ARD-Film mit Charly Hübner:Schubkarren voll Herzenswärme

Anderst schön

Die Menschen - und Schafe - sind stärker als die Umstände, jedenfalls Hausmeister Roger (Charly Hübner) und Jill (Emilie Neumeister).

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Hakenkreuze, miese Friesen und Tristesse: "Anderst schön" bedient alle Klischees, die einem so einfallen zum Thema Ost-Plattenbau. Trotzdem ist der Film anders. Und schön.

Von Cornelius Pollmer

Wir präsentieren zunächst die Top Drei der Kardinalfehler, die man vermeiden sollte, wenn man einen Film über das Leben im Ost-Plattenbau dreht. Erstens: Zeige Menschen in zweifelhafter Kleidung. Zweitens: Zeige Jugendliche, deren Leben allein daraus zu bestehen scheint, Hakenkreuze in den Hausflur zu schmieren. Drittens: Zeige mittelalte Männer, die der Liebe nie wirklich begegnet sind in ihrem Leben.

Bartosz Werner hat genau diese drei Dinge getan - und doch ist ihm ein Film gelungen, der fast so heißt wie er ist. Anderst schön ist anders. Und schön.

Zu sehen ist ein Ehepaar in Indianerkluft, Marke Faschingskoffer. Es kämpft für sein Reservat, die Schweriner Platte. Der Große Dreesch war in der DDR ein Versprechen an die Zukunft. Die Mauer fiel, Menschen gingen, nun sollen weitere Mauern fallen, die Bagger sind schon da. Zu sehen ist ein Junge, der Hakenkreuze in den Hausflur schmiert und dabei die Hacken zusammenschlägt. Der Hausmeister stellt ihn, Kapuze runter, große Überraschung: der Kleine von Herrn Üzgül. Sag mal, spinnst Du? Der Kleine entschuldigt sich, er wolle eben bei den Jungs dazugehören, und "was soll ich denn machen? Wir haben ja hier keine andere Gang."

Zu sehen ist schließlich der Hausmeister, dieser mittelalte Mann namens Roger Müller (Charly Hübner). Müller erzählt nicht von verwehten Lieben, er berichtet von "Beinahe-Fast-Ex-Freundinnen". Die einzige Beziehung, die er pflegt, ist die zu seiner Mutter. Mit ihr teilt er sein kleines Leben, inklusive: zwei Zimmer, Küche, Bad. Als Mutter und Sohn dann doch beschließen, sich die Freiheit zu schenken, liegt Müller ihr heulend im Arm. "Wir machen 'ne Pause", sagt er. Müller macht Schluss, gerade rechtzeitig. Denn Müller hat Ellen gefunden und mit ihr die Liebe.

Der Film zeigt angenehm viele Gewinner

Ellen war aus Nordfriesland nach Schwerin geflüchtet, im Gepäck nicht viel mehr als die Hoffnung auf einen Neuanfang. Zunächst hatte es so ausgesehen, als würde sich nicht das Leben ändern, sondern nur die Postleitzahl. Aber dann sitzt Jill, ihre Tochter, auf dem Dach der Platte und spielt Cello. Es klingt wie die Variation eines Kirchenliedes, ein Instrumental, und man glaubt, den Text zu hören: Du hast uns Herr gerufen, und darum sind wir hier.

Anderst schön ist ein Film über die Liebe, vor allem. Aber er ist auch ein Film über die Erosion von Nachbarschaft in der Funktionsgesellschaft. Ein Film darüber, dass Leute nicht mehr mitkommen. Wie Müllers Mutter, die im Küstennebel schwankt, auf Du und Du mit dem Schnapsregal. Als Müller ihr helfen will, sagt sie: "Ich lehne alle lebensverlängernden Maßnahmen ab."

Und sonst? Angenehm viele Gewinner. Da sind der Hund Freitag und sein Herrchen Hermann, Spitzname Parkinson, Geigenbauer im Ruhestand. Er verbringt die Tage mit Warten auf den jeweils nächsten - bis ihm das kaputte Cello von Jill vor die Füße fällt. Da ist Hilde, die mal Schlager sang und gegen jede Wahrscheinlichkeit die Kraft für einen neuen Anfang findet. Und da ist zuvorderst Charly Hübner, der dem Hausmeister Müller Schubkarren voll Herzenswärme schenkt und dazu ein paar Windungen Forrest-Gump-DNA. Müller beweist im Kleinen: Der Mensch ist stärker als die Umstände. Er kann es zumindest sein.

Anderst schön, ARD, 20.15 Uhr.

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