Filmproduzent Nico Hofmann im Interview:Die gnadenlos weibliche Sicht

Sein Film "Dutschke" floppte, nun versucht er sein Glück mit "München 72" - Der Filmproduzent Nico Hofmann über relevantes Fernsehen, Veronica Ferres, die Veränderungen in seinem Beruf und warum er die "Bunte" abonniert hat.

Hans Hoff und Christopher Keil

SZ: Herr Hofmann, vor einem Jahr äußerten Sie eine Sinnkrise. Warum?

Diva Preis-Verleihung, 2008

Produzent Nico Hofmann: "Es ist eine andere Ruhe in mir. Ich weiß heute genauer, was ich will."

(Foto: Stephan Rumpf)

Hofmann: Ich musste nach mehr als zehn Jahren mein Berufsleben hinterfragen, und das habe ich auch glücklicherweise zugelassen. Ich bin aus dem ganzen Prozess stabil und lustvoll herausgegangen. Es ist eine andere Ruhe in mir. Ich weiß heute genauer, was ich will.

SZ: Und was ist das?

Hofmann: Wir gehen künftig mit einer höheren Stückzahl in den Event-Bereich. In diesem Jahr drehen wir Uwe Tellkamps Bestseller Der Turm als Zweiteiler, Rommel und Unsere Mütter, unsere Väter als Dreiteiler. Wir werden außerdem das journalistische Vorgehen bei der Stoffentwicklung vorantreiben.

SZ: Dutschke, Ihre Herzensangelegenheit des vergangenen Jahres, war der ZDF-Film an einem Dienstagabend mit der niedrigsten Quote aller Zeiten. Haben Sie Ihre Instinkte verlassen?

Hofmann: Man ist nicht immer vom Glück gesegnet. Dutschke ist völlig verquer wahrgenommen worden. Der Film hat sich ja nicht mit der Person auseinandergesetzt. Mein Ansatz war eine Generationenbetrachtung.

SZ: Darf man beim Fernsehen nicht mehr um die Ecke denken?

Hofmann: In gewisser Weise ist das so. Ich frage mich ständig: Welche Biopics oder Dokudramen eigenen sich noch für eine größere Betrachtung. Wir werden Hannelore Kohl machen. Ich kannte sie persönlich. Sie war eine intensive Persönlichkeit. Ich finde auch Gunter Sachs faszinierend. Oder Franz Beckenbauer. Beckenbauer ist einmalig. An ihm könnte man deutsche Geschichte erzählen, die es so nicht mehr geben wird.

SZ: Würde Guttenberg funktionieren?

Hofmann: Würde ich sofort machen, mit Sebastian Koch als Guttenberg und Robert Atzorn als Vater Guttenberg. Immer, wenn das Leben zum Drama wird, ergibt sich der Filmstoff fast von alleine.

SZ: Wann kommt der erste Kachelmann-Thriller?

Hofmann: Kachelmann ist doch schon sehr auserzählt worden in der Presse. Wo wäre der Mehrwert für den Zuschauer über das hinaus, was er bereits weiß? Andererseits fasziniert und erschreckt sein Lebensmodell. Da steckt - inklusive Fluchtpunkt Kanada - eine absurde Vorstellung von Freiheit drin, auch von sexueller Freiheit, ein Konzept der Nicht-Bindung. Es gibt heute genügend Partner, die so ein Spiel mit der Nicht-Bindung attraktiv finden, bis ins Sexuelle hinein.

Christine Neubauer allein funktioniert nicht mehr.

SZ: Entdecken Sie Ihre Themen mittlerweile überwiegend in der Zeitung?

Hofmann: Ja. Ich reiße mir wirklich immer die Seiten heraus und nehme Geschichten mit ins Büro. Wir haben jetzt Tsunami - Das Leben danach gemacht. Die Geschichte stand in der Bunten.

SZ: Die wahre Geschichte einer Frau und eines Mannes, die ihre Partner und Kinder im Tsunami verloren. Beide wurden dann ein Paar.

Hofmann: Das ist ein ernsthafter Film. Ich lese auch FAZ, SZ, Spiegel, Zeit und Bild. Bekennender Bunte-Abonnent bin ich deshalb, weil das Heft so eine gnadenlos weibliche Sicht auf die Welt hat.

SZ: Oder Sie handeln einfach aus Kalkül: Frauenstoffe erzielen gute Quoten.

Hofmann: Nicht immer. Manchmal lassen sich Frauen auch mit reinen Männerstoffen begeistern.

SZ: Wofür steht der deutsche Fernsehfilm, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten?

Hofmann: Ihr Tonfall klingt so polemisch. Man kann doch nicht behaupten, dass jedes öffentlich-rechtliche Angebot langweilig oder antiquiert ist, wie Sie sicher gleich unterstellen wollen.

SZ: Nicht jedes, aber vieles.

Hofmann: Gerade hatten wir Drehstart für München 72 - Das Attentat. Das Entscheidende ist, dass wir den kompletten deutschen und den kompletten jüdischen Blickwinkel auf das Massaker zeigen. Das hatte Steven Spielberg in Munich nicht gewagt.

SZ: Sie wollen damit sagen: So gut ist deutsches Fernsehen, so gut sind Sie?

Hofmann: Ich will sagen, in Deutschland entstehen gute Filme für das Fernsehen. Und wir Produzenten haben eine Verantwortlichkeit für den Sendeplatz. Die Sender sind Partner. Und es gibt immer eine klare Vorausverabredung über das, was ein Film insgesamt ergeben könnte.

SZ: Das ist Quotenfernsehen.

Hofmann: Nein. Es geht um eine gemeinsame Verantwortung für Qualität.

SZ: Ein Beispiel für Qualität ist?

Hofmann: Sie werden lachen: Christine Neubauer. Wir hatten sie am Jahresanfang in Kalter Himmel, in einer sehr anspruchsvollen Rolle als Mutter eines autistischen Kindes in den sechziger Jahren. Der Film hatte mehr als sieben Millionen Zuschauer. Das ist immer noch die höchste Neubauer-Quote 2011. Und plötzlich entstand eine Diskussion: Warum packen die Filme, in denen Christine Neubauer sonst zu sehen war ...

SZ: Schwerste Landfrauendramen.

Hofmann: ... nicht wie früher die sieben Millionen Zuschauergrenze?

SZ: Warum denn nicht?

Hofmann: Die ältere Generation, das sehe ich an meiner eigenen Mutter, die gerade 80 geworden ist, schaut wesentlich jünger fern. Selbst die Älteren picken sich nur noch das aus dem Programm, was für sie Relevanz hat. Ohne Relevanz geht nichts mehr.

SZ: Hat sich das schon bis zu den Sendern herumgesprochen?

Hofmann: Das setzt sich gerade durch. Es reicht nicht mehr, Christine Neubauer, Veronica Ferres oder Maria Furtwängler zu besetzen, und das wird dann ein Erfolgsfilm aus der Retorte, der acht Millionen Zuschauer bringt. Auch die Marotte, dass möglichst viel am Wasser spielen, dass man möglichst viel Sonne sehen und möglichst ein paar Kameraflüge mit dem Hubschrauber über mallorquinische Hügel einbauen muss, zieht nicht mehr. Produzenten befinden sich in einem ähnlichen Prozess wie der Journalismus.

SZ: Inwiefern?

Hofmann: Journalismus arbeitet heute wesentlich stärker mit Zuspitzungen, ist provokanter. Journalismus arbeitet mit ganz anderen, neuen optischen Stilmitteln. Die Macht des Layouts spielt eine immer größere Rolle. Geleitet wird das alles von der Frage: Wie kriege ich den Leser auf die Seite? Wenn wir jetzt Stoffsitzungen haben, frage ich: "Was ist die Relevanz? Warum soll sich jemand für diesen Stoff abends 90 Minuten vor den Fernseher setzen?"

SZ: Verlieren Publikumserreger wie Neubauer, Ferres, Furtwängler in diesem Prozess an Bedeutung?

Hofmann: Ich würde sagen, die größten Erfolge erzielt man, wenn großartige Schauspieler in einem relevanten Programm eingesetzt werden. Und sie brauchen eine exzellente Regie und ein exzellentes Drehbuch.

SZ: Nicht wenige Ihrer Kollegen, auch Regisseure und Drehbuchautoren, beklagen im Stillen inhaltliche Übergriffe vor allem der Redakteure von ARD und ZDF, weil die immer mehr Macht bekämen angesichts von immer weniger Sendeplätzen für Film und Serie insgesamt.

Hofmann: Die Debatte ist mühsam. Grundsätzlich ist jeder seines Glückes Schmied. Als Produzent muss man schmerzlich lernen, mit einem völlig anderen Selbstbewusstsein, einer völlig anderen inhaltlichen Durchdringung und angstfrei im Augenblick des drohenden Rückfalls seinen Stoff zu verteidigen.

SZ: Haben Sie nicht gut reden? Christian Granderath ist beim NDR Spielfilmchef und hat früher bei Ihnen gearbeitet, so wie Joachim Kosack, der bei Pro Sieben Sat 1 die Fiktion verantwortet, oder Barbara Thielen bei RTL.

Hofmann: Ich bin auf alle diese Mitarbeiter stolz, aber gerade sie schauen doch zehn Mal mehr auf unsere Projektangebote, bevor sie einen Auftrag erteilen. Das Problem ist anders gelagert: Produzenten waren in Deutschland viel zu lange auf dem merkantilen Trip. Früher sind Produzenten beim Sender Aufzug gefahren und haben eine sechsteilige Kinderweihnachtsserie mit nach Hause genommen. Über Inhalte wurde danach gesprochen. Produzenten waren mehrheitlich Kaufleute, ausgebildete Herstellungsleiter. Heute brauchen wir als Produzenten vor allem inhaltliche Radikalität, du musst ins Risiko gehen.

SZ: Wo gehen Sie ins Risiko?

Hofmann: Unsere Mütter, unsere Väter kostet 14 Millionen Euro. Ich habe mit dem ZDF einen sehr jungen Regisseur verpflichtet, Philipp Kadelbach, um das Thema Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg jung zu erzählen. Entweder, alle werden mitgerissen, weil alle noch einmal bereit sind, sich mit diesem jungen Blick auf die Vergangenheit neu zu beschäftigen. Oder wir sind die großen Verlierer.

SZ: Sie könnten sich das leisten. Ein kleiner Produzent ohne Konzern im Rücken wird immer abhängiger sein.

Hofmann: Warum? Jeder Redakteur kann ein guter Sparringspartner werden. Dafür müssen beide Seiten über das Gleiche reden. Das muss jeder Produzent erreichen, mit oder ohne Konzern im Rücken.

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