FBI-Fernsehserie "Blindspot":Halb Bambi, halb Terminator

FBI-Fernsehserie "Blindspot": Ist sie gut, ist sie böse, ist sie Opfer oder Maulwurf? Jaimie Alexander spielt Jane Doe, deren Geschichte auf ihrer Haut zu finden ist.

Ist sie gut, ist sie böse, ist sie Opfer oder Maulwurf? Jaimie Alexander spielt Jane Doe, deren Geschichte auf ihrer Haut zu finden ist.

(Foto: NBC)

Ein braver Ermittler und eine undurchsichtige Anti-Heldin gegen den Rest der Welt: Die FBI-Serie "Blindspot", die nun bei Sat 1 läuft, treibt ihre Figuren mit viel Pathos bis an die Grenzen des Genre-Klischees.

Von Annika Domainko

Es gibt viele Möglichkeiten, einen denkwürdigen ersten Eindruck zu hinterlassen. Auf dem belebten New Yorker Times Square nackt und am ganzen Körper tätowiert aus einer Sporttasche zu steigen, gehört sicherlich zu den medienwirksameren. So beginnt die amerikanische Serie Blindspot, die von diesem Dienstag an auch in Deutschland zu sehen ist.

Die ominöse Frau aus der Tasche, gespielt von Jaimie Alexander, leidet an Amnesie: Weder kennt sie ihren eigenen Namen, noch weiß sie, wer sie tätowiert und in Manhattan abgelegt hat.

Die FBI-Ermittler geben ihr den Namen Jane Doe - ein Alias, das man im Englischen zur Bezeichnung nicht identifizierbarer Personen benutzt. Die Kameraführung deutet dem Zuschauer indes nicht gerade subtil an, wo der Schlüssel zu Janes Identität zu finden sein wird. Genüsslich gleitet die Kamera über Alexanders nahtlos tätowierten Körper.

Die Story, so die wenig kryptische Botschaft, ist der Hauptfigur mit Tinte in die Haut geschrieben. Die Tattoos entpuppen sich als Rätsel, das Agent Kurt Weller (Sullivan Stapleton) zu immer neuen Fällen von organisierter Kriminalität, Verschwörungen und terroristischen Plänen führt.

Doch die Geschichte der rätselhaft bemalten Frau ist nicht nur einfach eine weitere Krimi-Produktion des Krimi-affinen Senders NBC. Blindspot ist auch deshalb interessant, weil sich die Serie als kleine Kulturgeschichte betrachten lässt. Blindspot führt den Zuschauer über 23 Episoden hinweg durch alle Erzählmuster eines Genres, das nach wie vor zu den beliebtesten überhaupt zählt: der FBI-Serie.

In "Akte X" lag die Wahrheit irgendwo da draußen. Später fand man sie dann am Schreibtisch

Zu jeder FBI-Serie gehört das immer selbe Figurenkabinett, der gebrochene Antiheld, der wissenschaftliche Welterklärer, der Alleswisser im Hochglanzlabor - und natürlich braucht es immer auch einen guten, zuverlässigen Ermittler.

In Blindspot ist es Agent Kurt Weller, der den stereotypen "good guy" ohne Fehl und Tadel gibt. Fast könnte man meinen, man habe sich im Jahrhundert vertan: Es klingt ein bisschen wie in den Radiokrimis der Dreißigerjahre (seinen ersten Auftritt hatte der weiße Ritter mit Dienstmarke in der Radio-Serie Special Agent Five), wenn man ihn mit brechender Stimme sagen hört, dass "das, was wir tun" - also das FBI - keinen Raum lasse für die Liebe.

Kamerawirksamer Blick in die Ferne. Schnitt. Trotz Dreitagebarts und zerrissener Jeans kommt Weller glatt und gebügelt daher. Er ist die Quintessenz des braven Agenten, wie ihn sich das FBI nicht schöner hätte ausdenken können. Agent Weller ist beherrscht, klassischerweise männlich und ein Idealist durch und durch.

Jane Doe ist das dramaturgische Gegengewicht zu diesem Strahlemann, sie ist der Antiheld. An ihr ist gar nichts klar: Ist sie gut, ist sie böse, Opfer oder Maulwurf? Wie allen echten gebrochenen Helden ist auch Jane Doe ihr Status als Sand im Getriebe nicht recht bewusst. Und so steht sie, halb Bambi, halb Terminator, mal auf der Seite des FBI, mal trifft sie sich heimlich mit zwielichtigen Gestalten.

"Schlechte Menschen tun schlechte Dinge. Und die Guten stoppen sie." So ist das beim FBI

Jaimie Alexander als Jane Doe in "Blindspot".

Als Jane Doe soll Jaimie Alexander den Zuschauer in Blindspot auf Distanz zu den umstrittenen Aspekten des FBI zu halten.

(Foto: NBC)

Dass Figuren wie Weller und Doe in fast allen FBI-Serien auftauchen, hat auch mit der Behörde selbst zu tun: Seit ihrer Gründung hatte die US-Bevölkerung ein gespaltenes Verhältnis zu ihr, da es zu deren Jobbeschreibung irgendwo zwischen Polizei und Inlandsgeheimdienst gehört, die eigenen Bürger zu bespitzeln.

Lindsay Steenberg, die an der Brookes Universität in Oxford zum amerikanischen Fernsehkrimi forscht, sieht in diesem Umstand auch den Grund dafür, dass sich FBI-Serien in der Regel darum bemühen, ihre Charaktere so weit wie möglich auf Distanz zu den umstrittenen Aspekten des FBI zu halten - entweder durch Überhöhung zum unumstrittenen "good guy" wie Weller oder durch das totale Gegenteil wie Jane Doe. Allein gegen den Rest der Welt - Fox Mulder aus Akte X lässt grüßen.

Nicht die Dienstmarke entscheidet also über Richtig oder Falsch, sondern das Gewissen des Protagonisten: Jane Doe ignoriert nicht wenige Befehle der Agenten und haut auch mal daneben - was den Zuschauer herausfordert: Kann er ihr trauen?

Das Rätsel um Jane Doe ist der Erzählstrang, der die Episoden miteinander verknüpft - ganz gelöst ist es auch am Ende der ersten Staffel nicht - in den USA beginnt folgerichtig im September die zweite Staffel. Die Folgen funktionieren aber auch einzeln - jede Woche wird ein anderes Tattoo entschlüsselt.

Während in Akte X, der berühmten Mysteryvariante des Genres FBI-Serie, die Wahrheit "irgendwo da draußen" lag - und aus dramaturgischen Gründen auch nicht gefunden wurde -, hat sich die Wahrheitssuche in jüngeren Serien zunehmend verlagert: unters Mikroskop (Bones), ins Hirn der Verbrecher (Criminal Minds), in die Welt der Zahlen (Numbers).

"Blindspot" ist ein seriegewordenes Höher-Schneller-Weiter-Lauter

In Blindspot ist die vornamenlose Agentin Patterson (Ashley Johnson) eine Mischung aus Hipster, Daniel Düsentrieb und James Bonds Q. Sie kann ein Flugzeug vom Telefon aus landen, entschärft in der Mittagspause Bomben vom Schreibtisch aus und trickst die Sicherheitsanlage des FBI-Hauptquartiers mit Hilfe eines Feuerzeugs aus.

Am Bildschirm zerlegt sie eine bedrohliche Welt in handliche Einsen und Nullen, sieht, was anderen verborgen bleibt, und bedient so das Bedürfnis des Zuschauers nach der Sicherheit, dass der Fall in 60 Minuten auch wirklich gelöst werden kann. Jedenfalls mit dem richtigen Equipment - und dem richtigen Team.

In Blindspot kann ein einzelnes FBI-Team alles auf einmal. Sie erstellen psychologische Täterprofile, sie bedienen ein Labor, das selbst Batman neidisch machen würde, sie spielen SWAT-Team und nehmen ganze Häuserzüge mit ballistischem Großgerät auseinander, sie befragen Zeugen, sie haben Papierkram zu erledigen. Blindspot ist FBI de luxe, ein seriegewordenes Höher-Schneller-Weiter-Lauter, das seine Figuren bis an die Grenzen des Genre-Klischees treibt.

Und gerade wenn man sich darüber freut, mit welch feiner Ironie hier scheinbar nebenher ein ganzes Genre auf die Schippe genommen wird, sagt jemand einen Satz wie "Schlechte Menschen tun schlechte Dinge. Und die Guten stoppen sie." Das ist dann doch ein bisschen viel Pathos für echte Selbstironie. Möglicherweise ist das der Punkt, an dem die Serie Blindspot ihren blinden Fleck hat.

Blindspot, Sat 1 Emotions, dienstags, 20.15 Uhr.

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