Geschäftsmodell von Moviepilot:Weiblich, jung, liebt Fantasy

Katniss und Peeta müssen sich auf die entscheidende Auseinandersetzung vorbereiten.

Junge Frauen waren schon Fans, nur junge Männer mussten sich noch für Die Tribute von Panem (im Bild eine Szene aus dem ersten Teil) begeistern. Moviepilot ist das gelungen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Woher bekommen Filmemacher mehr Publikum? Und die Fans Insidernews? Das Berliner Start-up Moviepilot veröffentlicht Empfehlungen für beide und glaubt an die Berechenbarkeit des PR-Erfolgs - nicht nur für Filme.

Von Hakan Tanriverdi

Das Büro ist voll mit Filmplakaten und vor allem Filmenthusiasten. Es gibt eine Tafel, so groß wie eine Kinoleinwand, auf der lange Zeit die Arbeit koordiniert wurde. Die Einzelfelder der Tafel sind nach Superhelden und Comicfiguren benannt. Ben Kubota kann zu jeder Figur aus dem Stand ein Referat zu Inhalt und Bedeutung halten. Kubota ist Mitgründer der Firma Moviepilot.com. Das Internet-Unternehmen will vom zweiten Stock eines Hinterhofhauses in Berlin-Kreuzberg aus den amerikanischen Markt erobern. Es klingt wie einer dieser Träume aus Hollywood.

Das Arbeitsfeld von Moviepilot ist das Filmgeschäft, und zwar von beiden Seiten - das Unternehmen möchte sich bei Fans wie Filmstudios unentbehrlich machen. Die einen sollen früher Filme entdecken, die ihnen gefallen könnten, die anderen besser Bescheid wissen, wie sie ihre Filme vermarkten können. Ermöglicht wird das durch das Sammeln von Daten - vor allem auf Facebook. Genau das ist Kubotas Geschäftsmodell.

Die Funktionsweise wird etwa deutlich bei der Filmreihe Die Tribute von Panem. Moviepilot sollte der Produktionsfirma Vorschläge machen, wie der zweite Teil mehr Menschen in die Kinos locken könnte. Die allgemeinen Daten zeigten, dass besonders viele junge Frauen den ersten Film gesehen hatten. Schwer also, in dieser Gruppe noch mehr zu mobilisieren. Ein Blick in die Daten von Moviepilot zeigte dann: Junge Männer sind zwar Fans von vergleichbaren Filmen, zum Beispiel Harry Potter, in den ersten Teil der Reihe kamen aber trotzdem wenige. Also empfahl Moviepilot, diese jungen Männer gezielt anzusprechen, um mehr von ihnen ins Kino zu locken. Es funktionierte.

Ben Kubota, 39, trotz Jackett und Hemd noch deutlich als Nerd zu erkennen, möchte aus diesem Wissen ein Geschäft aufbauen. Deutschland ist ihm dafür zu klein: "Wir sind auf dem deutschen Markt zwar hochprofitabel, das reicht aber nicht aus, um unser geplantes Wachstum in den USA zu finanzieren", sagt er. Hochprofitabel heißt: Die Seite Moviepilot.de schreibt schwarze Zahlen und wurde gerade für 15 Millionen Euro an den französischen Verlag Webedia verkauft.

Ursprünglich konnte man sich bei Moviepilot lediglich Filme empfehlen lassen. Wer die Seite öffnete, klickte ein paar davon an, und ein Algorithmus spuckte auf den bisherigen Klicks basierende Empfehlungen aus. Mittlerweile ist die Seite bedeutend mehr: Es gibt Nachrichten aus dem Filmgeschäft und zu den dazugehörigen Stars und eine Community, die darüber diskutiert. 95 Mitarbeiter arbeiteten in der Firma, nach dem Verkauf sind es nur noch 50.

Das geschrumpfte Team wird den Hinterhof bald verlassen. Kubota will wissen, ob sie auf dem US-Markt Erfolg haben können. Die Zahlen sehen gut aus. Moviepilot hat einen Platz in der Top-100-Liste der auf Smartphones meistbesuchten Seiten. Nach Unternehmensangaben besuchen die Seite 50 Millionen Menschen pro Monat. Zum Vergleich: Die New York Times kommt auf 31 Millionen.

Reinsteigern statt abwägen, lautet das Motto

Kubotas Unternehmen ist in drei Bereiche gegliedert: Da sind die Redakteure, die Artikel schreiben. Was sie tun, ist aber kein klassischer Journalismus. Sie schreiben stets mit persönlicher Meinung. "Wenn man seriöse Themen wie den Ukrainekonflikt bespricht, muss man einen anderen Ton anschlagen. Wir konzentrieren uns lieber auf Entertainment. Bei uns soll keine Distanz zwischen Leser und Schreiber herrschen", sagt Kubota. "Geek out" lautet die Devise bei Moviepilot - reinsteigern statt abwägen. Fans sprechen zu anderen Fans. "Wir investieren viel Zeit, um einen positiven Grundtenor auf unserer Seite zu etablieren und zu halten." Kritik ist erlaubt, aber richtig schlecht wegkommen soll niemand.

Experimentierfeld Facebook

Desweiteren hat Moviepilot eine eigene Abteilung, die sich um soziale Netzwerke kümmert, also um Facebook, Twitter und Youtube. Die Prozentzahl der Nutzer, die über diese Netzwerke zu Moviepilot kommen, liegt bei bis zu 85 Prozent, zwei Drittel davon kommen über Facebook. Moviepilot hat insgesamt dreizehn Facebook-Seiten, zwölf davon konzentrieren sich auf spezielle Genres wie Horror- oder Superhelden-Filme. Diese Seiten sind das Experimentierfeld. Die Superhelden-Seite verlinkte zum Beispiel recht früh Artikel zum Film Guardians of the Galaxy. "Das war zu Beginn ein relativ nischiger Film", sagt Kubota. Die Redakteure schrieben Artikel, sozusagen als Versuchsballons, um herauszufinden, wie groß das Interesse an dem Film ist.

Um Daten zielgenau verfolgen zu können, hat Moviepilot mehrere Programme gebaut. Sie messen, welche Filmempfehlungen etwa eher von Frauen angenommen werden, wie alt diese Leser sind - und bei welchen Beiträgen es sich lohnen würde, Geld auszugeben, um auf Facebook mehr Reichweite dafür zu kaufen. Das Geld bringt mehr Sichtbarkeit, aber Geld auszugeben für einen Artikel, der ohnehin schlecht läuft, wäre sinnlos.

Die dritte Abteilung kümmert sich um das Marketing und unterhält dafür ein eigenes Büro in den USA. In gewisser Weise geht es dabei um eine Zweitverwertung. Kubota erklärt es so: "Wir nehmen das, was wir für unsere eigene Arbeit sowieso sammeln, und bieten es den Studios an." Die Chance für das Moviepilot-Geschäftsmodell bestehe darin, den Studios ein datengetriebenes Angebot zu machen. Filme können so weit vor dem für den Erfolg so wichtigen ersten Wochenende auf Facebook und der Moviepilot-Seite genau der Zielgruppe angeboten werden, die strategisch am interessantesten ist, um die Besucherzahlen in die Höhe zu treiben. So wie es Moviepilot im Falle der Tribute-Reihe gemacht hat.

Kubota und seine Mitgründer denken inzwischen über Filme hinaus. Fast jedes Thema habe Fans, die mitreden wollen. "Langfristig möchte ich eine Plattform etablieren, auf der beliebige Produkte stattfinden, auf die sich Menschen freuen. Produkte, die ein build-in-excitement besitzen, bei der die Vorfreude also eine große Rolle spielt", sagt Kubota. Das ist einer der wirklich seltenen Momente, in denen er in Worthülsen aus dem Marketing-Bereich abdriftet.

Wie genau ein solches Portal aussehen kann, darüber diskutieren sie derzeit noch. Auf der Suche nach Inspiration für die Namenswahl kehrt Ben Kubota auch gerne zurück zu den Anfängen: Er schaut sich Dokumentationen über die Comic-Szene an.

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