ZDF-Film über Sterbehilfe:Der Tod ist ein schlechter Witz

Ein großer Aufbruch

Zum Abschiedsessen eingeladen: Anwalt Heiko (Matthias Brandt, l.) und Adrian (Edgar Selge).

(Foto: ZDF/Walter Wehner)

Matti Geschonnecks Ensemblefilm "Ein großer Aufbruch" zeigt, was es bedeutet, wenn sich jemand gegen Geld beim Sterben helfen lässt - und ist zugleich eine absurde Komödie.

Von Christian Mayer

Der Schauspieler Matthias Habich hat sich trotz seiner Falten und Furchen seine Jugendlichkeit bewahrt. In den Zügen des 75-jährigen scheint immer das Gesicht eines viel jüngeren Mannes auf, der am meisten über sich selbst staunen kann. Er kann bestimmt sein, herrisch, melancholisch, auch mal böse - immer bleibt da der Rest eines zwanzigjährigen Draufgängers. Auch deshalb ist Habich eine gute Besetzung für Holm, den Mann, der mit aller Macht am Leben hängt, aber leider keine Zeit mehr hat.

Ein großer Aufbruch heißt der Film von Regisseur Matti Geschonneck. Es geht betont undramatisch los, der Chiemsee leuchtet in den schönsten Farben. Holm, der früher als Ingenieur in der Entwicklungshilfe gearbeitet hat, will Abschied nehmen, deshalb hat er die Menschen, die ihm nah stehen, in sein Haus eingeladen: seine Ex-Frau Ella (Hannelore Elsner), mit der er einst zusammen in Afrika gelebt hat, seine beiden Töchter Marie (Ina Weisse) und Charlotte (Katharina Lorenz), die besten Freunde Katharina (Ulrike Kriener) und Adrian (Edgar Selge). Doch dass der krebskranke Holm freiwillig aus dem Leben scheiden will, wollen seine Gäste erst mal nicht wahrhaben.

Der Tod kommt ja immer gewaltsam, gegen ihn kann man nicht ernsthaft argumentieren - gegen den frei gewählten Entschluss eines Menschen, in eine Sterbeklinik nach Zürich zu fahren, dagegen schon. Es soll ein Abschied in Würde werden, die Chance zur Versöhnung. "Toll, wenn man bei seinem eigenen Leichenschmaus anwesend ist", sagt Holm und hebt sein Rotweinglas, aber eigentlich kann er auch nicht glauben, was er sagt.

Beim Abendessen schlagen sich die Gäste die Lebenslügen nur so um die Ohren

Geschonneck und sein Drehbuchautor Magnus Vattrodt vermeiden zum Glück jegliches Pathos: Das hier ist eine wilde Party, bei der sich die Gäste die Lebenslügen nur so um die Ohren schlagen. Auch die finstersten Geheimnisse kommen auf den Tisch, weil in einer Familie ja doch immer alle alles wissen oder zumindest ahnen. Von den Grausamkeiten bleibt auch Holm, der unersättliche Lebemann, nicht verschont: Im Laufe des Abends wird ihm brutal vor Augen geführt, dass er mit seinem Egoismus und seinem Freiheitsdrang alles zerstört hat. Selbst sein Testament beruht auf einer Lüge: Holms Töchter werden nichts erben außer Schulden, denn auch für das Haus am Chiemsee und selbst für das Auto hat sein wohlhabender Freund und Bewunderer Adrian gezahlt, der ihm in Nibelungentreue ergeben ist, sich dann aber auf seine Weise für die Demütigungen rächt.

Jeder trauert auf seine Weise

Herrlich, wie Geschonneck das alles auch als absurde Komödie inszeniert, als große Abrechnung beim Abendessen. Ist der Tod nicht ein schlechter Witz, kann man über ihn lachen? Holm versucht es zumindest, aber auch ihm bleibt das Lachen im Halse stecken. Marie reagiert abweisend und aggressiv auf ihren Vater, ihre jüngere Schwester Charlotte gibt sich aufgekratzt und konfliktscheu. Ella, die Ex-Frau und gescheiterte Mutter, wirkt noch am klarsten, sie hat ihre Niederlagen längst hinter sich. Katharina und Adrian dagegen laufen zu immer größerer Form auf und liefern sich am Ende eine Eheschlacht, wie man sie aus Edward Albees Psychodrama Wer hat Angst vor Virgina Woolf kennt.

So trauert jeder auf seine Weise, still oder schrill. "Ich sterbe vor Hunger", ruft Holm einmal trotzig in die Runde. Seine Tochter Marie lässt sich diese Steilvorlage nicht entgehen. "Ist ja auch praktisch: Würde dir die Reise in die Schweiz ersparen."

Der Zufall will es, dass dieser Film eine Wochenach der Abstimmung über das Sterbehilfe-Gesetz im Bundestag ausgestrahlt wird, vorausgegangen war eine heftige gesellschaftliche Diskussion quer durch die Parteien. In Deutschland bleibt die organisierte Beihilfe zum Suizid weiter verboten, im Gegensatz zur Schweiz, wo die Sterbehilfe ein diskretes Geschäft ist. Aber was bedeutet es konkret, 5000 Euro zu zahlen und diesen letzten Schritt zu gehen? Was muss man alles aushalten, in den letzten Tagen, Stunden, Minuten, was geschieht da mit einem, wenn man den Giftcocktail tatsächlich schlucken soll? Und wie halten die Angehörigen das alles aus?

All diese Fragen kann im Film nur einer beantworten, Maries neuer Lebensgefährte Heiko. Der wunderbare Matthias Brandt spielt die Rolle des Anwalts, der anfangs noch mit höflicher Distanz das Geschehen verfolgt, bis auch er mehr und mehr in den Strudel der Feindseligkeiten gerät. Am Ende öffnet er den anderen die Augen, weil er nicht nur was vom Geldverdienen versteht, sondern auch vom Loslassen und vom Mut, den es dafür braucht.

Ein großer Aufbruch überzeugt mit seinem brillanten Ensemble, mit Wortwitz und Furor; schon bei der Premiere auf dem Hamburger Filmfest Anfang Oktober wurde dieses Kammerspiel mit Ovationen gefeiert. Besser wird's so schnell nicht mehr im deutschen Fernsehfilm.

Ein großer Aufbruch, ZDF, 20.15 Uhr.

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