Fernsehen:Subversive Botschaften in der Schnulzenserie "Melrose Place"

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Biestiger Publikumsliebling: Amanda (Heather Locklear, rechts). (Foto: Worldvision Enterprises Inc.)

Heikle gesellschaftspolitische Themen wurden im US-Fernsehen der Neunzigerjahre gerne ausgeblendet. Ausgerechnet ein Trash-Format schob seinen Zuschauern jahrelang geheime Botschaften unter.

Von Hakan Tanriverdi

Ein Pärchen liegt im Bett. Es ist früh am Morgen, der Mann hätte gerne Sex, er küsst den Nacken der Frau. Sie ist nicht in Stimmung und wimmelt ihn ab. "Ich dachte, morgens ist deine Lieblingszeit", sagt der Mann.

Die Szene ist aus Melrose Place, einer der erfolgreichsten Seifenopern der Neunzigerjahre, und wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn da nicht die Bettdecke wäre. Die Kamera nimmt sie nicht besonders in den Fokus, die Decke ist pure Requisite. Aber sie ist auch eines von 200 Kunstwerken, die in einem Zeitraum von zwei Jahren heimlich, anfangs sogar ohne Wissen des Produzenten, in die Serie geschmuggelt und zur Primetime einem ebenso unwissenden Millionenpublikum präsentiert wurde.

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Zu sehen ist die Bettdecke noch bis Ende November im Rahmen der Ausstellung Total Proof in New York. Auf zwei Stockwerken zeigen die Red Bull Studios die Arbeit des Künstlerkollektivs Gala. 100 Stücke, die unter Anleitung des Konzeptkünstlers Mel Chin entstanden, sind dort zu sehen.

Heikle gesellschaftspolitische Themen wurden einfach ausgeblendet

Auf den ersten Blick sieht das Muster der Decke unverdächtig aus. Wenn man aber genau hinsieht, erkennt man Hunderte aufgerollte Kondome. Das war einerseits ein Seitenhieb auf den Mann unter der Decke, Dr. Peter Burns, gespielt von Jack Wagner, ein manipulativer Womanizer, der Kondome verwenden sollte. Andererseits war die "Sicherheitsdecke", so der Name des Kunstwerks, ein Kommentar auf die gesamte amerikanische Fernsehkultur, die heikle gesellschaftspolitische Themen häufig ausblendete.

Bei der berühmten Sitcom Friends etwa wurde lange darüber diskutiert, ob man Kondompackungen zeigen sollte - dann entschied man sich dagegen. Bei Melrose Place war es ähnlich, bis Set-Designerin Deborah Siegel einen Anruf von Mel Chin bekam.

Chin stellte Siegel seine Idee vor: Er wollte der Serie jede Woche kostenlos Kunst zur Verfügung stellen und dabei gesellschaftliche Debatten aufgreifen. Siegel sagte zu. Die Zusammenarbeit wurde gegen Ende hin sogar so intensiv, dass die Künstler sowohl vorab Drehbücher geschickt bekamen als auch, hin und wieder, die Handlung beeinflussen durften.

Melrose Place war ein sogenanntes "Spin-off", ein Ableger der beliebten Teenieschmonzette Beverly Hills, 90210 für etwas erwachsenere Zuschauer. Wie die Schwesterserie wurde Melrose Place von "Mr. Television" Aaron Spelling produziert, der auch für Starsky & Hutch und Hart aber herzlich verantwortlich war. Aber Melrose Place war wohl die schnulzigste seiner Serien: Ein Drama rund um acht Twentysomethings in Los Angeles, die allwöchentlich neue Liebesaffären, Intrigen und gemeine Racheaktionen erlebten.

Die Serie mit den subversiven Botschaften lief ausgerechnet beim konservativen Sender Fox

Das sensationslüsterne Publikum liebte die Sendung, sieben Staffeln lang lief sie zur besten Sendezeit auf dem konservativen Sender Fox. Und ausgerechnet diese Serie verschickte nun also subversive Botschaften.

Außer der Bettdecke ist in der Ausstellung zum Beispiel auch ein Seesack zu sehen, darauf zu lesen: "Non quaere, non dicere." Das ist die lateinische Variante von "Don't ask, don't tell", also jener Losung innerhalb des US-Militärs, mit der Soldaten bis 2010 daran gehindert wurden, ihre Homosexualität offen auszuleben - in der Serie war Matt, eine der Hauptfiguren, heimlich mit einem Marineoffizier liiert.

Ein Quilt zeigt die molekulare Struktur von Mifepriston, allgemein bekannt als Abtreibungspille - bis heute ein Tabuthema im US-Fernsehen. Auf einer Müslipackung kann, wer genau hinsieht, eine Botschaft lesen: "Häusliche Gewalt gibt es in einer von drei Beziehungen" heißt es dort. Und auf einem Foto des Terroranschlags in Oklahoma City im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen starben, hat das Loch im Murrah Federal Building die Form einer Wodkaflasche der Marke Absolut, deren Werbeanzeigen zu der Zeit sehr beliebt waren.

"Die Kultur in Amerika wird geformt durch die Dinge, mit denen wir uns beschäftigen", sagte Chin kürzlich im Interview mit dem Sender CNN. Oft würden Menschen so handeln, wie sie es aus dem Fernsehen kennen. Da habe er sich gefragt: "Wäre es nicht großartig, komplizierte Dinge sagen zu können, ohne dem Inhalt zu schaden? Es bleibt weiterhin eine Seifenoper, aber ist gleichzeitig ein zutiefst konzeptionelles Projekt."

In der Ausstellung können die Besucher die Vorschläge des Gala-Kollektivs zu einzelnen Werken nachlesen. In einer Szene bringt eine Figur Essen vom China-Restaurant in einer Papiertüte mit chinesischen Schriftzeichen mit. In Mandarin steht auf der Tüte: "Menschenrechte". In dem Vorschlag an die Set-Designerin heißt es, dass es sich um eine "relevante Idee" handle. Denn die Begriffe wurden in China zu dieser Zeit häufig benutzt, wenige Jahre nach dem Tian'anmen-Massaker.

Selbst der Produzent wusste lange nichts von der Aktion

Die Idee zu der Aktion hatte Chin, als er mit dem Flugzeug über Los Angeles flog. Ihm kam es so vor, als befände sich die ganze Stadt in der Luft; in Form von Elektro-Signalen, die über die Fernseher einen Weg in jede Wohnung fanden. Da fiel ihm auf, dass Requisiten der beste Weg sein könnten, um Botschaften zu platzieren.

Dass eine Kunstaktion dieser Größe heute noch stattfinden könnte, dürfte unwahrscheinlich sein. Zum einen werden mittlerweile gezielt sogenannte Ostereier in Serien versteckt: Kleinigkeiten, die sich nur den aufmerksamsten Zuschauern erschließen. So verbirgt sich in der Serie Mr. Robot hinter jeder IP-Adresse, die der Hacker in seinen Rechner tippt, eine tatsächliche Webseite. Zum anderen werden im Netz einzelne Serienfolgen oft Bild für Bild diskutiert. Ein Schild wie das aus der Ausstellung, auf dem "schöne, neue Familie" steht und in den Umrissen klar ein Kind mit zwei Männern als Eltern zeigt, würde da nicht lange unerkannt bleiben.

Dem Produzenten Spelling, der eigentlich als sehr aufmerksamer Zuschauer beschrieben wird, blieb die Kunstaktion lange verborgen. Erst als er die Umrisse der Wodkaflasche erkannte, erfuhr er von der Aktion - die er weiterlaufen ließ, solange sie subtil blieb. Dass das Projekt nach zwei Jahren endete, war denn auch nicht seine Entscheidung, sondern die der Künstler: Der ständige Druck durch die wöchentliche Deadline - die Kerneigenschaft des Serienfernsehens also - hatte sie ermüdet.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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