"Hart aber fair" zu Sterbehilfe:"Ich will, dass Ärzte beim Sterben helfen dürfen"

Hart aber fair

Diskussion über Sterbehilfe (v.l.n.r.): Kerstin Griese (SPD), Dr. Susanne Riha (Palliativärztin), Nikolaus Schneider (Evangelischer Theologe) und Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD).

(Foto: WDR)

Ein Ehepaar streitet bei Plasberg über das Thema Sterbehilfe: Er möchte keine Gesellschaft, in der Töten organisiert ist. Sie hatte selbst Krebs - und plädiert für ärztlich assistierten Suizid.

Von Ruth Schneeberger

Die Menschen müssen wahnsinnige Angst haben. Weniger vor dem Tod selbst als davor, unter widrigen Umständen zu verenden. 80 Prozent der Deutschen sind laut Umfrage dafür, die aktive Sterbehilfe zu legalisieren. In dieser Woche berät der Bundestag gleich zweimal zum Thema Sterben. Am Donnerstag geht es um den Ausbau der Palliativmedizin, mehr oder weniger unstrittig. Am Freitag wird es kontrovers, dann geht es um um die mögliche Liberalisierung des ärztlich assistierten Suizids.

Wie stark das Thema polarisiert, zeigte der ARD-Talk "Hart aber fair" am Montagabend. Frank Plasberg hatte zum einen zwei Politiker aus derselben Partei mit gegensätzlichen Standpunkte geladen: den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ("Ärzte sollen beim Sterben helfen dürfen, wenn sie sich dazu berufen fühlen. Dafür brauchen sie endlich Rechtssicherheit.") und die SPD-Abgeordnete Kerstin Gries ("In Deutschland muss niemand qualvoll sterben, weil einem keiner hilft.").

Zum anderen waren bei Plasberg zwei Ehepartner mit völlig verschiedenen Meinungen: Nikolaus und Anne Schneider. Der ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche legte vor genau einem Jahr sein Amt nieder, weil seine Frau schwer an Brustkrebs erkrankt war, Schneider wollte sie bei der Therapie unterstützen. Er sagt: "Was im Einzelfall verständlich ist, muss nicht zwangsläufig als Gesetz für alle richtig sein. Ich möchte keine Gesellschaft, in der Töten organisiert ist." Heute ist seine Frau wohlauf und freute sich sichtlich darüber, ihm widersprechen zu können: "Ich will, dass Ärzte beim Sterben helfen dürfen. Nicht nur mir, sondern allen Menschen." Das Ehepaar hatte vor zehn Jahren schon eine Tochter an den Krebs verloren.

Schneller Ausweg oder Selbstbestimmung?

Erfrischend zu sehen, wie sich das Paar in der Öffentlichkeit auf so gegensätzliche Weise für das Thema engagiert. Das zeigt, dass es tatsächlich für beide Thesen gute Argumente gibt. Sogar in einem Land mit einschlägiger Euthanasie-Erfahrung.

Die Sterbehilfegegner tragen unter anderem Sorge, dass sich mit der Legalisierung ein Geschäftsmodell auch außerhalb der Ärzteschaft öffne, das Alte und Kranke unter Druck setzt, lieber den schnellen Ausweg zu wählen, als etwa Angehörigen zur Last zu fallen. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und dem nicht ganz unbegründeten Gefühl vieler alter Menschen, in dieser Gesellschaft nichts mehr wert zu sein, ist das kein abwegiger Gedanke.

Befürworter der Sterbehilfe wie etwa Jürgen Domian dagegen glauben, dass Deutschland beim Thema Selbstbestimmung hinterherhinke: "Ich habe Angst vor einem qualvollen Tod und will eines Tages sagen können: Es reicht!", sagte der einstige WDR-Nacht-Talker. Domian hat man schon länger nicht mehr im TV gesehen. Jahrzehntelang musste er sich die Sorgen der Nation am Telefon anhören. Nachvollziehbar, dass Domian genug Leid mitbekommen hat, um sich für die aktive Sterbehilfe auszusprechen. Dass er allerdings dem Sterbehelfer Roger Kusch seine Berechtigung absprechen will, passt nicht ganz ins Bild.

Kusch begleitet seit acht Jahren Sterbewillige mit seinem Sterbehilfe-Verein in den Tod und sagt: "Sterben ist so individuell wie das Leben. Das kann einem kein Politiker vorschreiben."

"Sterbehilfe ist nicht nötig"

Plasberg nimmt sich diesen schwer umstrittenen freiwilligen Sterbehelfer, der laut eigener Aussage am Tod kein Geld verdiene, durchaus hart aber fair zur Brust. Verliest die Anklage der Staatsanwaltschaft, nach der Kusch und sein Verein zwei über 80-jährige Damen vorzeitig zum Tode gedrängt hätten. Natürlich will sich Kusch, der Jurist, nicht zu dem laufenden Verfahren äußern. Ein anderer Fall wird verlesen, in dem eine über 60-Jährige derart unter dem Tod ihres Mannes litt, dass sie auch sterben wollte. Ob diese Frau nicht in einem Vierteljahr einen neuen Partner hätte finden können?, fragte Plasberg. Die Psychologen hätten sie nach anderthalb Jahren für austherapiert erklärt, entgegnet Kusch.

Ein paarmal verfranst sich auch Plasberg, etwa als er schwere Depressionen als weniger schweres Leid tituliert als körperliche Schmerzen. Das bestärkt gängige Vorurteile, Betroffene würden sich ihr Leid nur einreden.

Palliativmedizin vs. Sterbehilfe

"Wir können unerträgliche Schmerzen bereits heute so ändern, dass Sterbehilfe nicht nötig ist", beschwört denn auch die Palliativmedizinerin in der Runde, Susanne Riha. "Traurig, dass so viele Menschen sich nur noch einen sauberen Tod wünschen", entrüstet sie sich. Anstatt die Sterbehilfe voranzutreiben, müsse erst einmal die Palliativmedizin ordentlich ausgeweitet werden.

Und in der Tat: Gerade hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlicht, die auf die Notwendigkeit eines deutlichen Ausbaus der Palliativmedizin hinweist. Nur 30 Prozent der Sterbenden wurden demnach 2014 palliativ betreut. Fast 90 Prozent würden jedoch am Lebensende eine Palliativversorgung benötigen.

Palliativmedizin wird dann eingesetzt, wenn bei einer weit fortgeschrittenen Krankheit keine Chance auf Heilung besteht und die Lebenserwartung begrenzt ist. Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität, nicht um die Verlängerung der Lebenszeit. Kritiker bemängeln jedoch nicht nur, dass nur wenige diese Sterbebegleitung in Anspruch nehmen dürfen, sondern auch, dass nicht alle ruhiggespritzt werden wollen.

Die Studie zeigt außerdem: Drei Viertel der Deutschen würden sich wünschen, zu Hause zu sterben, doch nur jedem Fünften ist das vergönnt. In einem Krankenhaus möchten nur sechs Prozent der Deutschen ihr Lebensende fristen - tatsächlich stirbt jeder Zweite in einer Klinik.

Es ist kein Geheimnis, dass die Situation in deutschen Krankenhäusern mit zunehmend weniger Personal sowie unter dem Pflegenotstand in Heimen für niemanden ein Spaß ist. Dass gerade Sterbende sich zumindest auf ihrem letzten Weg solchen Zuständen nicht hilflos ausliefern wollen, ist nur verständlich. Die Apparatemedizin ermöglicht zudem seit Jahren auch für Schwerstkranke und Hochbetagte ein immer längeres Leben. All das führt auch dazu, dass immer mehr Menschen Angst vor einem Dahinvegetieren an Schläuchen haben, ohne Sinn und Verstand einer Institution ausgeliefert zu sein, in der es längst nicht mehr um den Einzelnen geht. Aber wann, wenn nicht in seiner schwersten Stunde, sollte es um Himmels Willen um den einzelnen Menschen gehen?

Wie geht ein würdiger Umgang mit dem Tod?

Eine regelrechte Panik ist auf diese Weise offenbar vor dem letzten Stündlein entstanden und davor, dass es alles andere als selbstbestimmt sein könnte. Sterbehilfegegner sollten das nicht missverstehen als exzessiv gelebten Egotrip über den Tod hinaus. Im Gegenteil: Viele, die schon einmal in ihrem Leben einschlägige Erfahrungen mit dem Verwaltungsapparat Medizin gemacht haben, haben sogar noch kurz vor dem Tod Angst vor falscher Behandlung. Das hat wenig damit zu tun, dass wir als Gesellschaft mit dem Tod nicht mehr umgehen können. Sondern mit ganz praktischen Lebenserfahrungen: Viele trauen der Medizin und der Pflege unter den geltenden Gesetzen und herrschenden Umständen keinen würdigen Umgang mit dem Tod mehr zu. Und das erst recht nicht, wenn Ärzte um ihren Job fürchten müssen, wenn sie Todkranken beim Sterben helfen.

Die Politik muss das im Blick haben, wenn sie jetzt über den assistierten Suizid zu entscheiden hat. Wer vorzeitig aus dem Leben scheiden will, macht sich diese Entscheidung in aller Regel nicht leicht. Wird ihm nicht geholfen, wird sich mancher andere Wege suchen. Gries' Glaubenssatz "In Deutschland muss niemand qualvoll sterben" wirkt vor dem Hintergrund wie Hohn. Andererseits: Wie lässt sich ausschließen, dass es Sterbehelfern, gleich welchen Berufsstandes, um den Profit oder auch um die Verhinderung von Kosten und Mühen geht?

Kein leichtes Thema

Sein Gesetzesentwurf zur Erleichterung der Sterbehilfe sei nur für eine Minderheit gedacht, betont Lauterbach, und zwar für Volljährige, die einwilligungsfähig seien. Das soll unter anderem Geschäftemachern den Weg versperren, die Umnachtete ausnehmen wollen.

Aber was ist mit denen, die ihren Willen nicht mehr äußern können? Sind die nicht das eigentliche Ziel eines solchen Gesetzes? Wie kann man deren Würde schützen? Und woher weiß man, ob sie dann auch wirklich sterben wollen? Oder ob sie frühere Entscheidungen bezüglich ihres Todes jetzt bereuen würden? Kein leichtes Thema, wie Plasberg an diesem Abend laufend betonte, und abschließend jedem Talkgast wie zur Kondolenz die Hand drückte.

Die Zuschauer im Netz äußerten sich auf der Gästebuchseite der Sendung sehr eindeutig und wieder zu rund 80 Prozent pro Sterbehilfe: "Typisch deutsche Diskussion. Nicht mal im Tod lässt der Staat dem Bürger die Freiheit", schreibt ein User. Und eine Userin: "Ich glaube, dass die inhaltlichen Argumente im Endeffekt gar keine Rolle für die Gesetzgebung spielen werden, denn an niemandem verdient die Pharmaindustrie mehr als am Todkranken."

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