Frankreich:Wahlkampf nach Stoppuhr

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Über Emmanuel Macron heißt es, er verdanke seinen schnellen Aufstieg seiner Rolle als Medienliebling. Seine Gegner vermuten eine Verschwörung. (Foto: AFP)

Ein Gesetz zwingt französische Medien, allen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl exakt die gleiche Sendezeit zu bieten. Ein weiteres Detail in einem irren Regelkatalog.

Von Joseph Hanimann

Das wichtigste Arbeitsgerät in französischen Redaktionen ist seit Beginn dieser Woche die Stoppuhr. Es ist nicht einfach, elf Präsidentschaftskandidaten auf die Sekunde gleich lang zu Wort kommen zu lassen. Das aber verlangt die Medienaufsichtsbehörde CSA (Conseil supérieur de l'audiovisuel) gemäß eines 2016 verabschiedeten Gesetzes. Galt bis zum vergangenen Wochenende noch die Regel der "Ausgewogenheit", so gilt in der letzten Phase vor der Präsidentschaftwahl am 23. April die Vorschrift der "strikten Gleichheit" in den öffentlichen Medien, und zwar sowohl bezüglich der Sprechdauer als auch der Sendezeit morgens, mittags, abends oder nachts. Mitgezählt werden überdies neben den Interviews die Berichte, Reportagen und Kommentare.

Die Redakteure ächzen. Ausgerechnet das Land, in dem die Gerüchteküche am heißesten dampft mit Verdächtigungen, welches Medium welchen Kandidaten begünstigt, erlegt sich per Gesetz die strengsten Regeln auf. Vierzig Sonderbeauftragte des CSA schauen sich von morgens bis spätnachts Sendungen an und die Aufsichtsbehörde kann die Anstalten im Streitfall dann verwarnen.

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Mehr kann sie allerdings kaum tun, dabei sehen sich die Journalisten in diesem ungewöhnlichen Wahlkampf mit allerlei neuen Problemen konfrontiert. Bei der ersten Fernsehdebatte mit den Kandidaten auf TF 1 gab es Streit, weil die Anstalt aus praktischen Gründen nur die fünf "Großen" eingeladen hatte, was dazu führte, dass einer der am Vorabend separat eingeladenen "Kleinen" aus Ärger während der Sendung aus dem Studio lief. Bei der zweiten Fernsehdebatte auf BFMTV waren dann alle elf dabei. Die für kommende Woche vorgesehene dritte Debatte wurde abgesagt, weil der Linkskandidat Jean-Luc Mélenchon, gefolgt von Marine Le Pen, seine Teilnahme wieder zurückzog. Ein solcher Auftritt mit seinen Risiken kann ihnen nur noch schaden.

Immerhin führt die Schwäche der etablierten Kandidaten dazu, dass alle sich den Medien gegenüber ziemlich fügsam zeigen. Der Konservative François Fillon kann sich mit seinem laufenden Gerichtsverfahren so wenig Kapriolen leisten wie der Sozialist Benoît Hamon mit seinen schlechten Umfragewerten. Die übrigen Konkurrenten sind Außenseiter oder Neulinge. Für die Medien liegt die Schwierigkeit hingegen darin, wie man der Auseinandersetzung bei all den starren Regeln etwas Spannung verleiht.

Viele Wahlkämpfer suchen Wege abseits der etablierten Medien, um ihre Botschaften zu vermitteln

Im Allgemeinen ist nach der Schlagzeilenschwemme über die Fillon-Affäre zu Beginn des Jahres das Gleichgewicht zwischen Programminhalten, persönlichkeitszentrierten Beiträgen und anekdotischem Nebenbei ziemlich gelungen. Der medienkritische Verein Acrimed (Action-Critique-Médias) beanstandet zwar die wachsende Neigung der Medien, den Wahlkampf auf sportjournalistische Kategorien wie "Punktsieg", "k.o.", "disqualifiziert" zu verkürzen. Doch ist ein Präsidentschaftswahlkampf für die großen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten nun mal fast ebenso wichtig wie eine Fußball-WM. Zehn Millionen Zuschauer verfolgten die erste Fernsehdebatte.

Wie sehr brauchen aber umgekehrt die Wahlkämpfer heute noch die etablierten Medien? Wohl hofft nach wie vor jeder auf einen gut platzierten Artikel oder einen prominenten Auftritt. Philippe Poutou, Kandidat der trotzkistischen Splitterpartei NPA, war den Tweets und Likes zufolge der Star des Abends auf BFMTV mit seiner forschen Bemerkung gegenüber Fillon, für ihn als Arbeiter gebe es keine amtliche Immunität. Manche haben aber schon eigene Wege eingeschlagen, um direkter zum Volk zu gelangen.

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Sowohl Mélenchon als auch Marine Le Pen haben über das Chat-Programm "Discord" ihren eigenen Debattenraum eingerichtet. "Taverne des patriotes" heißt jener des Front National, der an die Moderatoren vor allem die schwierige Aufgabe stellt, die schlimmsten rassistischen Grobheiten der Anhänger möglichst effizient auszusortieren. Mélenchons Chatraum heißt weniger geschwollen einfach "Discord des Insoumis", nach dem Namen seiner Bewegung: "Die Unbeugsamen". Der Politiker schwärmt vom demokratischen Potenzial der neuen Medien: "Fortan braucht nicht mehr die Aktion die Vernetzung hervorzubringen, sondern die Netze schaffen selber gleichzeitig die Aktion."

Mélenchon, der Kandidat mit dem größten Rednertalent, hat auf Youtube sein persönliches Fernsehprogramm kreiert. Fast täglich tritt er vor einem unaufgeräumten Bücherregal hemdsärmelig mit Beiträgen zu aktuellen Ereignissen auf. 24 Millionen Klicks sollen seine Videos schon verbucht haben. Dass die Medien für die Begegnung zwischen Politikern und Volk an Bedeutung verloren haben, wenn nicht gar unnötig geworden sind, ist auch im debattenfreudigen Frankreich eine sich ausbreitende Ansicht. Die Überprüfung des Wahrheitsgehalts von Informationen, so glaubt man in rechts- wie linkspopulistischen Kreisen, besorge man am besten selbst.

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Eine Frage müssen die Medien sich indes stellen lassen: Wie stark mischen sie durch ihre Fokussierungsschwerpunkte mit beim Auftauchen bestimmter Kandidaten? Der Neuling Emmanuel Macron verdanke seinen fulminanten Aufstieg allein seiner Rolle als Medienliebling, hieß es seit Beginn seiner Kandidatur, und diese Beliebtheitsblase werde bald platzen.

Passiert ist das bis heute nicht. Solchen allgemeinen Mutmaßungen folgten schließlich Vorwürfe mit offen genannten Namen: Macron sei ein Produkt des Unternehmers Patrick Drahi, Inhaber der Fernsehanstalt BFMTV, des Rundfunksenders RMC, des Wochenmagazins L'Express und der Zeitung Libération, erklärte Marine Le Pen und fand darin Bestätigung auch von Seiten Fillons. Das gehe auf die Zeit seiner Beratertätigkeit im Elysée-Palast zurück, wird spekuliert. Seinerzeit sei der Verkauf der Telekomgesellschaft SFR durch Vivendi dem Bewerber Bouygues schon fast sicher gewesen und dann letztlich doch dem Mitbewerber Drahi zugefallen.

Solche Spekulationen zeichnen ein seltsames Bild von der Republik, als würden Privatwirtschaftstransaktionen in Frankreich weiterhin im Elysée entschieden. Dabei geht die Tendenz eher in die andere Richtung: das Hereindringen von Privatinteressen in die Politik. Umso dringlicher ist, was manche gemäßigte Kandidaten, darunter Macron, in ihren Programmen versprechen: eine klarere Trennung zwischen Wirtschaft, Politik und Medienwelt, etwa was die Besetzung von Intendantenposten oder CSA-Mitgliedern betrifft. Unter Hollande war der Wille dazu da; er brachte dann aber nur das eingangs beschriebene Paragraphengestrüpp zustande.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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