Grazia ist da:Die Zicke

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Es gibt eine Neue unter den Damen: Grazia soll den deutschen Markt erobern. Das Konzept ist denkbar einfach.

Claudia Fromme

Im breiten Kioskregal der Frauenhefte pflegt ein jedes seinen sehr eigenen Ton. Brigitte pustet verträumt in ihren Tee, Vogue lupft eine Augenbraue, Myself ruckelt ständig ihre Hornbrille zurecht, Glamour ist mal wieder schusselig, und Bunte seufzt mit der Nachsicht einer reifen Gesellschaftsdame. Eine schrecklich nette Familie. Und jetzt kommt Grazia und schreit einem ins Ohr. Sie trägt die höchsten Schuhe, lacht am schrillsten und weiß zu allem etwas zu sagen. Sie ist anstrengend, aber es ist gut, sie zu kennen.

Zwischen Highheels und Haiti - die neueGrazia. (Foto: Foto: oh)

Seit Donnerstag ist Grazia in Deutschland auf dem Markt. Sie ist die 15.Version des Magazins aus dem Mailänder Mondadori-Verlag, der zum Reich Silvio Berlusconis gehört, und sie wird eine der wenigen großen Neueinführungen des Jahres bleiben.

Lizenzhalter ist der Klambt-Verlag aus Speyer, sonst Gralshüter des Hochadels ( Frau mit Herz) und des Günstigklatsches ( Ok!), der auch Versicherungen verkauft und 110 Millionen Euro Jahresumsatz macht. Selbstbewusst wirbt er für das Heft, das am Hamburger Gänsemarkt entsteht: "Das modernste Frauenmagazin der Welt" komme nach Deutschland, "Standards" sollten gesetzt werden, "in Anspruch, Stil und rasantem Tempo".

Ts, Ts, Ts

Die erste Ausgabe von Grazia ist da - und die Welt dreht sich erstaunlicherweise weiter. Es gibt auf 134 Seiten: Mode, Beauty, Stil, Sex, Schicksale. Das Herz jeder Frauenzeitschrift. Dazu ein Feature, warum Berlin in ist und eine Frau zur Stalkerin wird, und ein zugekauftes Interview mit Ashton Kutcher. Und dann gibt es doch etwas eigenes, was Chefredakteur Klaus Dahm, der zuvor Cinema, Max, Petra und Ok! leitete, die DNA von Grazia nennt.

Der schnelle Takt. "Monatshefte sind unglaublich behäbig", glaubt er. Grazia dagegen stoße als wöchentliches Modeheft in eine Marktlücke, auch wegen der Mischung, die er "Shoes and News" nennt. Es gibt im aktuellen Heft Schuhe neben einem Bericht über Kinderarbeit in Indien, es gab im Testheft Klatsch neben einer Polemik über Touristen, die im zerstörten Haiti Cocktails trinken. Grazia ist zuweilen grell, und jede Seite erklärt irgendetwas zum Must-have. Grazia blafft Jennifer Aniston an, die angeblich noch Brad Pitt liebt: "Sie dachte wirklich, er kommt zurück!" Ts, ts, ts. Grazia ist eine Zicke, aber unfair ist sie nicht. "Sie würde nie bei einer anderen Frau Cellulite mit dem Rotstift einkringeln", sagt Dahm.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Leserinnen die Zeitschrift im Visier hat.

Als Klambt vor sechs Wochen enthüllt hat, dass es sich bei seinem Projekt Look um Grazia handelt, wurde die Branche sehr aufmerksam. Die Finte sei nötig gewesen, sagt Chefredakteur Dahm, "da der Vertrag mit Mondadori noch nicht unterzeichnet war". Weil Anzeigenkunden ihre Budgets für 2010 bereits im Herbst verplanen, hätte man früh etwas zeigen müssen.

Das Look-Konzept sei mit dem von Grazia identisch gewesen, und auch ohne den Namen zu verraten, sei man auf großes Interesse gestoßen. Zum Start hat der Heinrich Bauer Verlag jedenfalls den Preis für sein Peopleheft Life & Style auf Grazia-Niveau gesenkt: auf einen Euro. Auch auf Grazia-Größe wurde es gebracht. Das habe nichts mit der Neuen zu tun, heißt es bei Bauer, sondern sei lange geplant.

Die ganze Aufregung wiederum hat nichts mit Klambt zu tun, sondern mit Grazia. Sie gibt in Italien den Ton an, vor allem aber in Großbritannien. Vor fünf Jahren kam Grazia dort auf den Markt und traf als Wochentitel mit Mode und News den Zeitgeist. Heute verkauft sie 250.000 Stück pro Woche. Im Monat sind das mehr als der alte Tonangeber Glamour. Stars betteln darum, bedacht zu werden. Letztens rief das Model Naomi Campbell an und fragte: Wie wär's? Gerne, sagte Grazia, aber natürlich hat sie verraten, dass Naomi angerufen hat. Auch ist es auf der Insel en vogue, sich als Leserin zu outen. Selbst die magenbittere Kritikerin Julie Burchill bekennt sich dazu.

Urban Hedonistas

Vor zwei Jahren gelangte das It-Heft von London nach Speyer, dem Sitz der Klambt-Gruppe. Verleger Lars Joachim Rose las es auf dem Heimflug von London, wollte das Format sofort haben und hat nach eigenen Angaben bislang 10 Millionen Euro in das Heft investiert. Andere sagen, es sei doppelt so viel. Klambt soll nicht der einzige Interessent gewesen sein. Angeblich prüften auch Burda in Offenburg und der Heinrich Bauer Verlag. Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel soll ihrer Redaktion die britische Grazia gerne mal zur Inspiration ans Herz legen.

Grazia hat Leserinnen im Visier, die viele Verlage umgarnen: Frauen von 25 und 40, gebildet, gut verdienend. In Deutschland soll es 4,9 Millionen potentielle Leserinnen geben. Einen griffigen Namen hat Klambt auch gefunden: "Urban Hedonistas". Das seien Frauen, sagt Klaus Dahm, die in der Großstadt wohnen oder gerne wohnen würden: Grazia als Großstadtbrevier.

Die 30-köpfige Redaktion sitzt "in Sichtweite zu Prada und Zara", was der demokratischen Idee von Grazia entspreche. Die Auflage soll mal 200.000 Stück erreichen, der Preis bei zwei Euro liegen. Dahm glaubt an den Erfolg, auch weil die Zielgruppe eng gefasst ist. Im Visier habe er ältere Leserinnen der Glamour, jüngere der Elle und Käuferinnen von Instyle.

Die Grazia vom Gänsemarkt orientiert sich am britischen Vorbild mit Einsprengseln der eleganteren italienischen und französischen Version. Wie das in Großfamilien so ist, geben ältere Schwestern gerne ihre Sachen weiter, und so übernehmen die Hamburger Inhalte, vorrangig aus Europa.

Mischung aus Haiti und Highheels

Eine Modestrecke im Heft werde immer selber produziert, sagt Dahm, die andere übernommen. "Es ergibt keinen Sinn, eine Armani-Kollektion immer neu zu fotografieren." Auch wäre es doch absurd, wenn jede Grazia ihr eigenes Johnny-Depp-Interview führen würde. Das aktuelle Ressort aber werde soweit wie möglich in Hamburg gemacht.

Die Mischung aus Haiti und Highheels ist gefällig - bis zu einem gewissen Punkt.

Denn die umschwärmte Zielgruppe ist zwar willig, Geld auszugeben, aber sie ist auch anspruchsvoll. Die britische Grazia funktioniert gut, weil sie mehr bietet als nur Mode. In ihr legen Forensikprofessoren dar, warum die verurteilte US-Studentin Amanda Knox eine Mörderin ist - oder warum man zweifeln könnte. In der Rubrik Pro & Contra streiten sich nicht zwei Redakteurinnen, sondern Experten. Jennifer Aniston in der deutschen Grazia ist mehr Bild als Text, in der britischen Ausgabe wird ein gut recherchiertes Seelengemälde auf fünf Seiten ausgebreitet.

Wenn es hapern sollte mit eigenen Geschichten, sei die britische Schwester empfohlen. Chefredakteur Klaus Dahm ist hier eine Idealbesetzung. Er verfügt nicht nur über allerhand Erfahrung im Magazinbereich, sondern ist auch staatlich anerkannter Übersetzer für Englisch.

© SZ vom 12.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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