Franken-"Tatort":Schweigen spielt die Hauptrolle

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"Sagen Sie endlich, worum es geht": Die Witwe des toten Polizeibeamten (r.) hält Paula Ringelhahns Schweigen nur schwer aus. Ähnlich geht es dem Zuschauer. (Foto: Felix Cramer)

Im neuen "Tatort" aus Franken spielen verwirrend viele Figuren mit. Und sagen auffallend wenig. Aber genau das macht den Fall außergewöhnlich gut.

Von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Die Opfer waren libyische Geschwister, eigentlich galt der Mord aber ihrem Ziehsohn Ahmad? Und hat sich der jetzt radikalisiert? Sollte er aus diesem Grund aus dem Weg geräumt werden? Oder doch, weil er den Überfall von drei Jugendlichen auf einen Pizzaboten beobachtet hat? Und was war nochmal mit dem Fußballverein? Wer sich nach dem Tatort aus Franken diese Fragen stellt, muss sich keine Sorgen machen. Die Handlung von "Ich töte niemand" ist ziemlich verwirrend. Aber der Fall ist dennoch sehenswert, geht es doch nicht so sehr darum, was passiert, sondern was die Ereignisse mit den Figuren machen.

Darum geht es:

In einem abgelegenen Haus in der Nähe von Nürnberg finden die Kommissare Ringelhahn, Voss, Goldwasser und Fleischer zwei Leichen. Ein 58-jähriger Libyer und dessen Schwester wurden erschlagen und so brutal zugerichtet, dass sie kaum mehr zu identifizieren sind. An Verwandten gibt es nur einen Ziehsohn, der jedoch verschwunden ist. An sich wäre das für einen Tatort schon genug Stoff, aber in "Ich töte niemand" passiert noch mehr. Ein Polizeibeamter - und enger Freund von Paula Ringelhahn - stirbt am Steuer seines Wagens. Auf verzwickte Art und Weise sind die beiden Taten miteinander verflochten.

"Tatort" aus Franken
:Perlen der Dialogkunst

Im vierten Fall aus Franken müssen die Kommissare Ringelhahn und Voss den Mord an libyischen Geschwistern aufklären. Wer im Handlungsdickicht genau hinhört, wird belohnt.

Von Holger Gertz

Bezeichnender Monolog:

Theodor Pflüger ist Ehrenvorsitzender des Fußballvereins, Nationalsozialist und steckt hinter dem Mordanschlag auf den jungen Ahmad. Dieser besucht Pflüger zuhause, wo ihn der Alte mit fiesem Grinsen empfängt. Auf dem Sofa redet er dann mit säuselnder Stimme auf den Libyer ein:

"Was für ein wunderbarer Mann Sie sind. Meine Frau hätte Sie sehr gemocht. Couragiert und zu allem bereit. (...) Wir sind umgeben von kleinen, hasserfüllten Kreaturen, die nicht einmal ihr Fressen wert sind. Dumm. Primitiv. Überflüssig. Ich habe solche Menschen nie gemocht. Aber Sie, wenn Sie mir das erlauben. schätze ich. Wissen Sie, Dummheit, die sich aufgerufen fühlt, ist unbesiegbar. Ich bin sicher, Sie sehen das genauso. Wir können gar nicht anders. Das ist eine Frage der Haltung. (...) Sie und ich - wir hätten uns eine Menge zu sagen. Egal woher Sie kommen."

Pflüger kann den Satz gerade noch beenden. Dann wird er von Ahmad erschossen.

Flop:

Je mehr Figuren in einem Tatort vorkommen, desto leichter verliert man gemeinhin den Überblick. "Ich töte niemand" ist da leider keine Ausnahme. Als wären die vier Franken-Kommissare plus dem Leiter der Spurensicherung nicht schon genug Personal, werden alle paar Minuten neue Verdächtige eingeführt, die die Story nicht gerade vereinfachen. Der Fall verlangt dem Zuschauer viel Konzentration ab.

Top:

Umso bewundernswerter, dass es Regisseur Max Färberböck gelingt, den gedanklich abschweifenden Zuschauer immer wieder zurückzuholen. Und zwar mit eindrücklichen Szenen, in denen die Figuren vor allem eins tun: nichts sagen. Von den drei verdächtigen Jugendlichen bis hin zu Kommissarin Ringelhahn üben sich ungewöhnlich viele in diesem Franken- Tatort in Schweigen. Vor allem letztere lässt ihr Gegenüber auffallend oft auf eine Antwort warten - und erzählt mit ihrem Blick doch so vieles, was sie an Schmerz und Verzweiflung zu verbergen versucht. Besonders zwischen Ringelhahn und Voss entwickelt sich eine ganz eigene, freundschaftliche Energie, die ohne gekünstelte Dialoge oder ausufernde Gesten auskommt. Vieles passiert in diesem Tatort im Stillen - und trotzdem sagt der Krimi viel aus. Über die Werte seiner Figuren, die in Frage gestellt, über falsche Hoffnungen, die nicht erfüllt und Ängste, die verdrängt werden. Auf diese Weise thematisiert der Fall beiläufig, aber eindrücklich Integration, Gewalt, Verzweiflung und Sinnsuche. Hinzu kommen wohl dosierte Lokalkolorit-Einsprengsel ("Mir warrrn in ner Arrrbeitsgrubbbe mit ihm") und feine Hintergrundmusik. All das macht "Ich töte niemand" zu einem außergewöhnlich guten Tatort.

Beste Szene:

Verhör kann man das nicht nennen, was Kommissar Voss in der Turnhalle des Sportvereins mit dem Platzwart veranstaltet. Befragung auch nicht wirklich. Das fängt schon mal mit der amüsanten Kameraeinstellung an. Im Vordergrund: der Hintern des Hausmeisters in ausgebeulter Jogginghose. Keine Regung. Im Hintergrund und in ausreichend Abstand agiert Voss, als stünde er auf einer Bühne. Theatralisches Sprechen ("Ich frage sie hier seit 30 Minuten unter einem Höchstmaß an sozialer Beweglichkeit, ob Sie die Ermittlungen in einem Doppelmord unterstützen"), ausladende Gesten, schließlich ein mephistohaft stechender Blick. Der Hausmeister - herrlich stoisch und gelangweilt gespielt vom fränkischen Comedian Roman "Bembers" Sörgel - bewegt sich immer noch nicht. Geschweige denn, dass er redet. Aber das übernimmt ja Voss ausreichend.

Die Pointe:

Paula Ringelhahn ist mit den Nerven am Ende und geht auf die Witwe ihres toten Freundes los. In Ringelhahns Augen ist Gudrun Leitner für den Tod ihres Mannes selbst verantwortlich und hat außerdem mit dem Mordversuch an dem jungen Libyer zu tun. Nun drückt Ringelhahn Gudrun Leitner auf den Boden und hält ihr die Pistole erst ans Genick, dann an die Wange. Kommissar Voss kommt gerade noch rechtzeitig, überwältigt Ringelhahn und reißt ihr die Waffe aus der Hand. Er dreht sich um und fragt Leitner, die trotz der Schocksituation überraschend gelassen wirkt: "Sie stehen ja schon wieder. Immer wieder. Ist das nicht schrecklich?"

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