"Hart aber fair" in der ARD:Plasberg-Talk: Was hat der Rote nur für Fantasien?

Dietmar Bartsch, Hart aber fair, ARD

Sorgte im Hart aber fair-Studio für Diskussionsstoff: Linken-Politiker Dietmar Bartsch.

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

Linken-Politiker Bartsch bringt mit seiner Reichensteuer die konservativ-liberale "Bromance" in Wallung. SPD-Frau Schwesig liefert nicht viele eigene Ideen - dafür aber einen bissigen Spruch gegen Talkshow-Workaholic Christian Lindner.

TV-Kritik von Joshua Beer

Steuern und Rente, das ist wie ... nun ja, Steuern und Rente eben. Irgendwie irrsinnig wichtig, aber dann doch so zäh, so trocken und furchtbar verzwickt. Das wissen auch Frank Plasbergs Gäste am Montagabend bei Hart aber fair. Und so beschwören sie im Studio die bewährten Garanten für betonte Lebensnähe: die Krankenschwester, den KfZ-Mechaniker, den Altenpfleger und dann nochmal die Krankenschwester. Natürlich sitzt von denen niemand wirklich mit am Tisch. Derjenige, der dieser ominösen Normalwelt noch am nächsten ist, ist Alexander Tappert, Schlagersänger, Entertainer und "Warm Upper", wie er auf seiner Website schreibt.

Plasberg betont gleich zu Beginn, dass Tappert zu denen gehöre, die sich abrackern und trotzdem nichts leisten können, weil alles zu hoch und zu teuer sei: die Mieten, die Steuern, die Kosten für drei Kinder. Das weiß Tappert in immer wieder neuen Variationen zu erzählen. Er hält den vier Berufspolitikern, die in solchen Runden ja meist am besten über sein Leben Bescheid wissen, seine Realität entgegen. Er ist ein Selbstständiger, der es sich nicht leisten kann, seine Tochter zum Kunstturnen zu schicken. Das ist mal nicht das typische Arbeiter-Narrativ, mit dem man sonst in solchen Runden konfrontiert wird. Weniger aussagekräftig ist es deshalb aber nicht - auch weil Tappert eines mit jedem zweiten Deutschen gemein hat: Er hat noch keine Ahnung, wen er wählen soll. Eine Steilvorlage für die Wahlkämpfer im Studio.

Dietmar Bartsch von der Linken prangert den "obszönen Reichtum" in Deutschland an und will die Kapitalertragssteuer an den normalen Satz von 45 Prozent anpassen. Derzeit liegt er bei 25 Prozent. Die konservativ-liberale Seite des Tischs gerät in Wallung. Die FDP hat - Trommelwirbel - Christian Lindner geschickt, beziehungsweise er hat sich selbst geschickt, um seine Partei, dessen einziges Mitglied er zu sein scheint, immer und überall zu vertreten.

Spahn und Lindner - eine Bromance zumindest im TV-Studio

Wenn Bartsch redet, übt sich Lindner in fassungslosem Kopfschütteln oder schaut entgeistert zu Jens Spahn von der CDU hinüber. Was hat der Rote nur für absurde Fantasien? Lindners Umgang mit der Ungleichheit: den Reichen ihre Privilegien lassen, dafür die Krankenschwester in ihren Sozialabgaben entlasten. Am besten sei es natürlich, selbst Vermögen anzuhäufen. Das solle der Staat doch bitte ermöglichen. Was passieren muss, damit Lindners Krankenschwester Aktien halten kann, lässt er offen.

Spahn und Lindner errichten umgehend eine gemeinsame Front, nicken bedeutend zu den Redebeiträgen des jeweils anderen und gehen auch sonst sehr harmonisch miteinander um. Die Bromance der beiden bleibt auch Plasberg nicht verborgen - er wittert eine Koalitionsaussage noch vor der Wahl. Dazu will sich die schwarz-gelbe Einigkeit dann aber doch nicht äußern. Zwischen Bartsch und SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ist dagegen keine besondere Zuneigung spürbar. Letztere bleibt blass und will meistens irgendetwas zwischen der Forderung des Linken und den Ansinnen des CDU-FDP-Gespanns. Ihr auffälligster Moment: ein bissiger Seitenhieb gegen den Workaholic der FDP: "Herr Lindner, jeder merkt, dass Sie vor Kraft nicht laufen können."

Lindners Krankenschwester lebt in der Münchner Innenstadt

Als Plasberg zum Thema "Wohnen" umschwenkt, haben sich alle in ihre Rollen gefügt. Horrende Mietpreise möchte Bartsch mit staatlichem Sozialbau bekämpfen. Lindner beklagt dagegen, dass Eigentum heute "Luxus" sei und sich das ändern müsse. Seine Krankenschwester lebt nun im Münchner Zentrum (Bartsch: "Die will ich gern kennenlernen") und soll individuell durch Wohngeld gefördert werden. Plasberg funkt dazwischen und fragt, was denn der durchschnittliche Quadratmeterpreis im Münchner Zentrum sei. "Ja, hoch!", entgegnet Lindner, als sei dies die dümmste Frage der Welt. Es sind übrigens 16,40 Euro.

Die Zeit läuft davon und so hasten die Gäste noch schnell durch den dritten Block, nämlich die Rente. Bartschs erwartungsgemäßer Vorschlag: eine Rentenkasse von allen für alle. Schwesig hält dagegen, dass das Rentensystem zu kompliziert für einen derart abrupten Wechsel sei, die verschiedenen Kassen hätten ihren Sinn. Auch Lindner sieht eine Generationenherausforderung. Bei der Rente ab 70 herrscht dann zum ersten Mal Eintracht in der Runde: ist nicht realistisch.

Irgendwie hätte man eine gewisse Partei gerne mit am Tisch gesehen

Am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass eine Position im Gespräch gefehlt hat. Ja, irgendwie hätte man eine gewisse Partei gerne mit am Tisch gesehen. Die Rede ist nicht von den Grünen, sondern von der AfD. Zugegeben, es war entspannend, mal einem Gespräch zu lauschen, das nicht von der Rhetorik der Rechtspopulisten getrieben wird. Doch es wäre ebenso wünschenswert, die Anti-Zuwanderungs-Partei aus ihrer Komfortzone zu stoßen, indem sie Stellung zu Steuern, Renten und Mietpreisen nehmen muss. Was würde sie sagen, wie sich schlagen?

Wir werden es nicht erfahren. Entweder vermeidet die AfD bewusst Themen abseits ihrer Kernkompetenz "Einwanderung", was strategisch nicht dumm wäre. Oder aber sie wird dazu gar nicht eingeladen. Das wiederum wäre ein grober redaktioneller Fehler.

Ob ihm dieser Abend bei seiner Wahlentscheidung geholfen habe, fragt Plasberg abschließend Entertainer Tappert. "Nein", antwortet dieser.

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