Fotos aus dem Fernsehstudio:Form und Teig

Wenn das Fernsehstudio die Gussform einer TV-Sendung darstellt, dann ist das Publikum darin ihr aufgehender Hefeteig. Egbert Trogemann hat beides über Jahrzehnte hinweg fotografiert. Herausgekommen sind unerhörte Fotos.

Von Bernd Graff

6 Bilder

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Quelle: Egbert Trogemann

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Wenn das Fernsehstudio die Gussform einer TV-Sendung darstellt, dann ist das Publikum darin ihr aufgehender Hefeteig. Egbert Trogemann hat beides über Jahrzehnte hinweg fotografiert. Herausgekommen sind unerhörte Fotos.

Fernsehstudios sind die Produktionsstätten von Talkshows, Casting-Ereignissen, Gerichts- und Zubereitungs-Sendungen. Wenn man sie einmal theoretisch betrachtet, dann sind diese technischen Räume die Guss- oder Backformen für das, was in ihnen Fernseh-Leben oder Live-Berichterstattung werden soll. In sie hineingeschüttet werden - um im Bild zu bleiben - jedoch nicht nur Moderatoren, Köche, Kandidaten und Sprecher. Da sind auch noch Kulissen, Scheinwerfer und eben oft Zuschauer: Normalbürger in Straßenkleidung oder im Fan-Outfit.

Im Bild: Die Quiz Show, 2012.

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Quelle: Egbert Trogemann

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Sie folgen dem Geschehen auf der im Zentrum stehenden Bühne als unmittelbare Augenzeugen, ihre Reaktionen werden während der Sendung von Einpeitschern gelenkt und befeuert. Denn ihre Begeisterung wird als Ausweis für das Gelingen der Show inszeniert. Als Lackmustest fürs Entertainment: Freuen sich die Studiomenschen, dann - so die Botschaft der Bilder- ist das, was diese erleben, auch für alle Zuschauer daheim an ihren Bildschirmen, wirklich der Freude wert. Wenn das Fernsehstudio die Gussform einer TV-Sendung darstellt, dann ist das Studio-Publikum darin ihr unter vielen Geräuschen aufgehender Hefeteig.

Im Bild: Die Benimm Show, 2004.

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Quelle: Egbert Trogemann

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Egbert Trogemann hat Form und Teig dieses Fernsehens fotografiert, und er hat über Jahrzehnte hinweg unerhörte Fotos gemacht. Denn sein künstlerisches Prinzip ist es einerseits, unmittelbar vor einer Sendung zu fotografieren. Also bevor Moderatoren und Studio-Gäste die Bühne betreten werden, die Dekorationsarbeiten und Lichtproben aber abgeschlossen sind und die Beruhigungsgläser mit Mineralwasser schon auf ihren Plätzen stehen.

Im Bild: Was bin ich, 2000.

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Quelle: Egbert Trogemann

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Zum anderen fotografiert er Studio, Publikum und Bühne frontal in der Totalen. Das heißt: Man sieht etwas, das niemals im Fernsehen gezeigt würde: das oft kirmesbunt ausgeleuchtete Bühnen-Arrangement samt themensetzender Kulisse mit leeren Sesseln, Tischchen und Gläschen, den intimen Wohlfühlbereich für die geladenen Gäste. Dann sieht man in deutlichem Abstand dazu das Publikum, eingepfercht in einen meist nach hinten hin ansteigenden Sitztrichter, der oft an die spartanischen Sitzreihen von Amphitheatern erinnert. Und man sieht, dass das eine mit dem anderen so nichts zu tun haben kann - und soll.

Im Bild: Die Karl Dall Show, 2000.

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Quelle: Egbert Trogemann

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Die Zuschauer sind also in einem TV-Studio die am stiefmütterlichsten behandelte Requisite: sie sind keine Gäste, aber auch keine bloße Deko. Sie sind Schwellenwesen - nicht vom TV und für die Zeit der Sendung auch nicht mehr von dieser Welt. Dabei sind sie die wichtigste, weil lebendigste Zutat. Zuschauer sind nicht nur der aufgehende Teig in einer Studiosendung, sie sind Lebenssurrogat und darum ein Ersatzwürzstoff für authentisches Leben.

Im Bild: Mein Morgen, 1999.

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Quelle: Egbert Trogemann

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Wenn man sich Trogemanns Bilder genauer anschaut, erkennt man darum beides zugleich: Die oft erdrückende Leere des schreiend bunten, vollsynthetischen Studio-Arrangements. Aber auch die gespannte Erwartung und den unbedingten Willen, gut unterhalten zu werden auf Seiten des Studiopublikums. Während einer Sendung findet das alles im besten Fall glücklich zusammen. Auf Trogemanns Bildern, aufgenommen bevor TV-Kameras aufzeichnen, sieht alles aus wie im falschen Film.

Die Sammlung Moderne der Ruhr-Universität Bochum zeigt noch bis zum 27. April die Foto-Ausstellung Egbert Trogemann: AUDIENCE (Di-So, 11-17 Uhr, Eintritt frei). Der gleichnamige Katalog dazu ist bei Hatje Cantz, Ostfildern, erschienen.

Im Bild: Nur die Liebe zählt, 1999.

© SZ vom 13.02.2014/mfh
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