Genreverfall der Daily Soap:Ende einer Liebe

"Verbotene Liebe", Folge 4

Ob die ARD Verbotene Liebe (hier mit Valerie Niehaus und Jan Brandner) in fünf Jahren noch ausstrahlt, darf bezweifelt werden.

(Foto: ARD)

Die "Verbotene Liebe" zwischen Jan und Julia wollten einmal alle sehen - die tägliche Seifenoper war das Lieblingskind der deutschen Fernsehbranche. Das ist vorbei. Was ist passiert?

Von Katharina Riehl

Es begann mit einem Rumms. Am 2. Januar 1995 krachten an einem deutschen Flughafen zwei voll beladene Gepäckwägen aneinander und zwei Herzen schlugen von da an im Gleichklang. Jan Brandner, ein brünetter Mann im Holzfällerhemd, sollte schon bald nicht mehr leben können ohne Julia, die zarte Blonde mit dem kessen Hütchen auf dem Kopf. Doch die Liebe zwischen der adeligen Julia von Anstetten und dem ehemaligen Skilehrer stand unter dem denkbar schlechtesten Stern; nicht etwa wegen der zu ungleichen Herkunft, sondern wegen der zu gleichen: Jan und Julia waren Zwillinge.

Für die ARD bedeutete der Start von Verbotene Liebe eine Epoche goldener Vorabendquoten. Fast drei Millionen Zuschauer erreichte die Daily Soap zu ihren besten Zeiten, Ende der Neunzigerjahre war das, heute erreicht die Serie noch etwas mehr als ein Drittel davon.

Gerade erst musste die erfolgsschwächelnde Soap pausieren, weil stattdessen Jörg Pilawa das Publikum mit technischen Problemen beim Quizduell erheiterte. "Nein", sagt Rainer Wemcken, die Hand ins Feuer legen dafür, dass es Verbotene Liebe in fünf Jahren noch gibt, das könne er nicht. Das ist nicht ganz uninteressant - Wemcken ist Chef der Firma, die Verbotene Liebe produziert.

Doch dies soll keine Geschichte sein über Adelsfamilien im Ersten Deutschen Fernsehen oder über das öffentlich-rechtliche Verständnis von Feierabendunterhaltung.

Der langsame Tod der High-Society-Saga ist nur das prominenteste Symptom eines Genreverfalls. Die Daily Soap, die tägliche Seifenoper, war einmal der heilige Gral der leichten Fernsehunterhaltung.

Begleitung der selben Menschen über Jahre

Die Quoten waren irre, alle paar Monate kam eine neue Variante ins Programm, um den Erfolg noch ein bisschen größer zu machen. Sender und Produzenten wurden Ende der Neunziger in seitenlangen Artikeln für ihr geniales Geschäftsmodell gefeiert. Heute ist die Soap nicht mehr die schönste Braut auf dem Heiratsmarkt Fernsehen.

Um über Aufstieg und Fall der deutschen Seifenoper zu sprechen, muss man nach Berlin fahren, genauer gesagt nach Babelsberg. Dort hat die Firma UFA Serial Drama ihre Büros. Sie ist die einzige Produktionsfirma des Landes, die noch klassische Daily Soaps herstellt - also keine der artverwandten Telenovelas, die im Nachmittagsprogramm alle paar Monate ein Liebespaar zusammenführen und die Hauptdarsteller austauschen. Die Soap begleitet die selben Menschen über Jahre. Bei der Telenovela ist der Traualtar das erzählerische Ziel. Für Soap-Figuren gibt es kein Happy End. Es geht immer weiter.

Bei der UFA entstehen Verbotene Liebefür die ARD und drei Serien für RTL. Unter uns läuft dort seit 1994, Alles was zählt kam erst 2006 dazu; Gute Zeiten, schlechte Zeiten läuft seit Mai 1992 und ist die dienstälteste deutsche Soap. Und, auch das muss hier erwähnt sein, noch immer sehr erfolgreich; deutlich Quote verloren haben sie aber alle.

Der Peak an Zuschauern ist schon ein paar Jahre her

Viele Formate wurden eingestellt, prominentestes Beispiel war erst vor ein paar Jahren der Marienhof . Neue Serien kommen keine mehr dazu. Weil sich die Seifenoper überlebt hat? Oder weil sich im Fernsehen über kurz oder lang noch alles überlebt hat?

In Babelsberg bei der UFA in einem großen Büro mit Stuhlkreis sitzen Rainer Wemcken und Guido Reinhardt, der Geschäftsführer der Serienfirma und sein Kreativchef, die natürlich ungern von einer Krise der Daily Soap sprechen möchten - und im Gegensatz zur Konkurrenz ja auch immer noch gut im Geschäft sind. Was sie aber einräumen, ist folgendes: dass "der Peak" an Zuschauern bei ihren Serien zwischen 1999 und 2000 war. Und damit doch schon ein paar Jahre her.

Die tägliche Seifenoper wurde 1992 vom ehemaligen RTL-Chef Helmut Thoma aus Australien nach Deutschland importiert, wo die Sendung The Restless Years hieß und wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten vom Leben junger Menschen erzählte. Nach größeren Anlaufschwierigkeiten wurde die Soap bald alles, was ein Sender sich wünschen konnte - und wurde zigfach kopiert.

Das am Fließband hergestellte Produkt war billiger als ein Film oder eine gewöhnliche Serie, und die Zuschauer mochten die menschelnden Geschichten, um sich in den Feierabend hinüberlullen zu lassen. Heute aber haben die Serien Konkurrenz: von Formaten, die noch billiger zu produzieren sind. Und die ihre Zuschauer mit allen Mitteln emotionaler Effektmacherei nicht weniger zuverlässig von den Sorgen des wirklichen Lebens ablenken.

Die erste große Konkurrenz für die Daily Soap, sagt Guido Reinhardt, sei damals die Container-Show Big Brother gewesen, was interessant ist, weil beide Formate nicht furchtbar viel gemeinsam haben. "Alles, was neu ist und einen erzählerischen Hintergrund hat, ist eine Konkurrenz", sagt Reinhardt. Im Container wie in der Soap geht es um zwischenmenschliche Beziehungen - und im Container konnte man sogar ziemlich echte Menschen dabei beobachten, wie sie daran scheiterten. Big Brother natürlich ist inzwischen noch deutlich mehr von gestern als es die Daily Soap.

Im Grund passiert hier gar nichts

Heute gibt es etwa Berlin - Tag & Nacht, in der Sendung bei RTL 2 spielen Laiendarsteller seit 2011 das Leben in einer Berliner WG nach, Scripted-Reality wie auch in den boomenden Pseudodokumentationen Verdachtsfälle oder Familien im Brennpunkt. Realität nach Drehbuch ist das, wobei sich diese Realität vor allem dadurch auszeichnet, dass verglichen mit den dramatisch überladenen Geschichten einer Daily Soap hier im Grunde gar nichts passiert. Es wird gestritten, gebumst, gesoffen - und dann ist es wieder Nacht in Berlin.

Die Quoten der Alltags- und Partyerlebnisse von Ole ohne Kohle, Joe und Marcel sind mehr als doppelt so hoch wie die Durchschnittswerte des Senders bei den jungen Zuschauern - und der Aufwand ist vergleichsweise gering.

Während Seifenopern in eigenen riesigen Studioanlagen entstehen und bei der UFA pro Serie etwa 180 Leute arbeiten, gehört zur Realitätsillusion aller Scripted-Formate natürlich auch, dass in einer ganz normalen Wohnung gedreht wird, und nicht jedes Bild perfekt ausgeleuchtet sein muss.

Die Vortäuschung von Realität ist ein Erfolgsgarant

Reality-Formate, räumen sie auch in Babelsberg ein, seien "natürlich kostengünstiger". Guido Reinhardt sagt, das Wirkprinzip dieser Sendungen sei noch einmal anders als das einer Soap - es sei leichter konsumierbar. "Ich komme schnell rein und schnell wieder raus, ich brauche noch nichts davon gesehen zu haben, um eine Folge anzuschauen." Tatsächlich ist eine Soap wie Verbotene Liebe mit ihren Intrigen, Schicksalsschlägen und Beziehungen verglichen mit den WG-Abenteuern schon fast komplex.

Die Vortäuschung von Realität ist ein Erfolgsgarant, und dieser Erfolg wird auch im Netz gemacht. Gute Zeiten, schlechte Zeiten, die erfolgreichste deutsche Soap, hat 1,4 Millionen Fans bei Facebook. Berlin - Tag & Nacht hat 3,2 Millionen. Vielleicht lässt sich Fiktion, die nicht nach Fiktion aussieht, leichter ins wahre Leben ihrer Fans hineinerzählen.

Die Daily Soap ist nicht das erste TV-Format in Deutschland, das große Zeiten hatte, die dann auf ihr Ende zuplätscherten. Der Daily Talk zum Beispiel, das nachmittägliche Brüllen ungewaschener Menschen im Privatfernsehen. Oder die Gerichtsshow, die ähnlich funktionierte, nur dass niemand behauptete, hier gerade sein wahres Schicksal der gelangweilten Fernsehnation vorzusetzen. Beide Formate boomten einst. Beide gibt es nicht mehr.

Man kann dazu zum Beispiel den Fernsehhistoriker Dietrich Leder anrufen, der in Köln an der Kunsthochschule für Medien unterrichtet. Das Fernsehen, sagt er, sei "ein hysterisches Geschäft". Weil das so sei, "wird jeder Erfolg eines Senders sofort von allen anderen kopiert, bis es bei den Zuschauern eine gewisse Erschöpfung gibt." Es sei wie bei einer Welle, die sich aufbaut, dann breche und am Ende versande.

Langer Bremsweg für Soap

Gerichtsshows und Talkshows hat dieses Schicksal schon lange ereilt, und Dietrich Leder zufolge ist es bei den Soaps "im Grunde genauso, nur etwas langsamer". Während andere Formate schnell aus dem Programm entsorgt werden, wenn die Zuschauergunst nachlässt, wird an den Soaps sehr viel länger festgehalten. Das liege, sagt er, an dem großen Aufwand, mit dem sie hergestellt werden. "So etwas abzusetzen, ist schwieriger, die Verträge normalerweise länger. Aber auch deshalb gehen solche Serien heute nicht mehr neu an den Start, weil sich niemand mehr ein solches Unternehmen ans Bein bindet. Der Bremsweg für eine Soap ist deutlich länger als zum Beispiel für ein Reality-Format."

Wahr ist aber auch, dass keiner weiß, ob es nach dem Absetzen einer Soap mit kleinerer aber halbwegs stabiler Quote mit einem neuen Format besser würde. Der Marienhof musste wegen Quotenverlust dichtmachen, Verbotene Liebe wurde als Ersatz auf 40 Minuten Sendezeit aufgepumpt - und hat heute weniger Zuschauer als der Marienhof im Jahr vor seiner Absetzung 2011. Die Kicher-Krimis Heiter bis tödlich in der ARD stehen nicht viel besser da.

Die Frage sei doch, sagt Guido Reinhardt, was im Fernsehen überhaupt noch so einen Stellenwert habe. "Sogar Wetten, dass . . ? wird eingestellt." Der TV-Markt sei so fragmentiert, dass es für alle Massenphänomene schwieriger werde. Es gibt viel mehr Auswahl, und jeder wolle etwas anderes sehen. Die verbotene Liebe zwischen Jan und Julia, die wollten einmal alle sehen.

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