Handelsblatt: Chef Steingart:Die Lehre von der Wäscheleine

Das Handelsblatt bekommt einen neuen Chef: Spiegel-Redakteur Gabor Steingart soll die Wirtschaftszeitung leiten.

Max Berg

Bernd Ziesemer, 56, freut sich. Er hat einen neuen Job. Der bisherige Chefredakteur der Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt wechselt zum 1. November 2010 in die Geschäftsführung von Hoffmann und Campe Corporate Publishing in Hamburg - als Nachfolger von Manfred Bissinger, 69, der künftig als Berater für den Verleger Thomas Ganske arbeiten soll. Er sehe "eine große unternehmerische Herausforderung", sagt er und möchte Unternehmen bei der Entwicklung glaubwürdiger und effektiver Kommunikationslösungen helfen.

Gabor Steingart, Foto: imago

Zurück zu Dieter von Holtzbrinck - der neue

Handelsblatt

-Chef Gabor Steingart.

(Foto: Foto: Imago)

Den frei werdenden Platz in der Düsseldorfer Kasernenstraße 67 soll ein Journalist einnehmen, den der Verleger Dieter von Holtzbrinck gut kennt - aus Tagen, als der Neue noch einer seiner Volontäre war.

Vor mehr als 20 Jahren hat Gabor Steingart, 47, in der Handelsblatt-Gruppe das Einmaleins des Journalismus kennengelernt, gerne auch mit Hilfe einer Wäscheleine, die Chefausbilder Ferdinand Simoneit spannte. Daran hängte er Zettel mit Textbausteinen für lange Artikel. An der Wand hing ein Plakat mit dem Tucholsky-Spruch: "Schreiben sollst Du in Deinen guten Stunden." Steingart hatte offenbar viele gute Stunden: Er kehrt als Chefredakteur zurück.

Neulich bin ich mit dem Zug nach Stuttgart gefahren, um den Verleger Dieter von Holtzbrinck zu besuchen. Wir haben über Wirtschaft und Politik gesprochen. Und über das Zeitungmachen im Zeitalter des Internets. Er hat mich gebeten, als Chefredakteur die Führung der "Handelsblatt"-Redaktion zu übernehmen. Das ist Ehre und Herausforderung zugleich.

Das schreibt Steingart auf seiner neu gestalteten Homepage. "Wir wollen Relevanz und Reichweite des Handelsblatt weiter steigern", so habe Dieter von Holtzbrinck an jenem Abend das gemeinsame Ziel formuliert. Er sei stolz auf das, was viele in der Branche "das Wunder von Hamburg" nennen - gemeint ist der aktuelle Blüte-Zustand der Zeit, die wie der Tagesspiegel in Berlin zu Holtzbrinck gehört.

Und nun das "Wunder von Düsseldorf"? Steingart hat Karriere beim Spiegel gemacht - im Hamburger Haupthaus war er Wirtschaftschef, später dann Leiter des Hauptstadtbüros in Berlin. Vor zwei Jahren wurde Steingart als Nachfolger des damaligen Chefredakteurs Stefan Aust gehandelt. Eine Kandidatur für den Geschäftsführerposten der wichtigen Mitarbeiter KG, die mehr als 50 Prozent der Anteile am Spiegel-Verlag kontrolliert, scheiterte aber. Steingart wechselte ins Spiegel-Büro nach Washington.

Mann der pointierten These

Der neue Handelsblatt-Chef hat mit mehreren Bestsellern auf sich aufmerksam gemacht, beispielsweise Deutschland - Absturz eines Superstars, Weltkrieg um Wohlstand und Die Machtfrage. Er gilt als talkshow-sicher und fähig zur schnellen, pointierten These.

In der Spiegel-Zeit entstand unter seiner Mitwirkung ein Porträt über Holtzbrinck, das ihn als "leisen Riesen" charakterisiert - ein Mann, der seinen Volontären einst eröffnete. "Sie sehen, es gibt mich!" Der studierte Politikwissenschaftler Steingart hat einst als Kommunalpolitiker für die Grünen in Marburg gewirkt.

Sein Vorgänger Ziesemer arbeitete insgesamt ein Vierteljahrhundert für Holtzbrinck. Noch im Januar 2010 war er zum "Chefredakteur des Jahres" gekürt worden. Das Handelsblatt war unter seiner Führung in ein Tabloid-Zeitung verwandelt worden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: