Gustl Mollath bei Beckmann:Mann mit Mission

Mollath bei 'Beckmann'

Gustl Mollath bei "Beckmann"

(Foto: dpa)

Bei seinem ersten Auftritt in einer TV-Show wirkt Gustl Mollath ruhig und seriös - trotz des Rummels um seine Person. Mit Beckmann spricht er über seine Erlebnisse und Zukunftspläne und greift die bayerische Justizministerin Merk an. Erschreckend wird es, als eine Psychiaterin erzählt, wie Gutachten erstellt werden.

Von Ingrid Fuchs

Dieser Mann hat eine Mission. Sie treibt ihn an und scheint ihm kaum Zeit zu lassen, sein neues Leben zu genießen. Nach sieben Jahren in verschiedenen forensischen Psychiatrien Bayerns will Gustl Mollath die Gesellschaft aufklären, anderen sein Schicksal kundtun, neues Leid verhindern. Seit er am 6. August auf Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg überraschend aus dem Maßregelvollzug entlassen wurde, dürfte Mollath nicht viel von seiner Freizeit gehabt haben. Ein Interview reiht sich ans nächste, nun der erste TV-Auftritt in Reinhold Beckmanns Talkshow.

Nach seiner spontanen Entlassung aus dem Bayreuther Bezirkskrankenhaus waren überall Bilder von Mollath zu sehen: in hellblauem Poloshirt, mit geröteten Wangen und verschwitztem Gesicht, in der Hand seine selbst gezüchtete Topfpflanze, die es zum eigenständigen Gesprächsthema gebracht hat. Ganz anders sieht hingegen der Mann aus, der an diesem Donnerstagabend bei Beckmann zu Gast ist. Das breite Grinsen ist verschwunden, die Miene wieder ernst. Eineinhalb Stunden lang. Zum schwarzen Sakko trägt Mollath ein weißes Hemd, die Hände liegen ruhig auf dem Tisch. Wer ist dieser Mann, der offenbar jahrelang zu Unrecht in der Psychiatrie saß? Vor allem: Was hat er jetzt zu sagen?

Die Antwort ist ernüchternd. Mollath erzählt in etwa das, was auch in verschiedenen Interviews schon zu lesen war. Zurecht gelegte Sätze. Vielleicht liegt das daran, dass Beckmann in seiner Sendung Fragen nachgehen wollte, die noch gar nicht abschließend beantwortet werden können, schon gar nicht von Mollath selbst: "Handelt es sich beim Fall Mollath 'nur' um ein Versagen des Rechtsstaates? Oder kam er einflussreichen Menschen in die Quere und wurde weggesperrt?" Im Fokus stehen die Schwarzgeldvorwürfe, die Mollath gegen seine Ex-Frau und deren ehemaligen Arbeitgeber, die Hypo-Vereinsbank, erhoben hat. Dies zu klären, wird die Aufgabe des Landgerichts Regensburg im Wiederaufnahmeverfahren sein, mit dessen Beginn wird allerdings frühestens 2014 gerechnet.

Was er von der bayerischen Justizministerin Beate Merk halte, will Beckmann wissen. Mollath bleibt ruhig, wählt aber deutliche Worte: "Ich sag' es, wie es ist, auch wenn das jetzt unverschämt klingt: Da ist Hopfen und Malz verloren." Die CSU-Politikerin war in dem Fall kritisiert worden, weil sie zu spät eingegriffen habe. Nach Mollaths Freilassung reklamierte Merk für sich, den "entscheidenden Schritt" getan zu haben. Auch diese Wandlung kommentiert Mollath: "Die Statements, die sie vor einem Jahr über meine Person abgegeben hat und meinen Fall, sind über 180 Grad konträr zu dem, was sie heute zum Besten gibt."

Gutachten nach Aktenlage? Alltäglich

Auch eine weitere Frage, die Beckmann schon vor der Sendung gestellt hatte, wird deutlich beantwortet. "Wie schnell landen Menschen zu Unrecht in der Psychiatrie?" Neben Mollath selbst, seinem Anwalt Gerhard Strate und dem SZ-Journalisten Uwe Ritzer ist eine Psychiaterin zu Gast. Hanna Ziegert arbeitet seit 30 Jahren als Gerichtsgutachterin und zugleich in einer eigenen Praxis - was ihr die Unabhängigkeit bewahrt, wie sie betont. Und was umgekehrt bedeutet: Viele ihrer Kollegen hängen von den Aufträgen der Gerichte ab. Die Zahl der infrage kommenden Gutachter in Deutschland sei überschaubar, erzählt Ziegert, und an den Gerichten kenne man deren bisherige Entscheidungen, also werde je nach Bedarf der Psychiater angefordert, dessen Einschätzung gerade gewünscht werde. Das lässt sogar Anwalt Strate kurz staunen.

Auch das System, wie Gutachten über Betroffene erstellt werden, kritisiert Ziegert erschreckend offen. Gutachten nach Aktenlage? Alltäglich. So sei das in Deutschland eben, sagt Ziegert, alles legal. Deshalb der Ablauf im Fall Mollath auch gar nicht so ungewöhnlich. Ob sie sich selbst begutachten lassen würde? Ziegert windet sich kurz und sagt dann: "Eher nicht."

Erzählen, wie es wirklich war

Mollath sitzt während ihrer Ausführungen auf dem Platz zur Rechten Beckmanns und blickt konzentriert in die Runde, teils auch so intensiv in die Kamera, als würde er jedem einzelnen Zuschauer direkt in die Augen sehen wollen. Hin und wieder tuschelt er leise mit seinem Anwalt oder nippt an seinem Wasserglas. Auf ihn kommen keine Überraschungen zu, kritische Nachfragen wie zu seinem auffälligen Verhalten während des ersten Prozesses wischt er einfach weg. Auch zum Ehestreit und den Prügelvorwürfen hakt der Moderator nicht lange nach. Mollath hatte schon zwei Tage vor der Sendung "ein langes Gespräch" mit Beckmann. "Ich lebe zurzeit in Semi-Freiheit", sagt er im Laufe der Sendung. Warum tut er sich das bloß an?

Vielleicht, weil er muss. Vielleicht geht es Gustl Mollath ähnlich wie manchen Entführungsopfern, die nach längerer Zeit wieder in Freiheit gelangen. Häufig zieht es sie danach in die Öffentlichkeit, sie suchen die Medien förmlich und nehmen deren Aufmerksamkeit teils gerne an. Manche werten es als Versuch, die Sache zu bewältigen. Als Wunsch, die Geschichte mit vielen zu teilen. Oder als Drang, zu erzählen, wie es wirklich war.

Psychotherapeut Christian Lüdke kennt diese Argumente, trotzdem sagt er: "Für mich ist das wie ein Ausverkauf der Seele. Die Medien starten ein Wettrennen um O-Töne und Bilder. Was tut man diesem Menschen an? Anstatt ihm Zeit zu geben, wird er in die mediale Verwertungsmaschinerie geworfen." Lüdke hat nach eigenen Angaben bislang etwa 30 bis 40 Entführungsopfer betreut.

Zwar sei die Situation nur bedingt mit jener Mollaths vergleichbar, doch in jedem dieser Fälle mussten die Opfer nach einer Ausnahmesituation oder einer Zeit der Isolation zurück in ihr Leben finden, der aufbrausende Medienrummel machte das aber nur schwer möglich. Der Psychotherapeut erkennt nun im Fall Mollath Parallelen: "Ich habe auch schon andere Opfer betreut, die den Medien viel zu verdanken hatten. Auch den Menschen, die ihnen helfen, sind sie dankbar. Aber die Betroffenen wollen den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann sie in die Öffentlichkeit treten."

Mollath hat diesbezüglich seine Entscheidung gefällt. Der Süddeutschen Zeitung hat er ein Interview gegeben, bereits an seinem zweiten Tag in Freiheit hat der Focus ausführlich - samt privater Bilderstrecke - berichtet, und auch die Agenturen liefern fast täglich Neuigkeiten von ihm. Nur die unerlaubte Werbekampagne des Autovermieters Sixt dürfte Mollath geärgert haben. Hin und wieder zeigt sich schon, dass ihm der Trubel zu viel werden könnte. In einem Gespräch mit zwei Reportern des Stern wirkt er stellenweise unruhig, fast aggressiv - entschuldigt sich aber offenbar später für sein Verhalten, wie es in der ausführlicheren Print-Version heißt.

Am Ende des Abends fragt ihn Beckmann, ob er nun ein Buch schreiben werde. Mollaths Antwort ist deutlich: Erst wolle er für seinen Lebensunterhalt sorgen, doch dann fühle er sich verpflichtet, seine Geschichte aufzuschreiben, "wegen der vielen Schicksale von anderen und des unsäglichen Leids, das ich in der Anstalt gesehen habe." Als ordentlicher Mensch müsse man einen Beitrag leisten, um die Gesellschaft aufzuklären. Und Gustl Mollath möchte ein ordentlicher Mensch sein.

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