Gespräch mit Gerald Hüther:"Die Super Nanny hat fragwürdige Methoden"

Hirnforscher Gerald Hüther über die Gefahr von Nachrichten, die Problematik bei Superstar und überforderte Eltern.

Christina Maria Berr

Gerald Hüther, Neurobiologe und Hirnforscher an der Universität in Göttingen spricht über den Einfluss von Medienkonsum auf das Gehirn. sueddeutsche.de: Herr Hüther, mal ganz ehrlich, können Sie noch beruhigt fernsehen?

Gerald Hüther

"Das Gehirn wird so, wie man es benutzt." - Hirnforscher Gelard Hüther.

(Foto: Foto: oh)

Gerald Hüther: Ich verbringe nur sehr wenig Zeit vor dem Fernseher - und wenn, dann vor allem aus beruflichen Gründen.

sueddeutsche.de: Als Hirnforscher beschäftigen Sie sich mit dem Einfluss von Medienkonsum auf die Entwicklung des Gehirns - ist er denn so enorm?

Hüther: Es kommt darauf an, mit welchen Emotionen man fernsieht. Das Gehirn wird ja so, wie man es benutzt. Besonders stark prägt sich ein, was man mit Begeisterung tut. Dann werden neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet, mit deren Hilfe all jene Nervenzellverschaltungen dieses emotionalen Zustands gefestigt und verstärkt werden, die man in diesem Zustand besonders intensiv benutzt.

sueddeutsche.de: Ein Jugendlicher sieht Gewaltszenen im TV und speichert diese ab, wenn sie ihn emotional berühren?

Hüther: Wenn für einen Jugendlichen Gewalt als Bewältigungsstrategie keine Rolle spielt, ist er vermutlich angewidert von der Darstellung und das war's. Für einen jungen Menschen, der Gewalt erlebt und erfahren hat, dass man sich durch Gewaltanwendung Macht verschaffen kann, bekommen solche Szenen hingegen eine hohe Attraktivität.

Da werden die emotionalen Zentren angesprochen - und die Dopamin-Dusche geht an. Das Gesehene prägt sich als Muster zur Lösung von Konflikten ein. Das Gleiche gilt für Themen wie Sex, Drogen oder die Abwertung anderer Menschen, was besonders in den Talkshows am Nachmittag durchgespielt wird.

sueddeutsche.de: Eine Sendung kann also vorhandene Gefühle manifestieren, aber nicht neue anlegen?

Hüther: Im Prinzip ja. Die Fernsehmacher wissen sehr gut, dass man die Zuschauer dort abholen muss, wo sie emotional gerade sind, bei ihren Interessen und Vorlieben. Was immer geht: Angst machen, auch vor Dingen, vor denen man bislang keine Angst hatte. Nachrichten machen das zum Beispiel.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Nachrichten im Fernsehen gefährlich sind und welche Fehler die Supernanny macht.

"Den tierischen Anteil in uns kann man leicht wecken"

sueddeutsche.de: Ausgerechnet Nachrichten? Die gelten doch als Prototyp des Bildungsfernsehens.

Hüther: Auch Nachrichtenmacher wollen hohe Einschaltquoten - selbst bei den Öffentlich-Rechtlichen! Deshalb wird dort vieles hineingepackt, was weniger der Information dient, sondern Aufmerksamkeit erheischt.

sueddeutsche.de: Reißerische Nachrichten gehören eben zur Realität und werden obendrein lieber gesehen ...

Hüther: ... Biologisch macht das sogar Sinn, wenn wir uns gefährliche Szenen ansehen und daraus lernen können. Diesen tierischen Anteil in uns kann man sehr leicht wecken. Aber der Mensch hat im Gegensatz zum Affen das Frontalhirn, wenn es denn ausgebildet ist. Dort liegen die exekutiven Kontrollfunktionen, mit denen man niedere Instinkte kontrollieren kann. Damit könnte der Mensch sich sagen, dass er sich gerade wieder zum Affen macht.

sueddeutsche.de: An diesem Punkt setzt Medienerziehung an, man kann das Bewusstsein für diese Dinge schärfen.

Hüther: Ja. Aber dabei kann es doch nicht darum gehen, dem Kind das Fernsehen beizubringen, zu belehren, was gute und was schlechte Sendungen sind und wie viele Stunden am Tag man vor der Flimmerkiste verbringen soll. Das bringt alles nichts und das wissen wir inzwischen nur zu gut.

Wirksame Medienpädagogik müsste Kindern zeigen, wie schön das reale Leben sein kann und dass moderne Medien wunderbare Werkzeuge sind, um damit ein Werk zu vollbringen. Wie Hammer und Schraubenzieher. Kinder wollen ja normalerweise bis zum Alter von drei, vier Jahren ohnehin von sich aus gar nicht fernsehen. Sie wollen viel lieber bei allem selbst mitmachen - und an diesem Punkt wird das Fernsehen uninteressant.

sueddeutsche.de: Was ist mit Sendungen wie der Super Nanny auf RTL, wo Eltern und Kinder etwas über den gemeinsamen Umgang lernen?

Hüther: Diese Super Nanny wendet ja recht fragwürdige Methoden an. Da ist viel Konditionierung dabei und nicht immer die Art von Liebe, die man sich in einer Eltern-Kind-Beziehung wünscht. Viele Zuschauer werden sich solche Sendungen weniger deshalb anschauen, um zu lernen, sondern um sich darin zu bestätigen, dass andere Leute auch nicht besser mit ihren Kindern umgehen können. Das ist vor allem voyeuristisch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Eltern tun sollten, wenn Kinder Superstars werden wollen.

"Jetzt müssen wir erst mal Kartoffeln schälen"

sueddeutsche.de: Wie müsste man es anders machen?

Hüther: Wichtig wäre, den Kindern immer wieder Gelegenheit bieten, eigene Erfahrung zu machen, möglichst mit anderen zusammen. Das kann man im Fernsehen zeigen, aber vom Anschauen wird es eben nicht zu einer eigenen, am eigenen Leib gemachten Erfahrung. Natürlich kann man Kinder mit den traditionellen Dressurmethoden dazu bringen, sich so zu verhalten, wie man das will. Aber das ist eben nur Abrichtung wie im Zirkus mit Belohnung oder Bestrafung, das ist keine eigene Weiterentwicklung.

sueddeutsche.de: Das heißt im Umkehrschluss: Fernsehen ist kein Medium, das erzieherisch ansetzen könnte?

Hüther: Es ist ein Wissensvermittlungsmedium. Aber Wissen ist ja bekanntermaßen nicht das Einzige und oft auch nicht das Wichtigste, worauf es im Leben ankommt. Wichtiger wären die eigenen Erfahrungen - und die macht man vor dem Fernseher eben nicht. Höchstens die des passiven Konsumenten.

sueddeutsche.de: Es sei denn, man macht bei einer der vielen Castingshows mit, so sucht Doeter Bohlen gerade wieder einen neuen Superstar.

Hüther: Ja, aber das ist doch nur die Illusion des Mitmachens. Bis auf die paar Kandidaten, die es bis zur ersten Runde schaffen. Der Rest schaut wieder nur zu. Problematisch ist, dass dabei als bedeutsam herausgestellt wird, was eigentlich nicht bedeutsam ist: Prominenz. Ich fürchte, keiner dieser sogenannten Superstars ist auf längere Sicht wirklich reich und glücklich geworden. In Wirklichkeit geht es ja gar nicht um Können oder Talente, sondern um ihre Vermarktbarkeit.

sueddeutsche.de: Ein Kind, das seine Eltern fragt, ob es sich bei den Superstars bewerben darf ...

Hüther: ... hat Eltern, die etwas was falsch gemacht haben.

sueddeutsche.de: Womöglich bringen die Kinder solche Ideen aus der Schule mit.

Hüther: Dann wird die Mama sagen: Ja, das wollte ich auch immer, aber jetzt müssen wir erst mal Kartoffeln schälen, damit wir was zu Essen bekommen. Und damit ist die Sache erledigt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wofür shared attention nötig ist.

"Sie hängen in klebrigen Beziehungen fest"

sueddeutsche.de: Die Eltern sollten dem Ganzen also keine Bedeutung zumessen. Können Sie denn einen Wandel bei den Eltern in Bezug auf den Fernsehkonsum erkennen?

Hüther: Die Nachfrage nach Medienpädagogik im Kindergarten ist größer denn je. Das zeigt, dass die Eltern in puncto Medien überfordert sind. Zumindest ist es kein Zeichen, dass man hier wirklich weitergekommen ist. Dafür gibt es immer mehr Verhaltensstörungen bei Kindern und Medienabhängigkeit bei Jugendlichen.

sueddeutsche.de: ADHS wird auch als Zappelphilippsyndrom bezeichnet. Entwickelt es sich vor dem Fernseher?

Hüther: Im Gegensatz zu Primaten können Menschen ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf etwas richten und so engste Verbundenheit entstehen lassen - beim Bilderbuchangucken, beim Singen, beim Turmbauen. Diese Erfahrung von "geteilter Aufmerksamkeit" (shared attention) brauchen Kinder, damit sie sich später in individualisierten Gemeinschaften zurechtfinden.

Geteilte Aufmerksamkeit findet aber nicht vor dem Fernseher statt, weil die Bilder zu schnell durchlaufen. Das heißt, momentan werden Menschen groß, die wegen des massiven Medienkonsums nur noch begrenzt die Erfahrung machen können, wie schön es sein kann, gemeinsam mit anderen etwas zu erleben, zu gestalten, zu entdecken. Die können sich später als Erwachsene nur schwer über gemeinsame Interessen und Ziele verbunden fühlen und ihre Aufmerksamkeit darauf fokussieren.

sueddeutsche.de: Was folgt daraus?

Hüther: Durch die Mediendominanz und die immer geringer werdende gemeinsame Erfahrung entstehen junge Menschen, die sich in zwei Gruppen aufteilen: Die einen wollen mit der Gemeinschaft gar nichts mehr zu tun haben, die anderen hängen in klebrigen Beziehungen fest und müssen den ganzen Tag chatten, SMS schicken und auf Facebook sein. Leider tragen beide Gruppen wenig dazu bei, dass eine menschliche Gemeinschaft in einer gemeinsamen Anstrengung ihre Probleme löst und dabei über sich hinauswächst.

Professor Gerald Hüther, 58, leitet die Neurobiologische Präventionsforschung an der Universität Göttingen und gilt als einer der führenden Hirnforscher Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zur kindlichen Entwicklung verfasst.

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