Gab es Schleichwerbung beim ZDF?:Woche der Ausreden

ZDF-Intendant Thomas Bellut bei Maybrit Illner

ZDF-Intendant Thomas Bellut in der Sendung von Maybrit Illner.

(Foto: ZDF/Jule Roehr)

Der Eklat um Gewinnspiel-Verträge bei "Wetten, dass..?" zeigt: Das Thema Schleichwerbung ist beim ZDF nicht ausgestanden. Auch wenn Intendant Thomas Bellut nun sagt, dass es die monierte Belobigung der Automarken Mercedes-Benz und Audi durch Thomas Gottschalk nicht gegeben habe.

Ein Gastbeitrag von Volker Lilienthal

ZDF-Intendant Thomas Bellut hat sich am Donnerstagabend festgelegt. Auf dem eigenen Sender sagte er bei Maybrit Illner: "Es hat keine Schleichwerbung gegeben." Dabei bezog er sich auf Verträge, die der Spiegel ausgegraben hatte. Demnach hatte Dolce Media, die Vermarktungsfirma von Christoph Gottschalk, Bruder des ehemaligen ZDF-Starmoderators Thomas Gottschalk, seit 2003 erst Mercedes-Benz und dann Audi zugesagt, die beiden Automobilmarken prominent in der ZDF-Show Wetten, dass . . ? zu präsentieren und von Publikumsliebling Thomas Gottschalk belobigen zu lassen.

In den fraglichen Zeiträumen habe die hauseigene Programmbeobachtung das nicht feststellen können, sagte Bellut dazu jetzt. Die vertraglich versprochene Reklame im Programm sei auf dem Bildschirm so jedenfalls nicht angekommen. Aber, ebenfalls bei Maybrit Illner: Alles werde nun nochmals überprüft.

Das ZDF muss sich sputen, denn am 8. März will sich der Fernsehrat, zuständig für die Programmkontrolle des Senders, berichten lassen. Streng genommen kann diese interne Nachschau nur als wahr gelten, wenn sie von außen, von Medienkritik oder -wissenschaft unabhängig testiert würde. Daran scheint aber niemand zu denken.

Angesichts der schlagenden Plastizität der vom Spiegel geschilderten Reklameauftritte ist kaum vorstellbar, dass sich Belluts Beschwichtigung beweisen lässt. Ohnehin hat sich der Intendant bereits in Widersprüche verstrickt, hatte er doch im Zeit-Interview eingeräumt, dass Gottschalk teilweise überzog und zur Ordnung gerufen werden musste: "Ein Thomas Gottschalk in einer Livesendung ist nicht kontrollierbar."

Eine Woche der Ausreden geht zu Ende. Es mag ja stimmen, dass in den noch nicht unterschriebenen Vertragsfassungen, die das ZDF von Dolce Media in Sachen Mercedes vorgelegt bekam, von den reklamehaften Anpreisungen, von den Regieanweisungen, die der Spiegel nun berichtet, nicht die Rede war. Wurden die Verträge womöglich hinterher geändert? Wurde am Ende den Herstellern eine unbotmäßige Heraushebung der Automobile versprochen, obwohl der Kooperationsvertrag des ZDF mit Dolce Media dergleichen verbot?

Ist der Sender tatsächlich Herr im eigenen Haus?

Wäre das der Fall, stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie das ZDF seinen Vertragspartner Dolce Media überhaupt zur Rechenschaft ziehen würde. Das ZDF war über seine privatrechtliche Tochter ZDF Enterprises ja einige Jahre Mitgesellschafterin der Dolce Media (immerhin bis 2008) und hätte wissen können, wie deren Geschäftspraktiken sind. Da überlegt man es sich zweimal, ob man sich damit in die Öffentlichkeit begibt.

Dolce Media glaubt sich aus dem Schneider: Der Rundfunkstaatsvertrag, der Schleichwerbung verbietet, so war zu hören, gelte ja nur für die Sender und die gesetzgebenden Bundesländer, nicht für Privatfirmen. Wohl wahr, doch sollte man als verantwortungsvoller Unternehmer wissen, in welche Bredouille man einen öffentlich-rechtlichen Vertragspartner bringt, wenn man dessen Programmfläche zur Werbefläche umfunktioniert.

Die Angelegenheit ist nicht passé

Das rundfunkrechtliche und medienethische Kernproblem des aktuellen Streitfalls ist die Frage der Programmautonomie: Kann ein Sender noch guten Gewissens behaupten, er sei Herr im eigenen Haus, wenn eine solch großformatige Show weitgehend einem Moderator überantwortet wird, bei dem dessen Bruder mit seiner Privatfirma im Hintergrund steht? Klar, das ZDF hatte seine eigene Redaktion und die hauseigene "Clearingstelle" machte Gottschalk gerade bei den heiklen Gewinnspielen, die zwar den ausgelobten Preis (das Auto) beschreiben, aber eben nicht bewerben dürfen, "Textvorlagen für den Moderator", so Bellut.

Was Gottschalk daraus machte, konnte man sehen, hören und jetzt nachlesen. Und da soll es bei der ARD noch immer Leute geben, die an Gottschalks Rückkehr auf den Bildschirm basteln - für sie ist die Enthüllung ein schwerer Rückschlag, sie haben ein Legitimationsproblem.

Die Vorwürfe sind gewichtig, auch wenn sie auf den ersten Blick historisch zu sein scheinen. Die Angelegenheit ist nicht passé, nur weil der Audi-Vertrag in diesem Jahr ausläuft und Thomas Gottschalk nicht mehr beim ZDF moderiert.

Sie zeigen, dass das ZDF-Gelöbnis von 2004, der Selbstkommerzialisierung im Programm Einhalt zu gebieten, alles andere als lückenlos umgesetzt wurde. Für Publikumsmagneten wie Gottschalk galt immer eine Ausnahme. Eben weil er für Zuschauermillionen zu garantieren schien, genoss er Narrenfreiheit - übrigens auch bei manchen Mitgliedern der ZDF-Aufsichtsgremien.

Offiziell gab es eine "Lex Gottschalk" nie - doch Topstars sind selten zufrieden mit öffentlich-rechtlichen Grundhonoraren. Wetten, dass . . ? war Gottschalks Spielfläche - aber eben auch eine Programmfläche, die sein Bruder und er weidlich für wirtschaftliche Gewinninteressen auswerten durften. Das geduldet zu haben oder mindestens nicht gesehen zu haben, muss als schlimmes Controlling-Versagen der ZDF-Spitze gewertet werden.

Gottschalk, dessen Karriere zuletzt im Ersten wenig ruhmreich versandete, war immer auch ein viel gefragter Werbeträger. Dass dies nun nochmals mit Blick auf die öffentlich-rechtliche Programmautonomie skandalisiert wird, wenn auch leicht verspätet, kann produktiv genutzt werden - als Weckruf auch für die Medienpolitik, die einen Fehler beging, als sie 2009 trotz medienkritischer Lektionen wie Sabine! (ZDF) und Marienhof (ARD) die EU-Liberalisierung von Product Placement mitmachte und dieses programmintegrierte, programmschädliche Werbeinstrument eben auch für ARD und ZDF nicht definitiv ausschloss.

Zur Unzeit

Paragraf 15 Rundfunkstaatsvertrag ("Zulässige Produktplatzierung") eröffnete einen weiten Auslegungsspielraum, der seither von interessierten Kreisen immer wieder genutzt wird - zum Schaden eines integren werbefreien Programms und zum Nachteil des gebührenzahlenden Publikums, das ein Anrecht auf Sender hat, die es nicht beständig mit Konsumappellen überfallen.

Zu Jahresanfang hat der neue Rundfunkbeitrag die medienpolitische Debatte zusätzlich angeheizt. Auch deshalb kam die neueste Wetten, dass. . ?-Enthüllung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Unzeit. Doch Schönreden hilft nicht. Jetzt braucht es strikte Grenzziehungen: auskömmliche Rundfunkbeiträge für ARD und ZDF - programmintegrierte Werbung ausschließlich auf Privatsendern.

Der Journalist Volker Lilienthal, 53, löste mit dem epd-Report Ausverkauf 2004 eine medienpolitische Debatte über ZDF-Kooperationen mit Dritten aus - letztlich Anlass für interne Selbstkorrekturen des Senders. Heute ist Lilienthal, der auch Schleichwerbung in der ARD aufdeckte, Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg.

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