Häme in "TV total":Harr, harr, harr

Stefan Raab

Die Mimik passte zur Masche: Bei Stefan Raab gehörte Häme zum Konzept.

(Foto: dpa)

Häme gehört sich nicht? Seit "TV total" ist das anders. Stefan Raab hat Schadenfreude im Fernsehen auf besondere Art populär gemacht - und seine Meinungsmacht mitunter gnadenlos ausgespielt.

Von Johanna Bruckner

Keiner gibt den Fernseh-Diavolo so überzeugend wie Stefan Raab. Außer vielleicht Ingo Appelt, aber der brauchte dazu immerhin eine Tube Haargel. Bei Stefan Raab sitzt das Teufelsantlitz ohne Hilfsmittel: Die rechte Augenbraue geht hoch, dazu hebt sich der linke Mundwinkel, eingerahmt von diesem sauber ausrasierten Bärtchen - fertig ist die Raab-typische Spottmiene. Und die passte in den Anfangsjahren so wunderbar zum Konzept: Schließlich wurde Stefan Raab damit berühmt, sich über andere lustig zu machen.

Das Fernsehen beobachtet das Fernsehen. Mit dieser Idee ging TV total am 8. März 1999 auf Sendung. Allen voran bekamen TV-Persönlichkeiten und Prominente ihr Fett weg, jedes Missgeschick, jeder Versprecher, jeder Räusperer, jedes Augenzucken konnte von da an zur Lachnummer werden. Natürlich, das Prinzip Schadenfreude gab es schon vorher im TV, Verstehen Sie Spaß? ist ein Beispiel. Aber bei TV total fehlte die versöhnliche Einbettung - dafür hatte mancher Verhohnepiepelte die Häme auf lange Zeit sicher. Sätze wurden aus dem Zusammenhang gerissen und in die Raab'sche Peinlichkeitendatenbank eingepflegt. Die hatte ihre reale Entsprechung als Knopfleiste auf dem Schreibtisch des Moderators.

Nachrichtensprecher Claus Kleber wurde ein Lieblingsopfer von Raab. Wenn der steife ZDF-Mann "Ficken" sagte, gröllte das Studio und auf den heimischen Sofas kringelte sich das (spät-)pubertäre Publikum. Oder Mario Ohoven: Fast jeder, der Ende der 90er, Anfang der 2000er jung war, kennt zumindest diesen einen Satz des Verbandspräsidenten der mittelständischen Wirtschaft: "Ich muss weg!" Mancher D-Promi im Dschungelcamp spekuliert heute bewusst auf einen Platz im TV-total-Sprüchekabinett.

Da lachte einer, der selbst so viel Angriffsfläche geboten hätte

So weit, so lustig. Gerade zu Beginn zelebrierte Raab das Fernsehrecycling als Kunstform, und war oft der größte Fan seiner eigenen Gags. Paradoxerweise war er als kichernder Beelzebub umso sympathischer: Da lachte einer, der das durfte, weil er ja selbst so viel Angriffsfläche geboten hätte. Mit diesem 64-Zähne-Gebiss und seiner zur Schau gestellten Schlurfigkeit. Wenn er so da stand, in Cargohose und Karohemd, war er dem Zuschauer ganz nahe, wirkte nicht wie der geniale Medienmacher, der er eigentlich ist. Und der seine Meinungsmacht mitunter gnadenlos ausspielte - wie im Fall Lisa Loch.

Denn Raab führte nicht nur Fernsehprofis vor, und längst nicht jeder, der es dank TV total zu Bekanntheit oder einem fragwürdigen Kultstatus brachte, war froh darüber. Ein RTL-Beitrag über die damals 16-jährige Schülerin Lisa Loch, die an einer Misswahl teilgenommen hatte, wurde bei Pro Sieben zum Dauerbrenner: Wochenlang erging sich Raab in sexistisch-ehrverletzenden Namensscherzen - als die Familie des Mädchens juristisch gegen die Berichterstattung vorging, schien das den Entertainer nur noch mehr anzustacheln. 2004 wurde Raab schließlich zur Zahlung von 70 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Entschuldigt haben soll er sich nie.

Es war nicht das erste Mal, dass Raab einen Menschen zum Gespött der Fernsehnation machte. 1999 verhalf er einem sächsischen Nachbarschaftsstreit um einen Maschendrahtzaun zu deutschlandweiter Bekanntheit - und einer Toplatzierung in den Charts. Für die Hausfrau Regina Zindler, die mit Zitaten im Song "Maschen-Draht-Zaun" verewigt wurde (und pro verkaufter CD immerhin zehn Pfennig bekam), war die Aufmerksamkeit am Ende zu viel: Nachdem ihr Wohnhaus wochenlang Ausflugsziel von Schaulustigen war, hielt sie dem öffentlichen Druck psychisch nicht mehr stand und zog weg.

Mitleid mit Menschen, die nicht wussten, wie ihnen geschah, hatte Raab nie. Auch später führte er in seiner Rubrik "Erstwählercheck" - jeweils vor den Bundestagswahlen 2009 und 2013 - mit Vorliebe junge Leute aus dem bildungsfernen, sozialschwachen Milieu vor. Und Gymnasiasten beömmelten sich noch Tags darauf in der großen Pause. TV total war Lagerfeuer-Fernsehen, Häme der Brandbeschleuniger. Natürlich guckte nicht nur das junge Bildungsbürgertum: Jeder fand dort irgendjemanden, über den er sich erheben konnte. Im Zweifelsfall Lothar Matthäus.

Schadenfreude als Stilmittel

Es wäre sicher falsch, Stefan Raab die Alleinschuld daran zu geben, dass Schadenfreude im deutschen Fernsehen zu einem Stilmittel wurde. Raab erkannte wohl eher einen Zeitgeist, der nicht zuletzt durch das aufkommende Reality TV Nahrung bekam: Nach den 90ern, in denen nichts peinlich war, war nun plötzlich alles potenziell peinlich. Wohl dem, der da vor dem Fernseher sitzen und sagen konnte: "Wie peinlich ist die/der denn!" Harr, harr, harr. Dieter Bohlen machte daraus schließlich ein Castingsshow-Prinzip (das bis The Voice Bestand hatte).

Verschwindet die Häme nun mit Raab aus dem Fernsehen? Wohl kaum. Aber sie war bei TV total zuletzt nicht mehr als das Hintergrundrauschen. Das Peinliche und Groteske braucht inzwischen eine ironische Überhöhung à la Dschungelcamp, damit der Zuschauer noch darüber lacht. Und neue Teufel wie Jan Böhmermann - der mindestens so wunderbar wie Raab die Augenbraue hochziehen kann - suchen sich lieber ebenbürtige Gegner. Keine Opfer. Das ist doch auch schon etwas.

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