Flüchtlingshelfer bei "Hart aber fair":Wie geht's, Deutschland?

âÄžhart aber fair:  Sendung vom 09.11.2015

Sandro Poggendorf, Reporter und Redakteur beim MDR, Tania Kambouri, Streifenpolizistin in Bochum, Holger Michel, ehrenamtlicher Helfer in einer Flüchtlingseinrichtung in Berlin, und Moderator Frank Plasberg (von links)

(Foto: WDR/Dirk Borm)

Genug von den Politikern - jetzt reden die Praktiker: Frank Plasberg lässt Leute zu Wort kommen, die jeden Tag mit Flüchtlingen zu tun haben. Die Sendung ist eher Mosaik als stringente Erzählung. Und gerade deswegen sehenswert.

Von Hannah Beitzer

Wäre das eine normale "Hart aber fair"-Sendung, dann säße an ihrer Stelle vermutlich Frauke Petry. Doch so hat die Streifenpolizistin Tania Kambouri die Rolle der "kritischen Stimme" in einer Flüchtlingsdebatte der besonderen Art, zu der Frank Plasberg geladen hatte: statt Politikern sollen bei "Hart aber fair" einmal ausschließlich Praktiker zu Wort kommen, Menschen "von denen Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben", sagt er zu Beginn der Sendung.

Kambouri ist freilich nicht irgendeine Streifenpolizistin, sie ist in den vergangenen Monaten mit ihrem Buch "Deutschland im Blaulicht: Notruf einer Polizistin" wenigstens ein bisschen berühmt geworden, Talkshow-und-Interview-berühmt jedenfalls. Darin beklagt sie eine zunehmende Anzahl junger, muslimischer Männer, die keinen Respekt vor der deutschen Polizei hätten, erst recht nicht, wenn die in Gestalt einer jungen Polizistin daherkommt.

Zwischen Strenge und Verständnis ist keine eigene Position zu finden

Von Problemen mit Migranten berichtet sie nun auch bei Plasberg. Sie erzählt von Handyklau und Taschendiebstahl, von aufgebrochenen Autos und davon, dass sie die Flüchtlinge, die dahintersteckten, nicht wirklich belangen könne - weil sie noch gar nicht in Deutschland registriert seien. Doch, und das ist der erste Hinweis darauf, dass dies tatsächlich eine etwas andere Talkshow ist: eine wirklich steile These bekommt sie nicht hin. Stattdessen bleiben viele ihrer Sätze seltsam in der Luft hängen. Sie verheddert sich in dem Versuch, zwischen Strenge und Verständnis die eigene Position zu finden.

"Wir werden natürlich gerufen, wenn die Flüchtlinge Probleme bereiten", sagt sie etwa - und es ist nicht klar, ob sie damit meint: Wir wissen besonders gut, was Sache ist. Oder: Wir sehen qua Beruf halt nur die Extremfälle. Sie warnt vor Parallelgesellschaften, sagt aber auch Satzungetüme wie: "Im besten Falle verhalten sich die meisten konform." Und nicht zuletzt sagt sie: "Ich finde es gut, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Sonst wäre ich ja gar nicht hier." Denn Kambouris Eltern kamen als griechische Gastarbeiter nach Deutschland.

Der Eindruck ist: Da weiß eine einfach noch nicht ganz genau, was aus dem, was sie in ihrem Job beobachtet, eigentlich gesamtgesellschaftlich folgt. Man kann dieses Wanken und Hadern unentschlossen finden, unprofessionell. Oder ehrlich.

Von den anderen Gästen nagelt sie jedenfalls keiner auf diese Unentschlossenheit fest, es wird nicht mit Statistiken hantiert oder sich auch nur empört - ebenfalls ein wesentlicher Unterschied zur normalen Talkrunde. Stattdessen erklären ihr Heike Jüngling, Sozialdezernentin der Stadt Königswinter in Nordrhein-Westfalen, und der Berliner Ehrenamtliche Holger Michel ruhig und freundlich, warum viele Flüchtlinge nicht registriert sind: Weil die Behörden eine zeitnahe Registrierung gar nicht hinkriegen.

Der Berliner Michel, der nach Feierabend ehrenamtlich in der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf arbeitet, lässt auch die Versuche des Moderators, über die Behörden zu schimpfen, gelassen an sich abperlen. "Der Staat kann und soll das gar nicht alleine schaffen", erklärt er. Im Rathaus Wilmersdorf arbeiten sechs Festangestellte, einige Sozialarbeiter und insgesamt 5500 Ehrenamtliche, davon 800 regelmäßig. Auf die Frage, wie lange das noch gutgehen kann, kommt ein fast merkelhaftes: "Ich glaube, wir kriegen das noch eine ganze Weile hin, weil wir straffe und organisierte Strukturen haben."

Auf seinen persönlichen Einsatz angesprochen - er hat zum Beispiel selbst Babynahrung für Kinder im Heim gekauft - sagt er spöttisch: "Babys haben ja die dumme Angewohnheit, dass man sie nicht 24 Stunden warten lassen kann, wenn sie Hunger haben."

"Integration ist kein Sprachkurs"

Dramatischer klingen die Berichte aus Wegscheid an der bayerisch-österreichischen Grenze, wo über Tage völlig chaotische Zustände herrschten, Busse voller unversorgter Flüchtlinge aus Österreich nach Deutschland kamen. "Die haben uns buchstäblich die Leute, kleine Kinder, Säuglinge, auf die Wiese gekippt - so brutal es klingt", erzählt bei Plasberg Lothar Venus, Zweiter Bürgermeister der Grenzgemeinde Wegscheid.

Auch er ist nicht ganz unbekannt, war in den vergangenen Wochen als Krisenkoordinator in den Medien präsent. "Es muss dringend eine neue Formatierung geben", erklärt er nun bei Plasberg in typischem Niederbairisch, jedes seiner A so weit hinten in der Kehle, das es wie ein O klingt.

Völlig einig ist der CSU-Mann mit dem Journalisten Sandro Poggendorf, der anschließt: "Die Formatierung kann nicht passieren, wenn unsere Politiker sich erst einigen und einen Tag später alles wieder über den Haufen werfen." Es geht Venus und Poggendorf um die Sache mit dem Familiennachzug für Syrer, über den sich die Koalition nun schon seit einigen Tagen streitet. Wegen so einer Kleinigkeit solle jetzt nicht der ganze mühsame Kompromiss in der Flüchtlingsfrage "totdiskutiert" werden, findet Venus. Denn schließlich habe man im Moment ganz andere Probleme: "Wir müssen jetzt mal schauen, dass wir eine Richtung bei den Flüchtlingen reinkommen, die schon mal da sind."

"Man kann in so ein Dorf nicht einfach ein Asylantenheim reinpflanzen"

Flüchtlingshelfer Michel und Sozialdezernentin Jüngling finden den Streit aus einem anderen Grund schlimm: Denn was passiere, wenn man den Nachzug unterbinde? "Dann machen sich die Leute von allein auf den Weg", konstatiert Michel knapp. Die Folgen seien laut Michel klar: noch mehr Frauen und Kinder auf der unsicheren Flucht. Und, um auch die Pragmatiker zu bedienen: noch weniger Möglichkeiten zur Kontrolle, wer wann kommt.

Den letzten wichtigen Aspekt der Debatte bringt Journalist Poggendorf ein. Und zwar in Form eines Berichts aus Halle. Dort wurde ein Hotel quasi über Nacht zum Flüchtlingsheim umgebaut, die Belegschaft vor die Tür gesetzt. Die Kommunikation - mangelhaft. Die Folgen: Unmut in der Bevölkerung und Nazis, die den Fall für sich instrumentalisierten, während die Betroffenen zu unrecht in die rechte Ecke gestellt wurden.

Auch Lothar Venus berichtet aus Wegscheid: "Man kann in so ein Dorf nicht einfach ein Asylantenheim reinpflanzen." Da gingen alle erst einmal "auf Abwehrreaktion" - häufig schlicht, weil sie nicht wüssten, was sie erwartet. "Integration ist kein Sprachkurs. Integration ist erst einmal die Vorbereitung der eigenen Leute auf die Situation", sagt Venus. In Wegscheid hätte sich Gott sei Dank schnell ein Helferkreis gefunden, der diese Vorbereitung übernommen hätte.

Auch Michel erzählt von Nachbarn, die sie extra ins Flüchtlingsheim eingeladen haben, damit sie sich ein bisschen umschauen können. "Es wird langsam erkannt: Das sind 100 000 Einzelschicksale", bilanziert er. Und kommentiert die laut Umfragen zunehmende Angst der Deutschen vor Flüchtlingen: "Da machen mir die Angriffe auf Flüchtlingsheime, der Anschlag auf die Kölner Bürgermeisterin, die Berichte von Neonazis in Ostdeutschland viel mehr Sorgen."

Die Erzählungen aus Wegscheid, Berlin und Königswinter, die Überlegungen der Polizistin, die Kritik des Journalisten - alles zusammen ergibt weniger einen roten Faden, als ein Mosaik aus Beschreibungen und Gedanken. Es widerspricht der Logik anderer Talkrunden, die Diskutanten entlang scharf gezogener Konfliktlinien gegeneinander antreten lassen. Es bietet keine Lösung. Dafür aber einen recht weiten Blick in das Land, das sich gerade so sehr verändert. Eine Fortsetzung wäre schön. Am besten dann mit einem der gerade neu dazugekommenen Mibürger - damit der Blick noch ein bisschen weiter wird.

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