"Guardian":100 Redakteure müssen gehen

Leveson Inquiry - Alan Rusbridger

Alan Rusbridger, Chefredakteur der britischen Zeitung "Guardian", muss 100 Redakteure entlassen.

(Foto: dpa)

Die innovative Digitalstrategie von Chefredakteur Alan Rusbridger senkt die Verluste nicht: Die britische Zeitung "Guardian" soll nun 100 von 650 Redakteuren entlassen. Das befeuert Diskussionen um die Einführung einer Paywall.

Von Christian Zaschke, London

Die Uhr tickt. Bis zum 14. Dezember sollen sich die Journalisten der britischen Tageszeitung Guardian überlegen, ob sie ihren Arbeitgeber freiwillig mit einer Abfindung verlassen wollen. Sollten sich in der kommenden Woche nicht genügend Mitarbeiter bereit erklären, zu gehen, wird betriebsbedingt gekündigt. 100 von 650 Redakteursstellen sollen eingespart werden. Bisher haben allerdings erst 32 Mitarbeiter Interesse an einer Abfindung bekundet. So oder so werden bis zum kommenden Freitag weitere 68 Journalisten ihren Job verlieren, teilte die Betreibergesellschaft des Blattes, Guardian News & Media, der Belegschaft am Donnerstag mit.

Der Schritt kommt nicht überraschend. Er war in der Branche schon länger erwartet worden. Zum einen unterhält der Guardian eine vergleichsweise große Redaktion, zum anderen macht er jedes Jahr gewaltige Verluste. Zuletzt verlor das Blatt rund 55 Millionen Euro im Jahr. Das ging nur deshalb bislang einigermaßen gut, weil der Guardian nicht im Besitz eines Unternehmens ist, sondern einer Stiftung gehört. Die wurde 1936 vom damaligen Besitzer des Blattes gegründet, um den Fortbestand und die Unabhängigkeit der Zeitung "in alle Ewigkeit" zu sichern.

Wie lange die Zeitung noch auf Papier erscheint, ist offen. Seit Längerem halten sich Gerüchte, dass die gedruckte Ausgabe des Guardian eingestellt werden soll. Schon jetzt stellt das Blatt sämtliche Artikel kostenlos ins Internet. Chefredakteur Alan Rusbridger setzt auf eine Online-First-Strategie. Die ist insoweit erfolgreich, als sie dem Guardian hohe Klickzahlen beschert. Die Website ist die zweiterfolgreichste Zeitungsseite im Land, hinter der Daily Mail, die ihre Klicks fast ausschließlich Promi-Fotos verdankt. Auch in den USA wird der Guardian dank seiner exzellenten Website viel gelesen. Gemessen am großen Aufwand bringt sie dem Verlag jedoch viel zu wenig Ertrag.

Erstklassiger und teurer Journalismus im Netz

Dass die von der Redaktion des Guardian produzierten Texte vollständig online zu lesen sind, mag außerdem einen Teil dazu beitragen, dass die Auflage der Printausgabe kontinuierlich zurückgeht. Im Jahr 2000 wurden noch mehr als 400 000 Exemplare am Tag gedruckt, in diesem Jahr waren es 215 000, Tendenz fallend. Rusbridgers Strategie, erstklassigen und teuren Journalismus kostenlos ins Netz zu stellen, ist im Verlag umstritten. Der Chef argumentiert, dass die stetig steigenden Online-Erträge mittelfristig das Überleben des Blattes sichern werden. Im persönlichen Gespräch nennen führende Mitarbeiter das Vorgehen Rusbridgers jedoch "wahnsinnig". Ihnen schwebt die Einführung einer Paywall vor.

Der linksliberale Guardian spielt eine besondere Rolle in der britischen Presselandschaft. Er wird verspottet, weil er salbungsvoll daherkommen kann. Zugleich wird er bewundert, weil er regelmäßig brillante Geschichten ausgräbt. So ist es in erster Linie dem Guardian zu verdanken, dass das Ausmaß des Abhörskandals um Rupert Murdochs Boulevardblatt News of the World bekannt wurde.

Die Frage ist, wie lange diese Form des hochklassigen Journalismus noch zu finanzieren ist. Die nun avisierten Kündigungen sind Teil eines Planes, die jährlichen Verluste auf einstellige Millionenbeträge zu reduzieren. Gelingt das nicht, könnte der Stiftung laut Schätzungen in fünf Jahren das Geld ausgehen. Dann wäre der Guardian am Ende.

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