Ferdinand von Schirach::"Menschen mögen elegante Verbrechen"

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Starverteidiger und Autor Ferdinand von Schirach über Unsinn in Fernsehkrimis, Leichenschauen und die Rolle der Medien bei Prozessen.

Christina Maria Berr

In der Raucherlounge des Hotels Vierjahreszeiten in München sitzt der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach. Sein prominentester Fall: Er war Verteidiger von Günter Schabowski im Prozess gegen das DDR-Politbüro. Neben ihm ein Laptop, auf dem 5000 Fotos von Leichen gespeichert sind. Zwischendurch bekommt er eine SMS und ruft zurück. Ein neuer Fall? Er nickt. Mehr ist ihm dazu nicht zu entlocken. Käme nun ein Gentleman mit Schusswaffe im Spazierstock durch die Tür, man würde sich nicht wundern.

5000 Leichenbilder auf dem Laptop: Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, der oft medienträchtige Fälle vertritt. (Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Von morgens bis abends umgeben von Schwerkriminellen - ist denn das auszuhalten?

Ferdinand von Schirach: Natürlich. Es gibt nichts interessanteres als den Menschen - und wo schaut man in einem Menschen tiefer rein als in der Strafverteidigung? Bei Verbrechen wird die Grenze des gefestigten Lebens dauernd überschritten.

sueddeutsche.de: Verraten denn die Täter Ihnen Ihr Wissen?

von Schirach: Bei Indizienprozessen möchte ich die Wahrheit oft nicht wissen. Das kann in der Verteidigung behindern. Da ist die einzig relevante Frage, ob das Material, das die Staatsanwaltschaft zusammengetragen hat, für eine Verurteilung reicht oder ob es nicht reicht. Im Übrigen kann es sein, dass der Mandant nicht die Wahrheit sagt. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft jemand zur Polizei rennt und etwas gesteht, das er nicht getan hat.

sueddeutsche.de: Warum macht man das?

von Schirach: Um einmal selbst in der Öffentlichkeit zu stehen. Oder er findet es toll, dass sich die Polizei um ihn kümmert und ihn ernst nimmt.

sueddeutsche.de: Die fühlen sich durch Berichte in den Medien inspiriert?

von Schirach: Fernsehberichte fördern ja leider in jeder Hinsicht Nachahmungseffekte. So hatte ich auch bei diesem Holzklotzfall große Sorge, dass es viele Nachahmer geben würde. Es gab sie. Das ist schrecklich. Aber die Lösung kann natürlich nicht sein, dass nicht berichtet wird. Mir scheint, dass es einfach keine Lösung gibt.

sueddeutsche.de: Sind die Medien für Strafprozesse eine wichtige Instanz?

von Schirach: Die beobachtende Rolle der Medien ist absolut wichtig. Wir haben in unserer Rechtsgeschichte lange darum gekämpft, dass die Medien bei Prozessen anwesend sein dürfen und die Hauptverhandlung öffentlich ist. Früher gab es Geheimprozesse hinter verschlossenen Türen. Das hatte unglaubliche und willkürliche Urteile zur Folge. Leider kommen Pressevertreter heute oft nur zur Verlesung der Anklage und zum Urteil. Beides ist ja meistens langweilig und sagt wenig über die eigentlich interessanten Dinge. Alles Wichtige passiert in der Beweisaufnahme dazwischen - und zwar nur da.

sueddeutsche.de: Auch die Staatsanwälte haben mittlerweile die Medien für sich entdeckt, kommentieren laufende Prozesse und geben Interviews.

von Schirach: Wenn Staatsanwälte an die Öffentlichkeit gehen, ist das immer unglücklich. Der Druck durch die Medien ist mittlerweile groß. Früher war die Presse damit einverstanden, wenn der Staatsanwalt sagte: "Die Ermittlungen dauern an." Heute kommen sofort weitere Fragen. Aber die Staatsanwaltschaft sollte neutral bleiben und sich auf das Nötigste beschränken. Sie ist keine Partei und alles in der Öffentlichkeit wirkt zumindest parteilich.

sueddeutsche.de: In dem Fall um den Psychotherapeuten, der Patienten mit Psychopharmaka getötet haben soll und den Sie vertreten, sind viele Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit gelangt.

von Schirach: Sie haben recht, da wurde fast die ganze Ermittlungsakte in der Boulevardpresse publiziert. Das Leck war aber vermutlich nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei der Polizei. Einige Polizisten haben sich ja sogar vor laufenden Kameras geäußert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, inwiefern die Darstellung in den Medien einen Prozess entscheiden kann.

sueddeutsche.de: Wenn Sie als Strafverteidiger an die Öffentlichkeit gehen, ist das in Ordnung?

von Schirach: Ja. Ein ordentlicher Strafverteidiger ist uneingeschränkt parteiisch und hat - auch in den Medien - ausschließlich die Rolle des Mandanten zu vertreten.

sueddeutsche.de: Da kann es sein, dass Sie von Unschuld sprechen - wider besseres Wissen?

von Schirach: Der Mandant ist unschuldig, bis ein Gericht seine Schuld festgestellt hat. Es ist immer unschön, wenn sich ein Verteidiger, wie zum Beispiel bei Markus Gäffgen, dem Mörder des Bankiersohns Jakob von Metzler, von seinem Mandanten öffentlich distanziert und ihn in einer Talkshow für schuldig erklärt. Niemandem hilft so etwas.

sueddeutsche.de: Kann die Darstellung in den Medien prozessentscheidend sein?

von Schirach: Normalerweise nicht, denn bei uns finden Prozesse vor Gericht statt und zwar nur dort und nicht in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite gibt es trotzdem Verfahren, in denen man durch die Presse etwas erreichen kann. Im Politbüroprozess um Krenz, Schabowski und anderen spielten die Medien zum Beispiel eine Rolle.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

von Schirach: Sie haben die Stimmung beeinflusst. Bei einem solchen - allerdings einmaligen - Prozess ist das, was die Presse denkt, für das Gericht nicht ganz unwichtig. Hätten alle geschrieben, es sei falsch, dass man den ehemaligen SED-Generalsekretär Egon Krenz jetzt noch anklagt, hätte das vielleicht auf das Gericht Einfluss gehabt. Aber, wie gesagt, das war ja ein Ausnahmefall von politischer und gesellschaftlicher Relevanz.

sueddeutsche.de: Und wie ist es sonst?

von Schirach: Wenn Sie einen ganz normalen Mordprozess haben und die Zeitung mit den großen vier Buchstaben schreibt, wie grässlich die Frau zerschnitten worden ist, das interessiert vor Gericht in der Regel niemanden.

sueddeutsche.de: Die Leser interessiert gerade das sehr.

von Schirach: Deshalb steht's ja in der Zeitung, deshalb sind für die Medien besonders grausame und blutige Fälle interessant. Genauso wie Straftaten, die gesellschaftlich relevant sind - oder solche, die etwas vollkommen Außergewöhnliches haben und nicht unter die normale Kriminalität fallen und natürlich die Heldenfälle.

sueddeutsche.de: Heldenfälle?

von Schirach: Ja, es gibt beispielsweise eine gewisse Sympathie für Bankräuber. Er wird oft als Robin Hood gesehen, obwohl das natürlich Unsinn ist. Dagobert war beispielsweise so ein Fall. Die Leute mochten, wie er die Polizei foppte. Die Menschen mögen elegante Verbrechen. In Wirklichkeit gibt es sie kaum, die meisten Verbrechen sind hässlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Obduktion vom Drehbuch unterscheidet.

sueddeutsche.de: Was fasziniert uns denn an einem Verbrechen?

von Schirach: Ich glaube, es ist so eine Stellvertretergeschichte. Nicht wir, ein anderer begeht das Verbrechen. Wir liegen unter der warmen Bettdecke, sehen uns das im Fernsehen an oder lesen einen Krimi und können uns ein wenig gruseln. Es ist ungefährlich, aber aufregend. Es ist das Gegenteil unseres normalen Lebens. Wer hat sich nicht einmal einen ganz perfekten Bankraub oder den perfekten Mord überlegt?

Unsere eigene Welt ist meistens ziemlich langweilig, alles ist festgelegt. Schon wenn man morgens in die S-Bahn einsteigt, gibt es zwanzig Verbotsschilder und die in allen Sprachen. Alles in unserem Leben scheint verboten. Sie dürfen nicht rauchen, nicht die Fenster öffnen oder nicht die Fenster schließen, Sie müssen den Müll trennen, sich anschnallen, nicht beim Fahren telefonieren, Sie müssen bei Rot halten, dürfen nur an bestimmten Stellen parken und so weiter. Bis die meisten von uns an ihrer Arbeitsstelle morgens angekommen sind, mussten sie 100 Ge- und Verbote beachten.

Der Verbrecher hält sich an all das nicht. Er ist frei, so kommt es uns vor. Er ist zügellos. Das fasziniert uns, wir wissen, dass er scheitert, wir sehen ihm gerne zu. Ich hatte mal einen Mandanten, der wegen Mordes angeklagt war. Er saß in einer Verhandlungspause hinter der Panzerglasscheibe im Gerichtssaal und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte eine lange Haftstrafe zu erwarten und saß bereits sieben Monate im Gefängnis. Der Wachtmeister lief auf ihn zu und sagte: "Sie dürfen hier nicht rauchen!" Mein Mandant antwortete: "Was wollen Sie machen? Wollen Sie mich verhaften?"

sueddeutsche.de: Die Faszination an Verbrechern und ihren Grenzüberschreitungen greifen TV-Krimis auf. Sind dort Gerichtsdarstellungen realistisch?

von Schirach: Oft schreiben Drehbuchautoren von anderen Drehbuchautoren ab. Zum Beispiel hat kein Richter in Deutschland ein Hämmerchen, um für Ruhe zu sorgen. Und es gibt auch keinen Strafverteidiger, der aufsteht und zu einem Zeugen geht, um ihn zu befragen und anzuschreien. Der Anwalt sitzt auf seinem Platz und da bleibt er auch. Auch die Dramatik in den Prozessen ist meist eine völlig andere, sie ist schwierig zu zeigen. Und natürlich ist das Problem die falsche Gewaltdarstellung: Wenn Sie jemandem mit dem Baseballschläger auf den Kopf hauen, dann fällt der um und ist in der Regel tot.

sueddeutsche.de: Im TV steht er nach zwei Minuten wieder auf und kämpft weiter?

von Schirach: Genau. Wenn Sie aber mal bei einer Obduktion waren, wenn Sie sehen, wie dem Toten die Kopfhaut abgezogen wird, wenn Sie dabei die schmatzenden Geräusche hören, wenn Sie die Lunge vor sich liegen sehen oder das Projektil, das in einer Schüssel liegt, dann hat das mit TV-Krimis nichts mehr zu tun.

Die Obduktion ist nicht mit Musik unterlegt, es gibt dort keine Witzchen der Gerichtsmediziner. Alles geht ziemlich lange, das Blut wird mit Schöpfkellen dem Körper entnommen, die Organe werden gewogen, sie liegen in Edelstahlbecken. Das Herz eines Toten hat nichts Romantisches. Sie sehen überdeutlich die Haare des Opfers, hören Worte wie Kopfschwarte oder Schmiere, Sie sehen den Mageninhalt, alles riecht grauenhaft. Der Fernsehabend geht weiter - aber in Wirklichkeit ist der Tote tot. Nicht für zehn Minuten bis zur Werbepause. Er ist es für immer.

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