich jemand auffordert, in den Gasofen zu gehen, tue ich mich mit Offenheit schwer. Und die Gruppe der waschechten Rassisten ist zumindest in meinen Postfächern sehr viel größer, als ich das erwartet hätte. Und sie traut sich inzwischen wieder, extrem offen zu ihrer Menschenverachtung zu stehen. Früher hat man mir anonym "Verpiss dich Kanake" geschrieben. Heute schreibt man mir das mit Namen, Doktortitel und Privatadresse in der Signatur. Es scheint selbstverständlich.

Wie oft schickt man Ihnen so etwas?

Quasi täglich. Wenn ich einen kontroversen Artikel verfasst habe, kommen auch mal viele Hundert Nachrichten an einem Tag. Nicht alle aber in diesem plumpen Duktus. Man schrieb mir zum Beispiel auch schon, dass eine Ratte, die in einem Pferdestall geboren ist, trotzdem immer eine Ratte bleiben wird - und niemals ein Pferd werden kann. Diese Zeilen kamen übrigens von einem Juraprofessor.

Woher kommt diese Salonfähigkeit?

Es gab da einen schleichenden Weg zur Normalität. Eine Wegmarke ist für mich mit Sicherheit das Buch von Thilo Sarrazin. Wenn ein Bundesbanker und angesehener Politiker ein Buch voller Rassismen schreibt, wirkt das, als sei so etwas völlig normal, in Ordnung oder sogar gut. Das setzt sich jetzt unter anderem mit der AfD und ihrem zum Teil völkischen Denken fort. Und natürlich mit Menschen wie Donald Trump. Es ist ja kein genuin deutsches Phänomen.

Im Buch erzählen Sie von einem sehr radikalen Schritt: Sie leiten eine von der Arbeitsadresse verschickte rassistische Mail an den Gesamtverteiler weiter. Der Absender wurde daraufhin - aber nicht nur deshalb - entlassen. Ist der Pranger ein Weg zu einer besseren Gesellschaft?

Ich reflektiere das in dem Kapitel ja auch: Ich fühle mich selber schlecht dabei. Das ist Selbstjustiz. Deshalb habe ich mich lang gefragt: "Was sagt mir das im Nachhinein? Warum habe ich das getan?" Die Antwort war sehr eindeutig: Ich fühle mich alleingelassen mit dieser Form von Hass.

Von wem?

Von der Justiz, aber auch von meinem Umfeld, das nicht laut genug widerspricht. Weil es vielleicht aber auch tatsächlich nicht weiß, dass es diesen ganzen Dreck gibt. Auch das ist ein Grund für das Buch.

Und dann ist der Pranger die Lösung?

Nein, wahrscheinlich nicht. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass wir zu Anstand und einem vernünftigen Miteinander nur zurückfinden, wenn wir Grenzen aufzeigen. Notfalls eben auch öffentlich. Und über den Pranger habe ich eine Grenze geschaffen. Ich habe den Mann bloßgestellt, keine Frage. Aber damit hat er zumindest gespürt, dass da offensichtliche eine Linie war, die er überschritten hat. Nicht nur für mich, sondern offenbar auch für größere Teile der Gesellschaft. Denn eines müssen wir bitte sehr dringend festhalten: Nicht ich habe mich aus der Gesellschaft verabschiedet, indem ich menschenverachtenden Hass ausgespien habe. Das waren schon die Menschen, die mich beschimpfen oder mir den Tod wünschen. Also ist es auch nicht meine Aufgabe, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Das müssen sie schon selbst schaffen.

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