Fall Wulff im Fernsehen:Es hätte schlimmer kommen können

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Drinnen die Wulffs, draußen die Meute: Anja Kling und Kai Wiesinger spielen das Bundespräsidentenpaar in den letzten 68 Tagen im Amt. Möglich, dass Wulffs Anwälte klagen, der Produzent sieht da "drei, vier Einflugschneisen". (Foto: © SAT.1/ Stefan Erhard)

In Hannover steht der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff noch immer vor Gericht. Ein Fernsehfilm versucht sich nun an einer Deutung seines Untergangs. Erstaunlich, wie viel die Autoren dabei richtig gemacht haben.

Von Marc Widmann

Wenn Christian Wulff, zehnter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, dieser Tage in den Nachrichtensendungen erscheint, dann steht er vor einem Gerichtsgebäude in Hannover und betont eisern lächelnd seine Unschuld. Dann geht er festen Schrittes über den Gerichtsflur. Oder er steht drinnen im Saal vor der Anklagebank, steht so lange, hager und ergraut, bis alle Kameraleute aus dem Saal gegangen sind. Dieses Bild sollen sie nicht auch noch kriegen, Wulff auf der Anklagebank. Dieses nicht. Sein Prozess wird demnächst enden, im Februar womöglich, dann ist es vorbei. Fast.

Am 25. Februar will der Privatsender Sat 1 um 20.15 Uhr noch einmal die Zeit zurückdrehen. Er zeigt den Film Der Rücktritt, ein Dokudrama über Wulffs letzte 68 Tage im Amt, einen Film mit Spielszenen und dazwischen geschnittenem Originalmaterial.

Oh je. Wenn der Sender dieser Tage zum "Screening" seines "TV-Events" in einem Hamburger In-Hotel lädt, zur ersten Pressevorführung also, dann ist man auf das Schlimmste gefasst. Noch mal ein paar billige Scherzchen über den Upgrade-Präsidenten? Sexszenen im Schloss Bellevue? Oder stattdessen billige Medienschelte? Es ist ein Film, bei dem man ziemlich viel falsch machen kann. Umso erstaunlicher ist es, wie viel die Filmautoren am Ende richtig gemacht haben.

Der Anfang verleitet noch zum Wegzappen, man sieht den Schauspieler Kai Wiesinger am Schreibtisch im Schloss Bellevue, aber Christian Wulff erkennt man in ihm kaum. Vor ihm steht eine überdrehte Fotografin, knipst und flötet: "Das Staatstragende nicht vergessen!" Ja, so stellt man sich einen TV-Event vor. Aber es wird besser.

Regisseur und Autor Thomas Schadt ist eigentlich ein Dokumentarfilmer, kein TV-Event-Macher. Er hat ordentlich recherchiert, den Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer als Berater verpflichtet und Gespräche mit allen Beteiligten geführt, die er sprechen konnte. Er hat Wulffs Fall als Eingeschlossenen-Drama verfilmt. Drinnen die Wulffs, abgehoben von der Welt, man sieht sie nur im Schloss mit seinem glänzenden Parkett, in glänzenden Hotel-Suiten, in der glänzenden Staatskarosse. Die Welt bleibt draußen und wird zusehends fremd, bedrohlich, unheimlich.

Man sieht, wie die Menschen drinnen unter immer größerem Druck stehen, wie Nähte zu platzen beginnen, auch im Zwischenmenschlichen, wie es immer kälter wird. Der eisigste Moment ist wohl, als Wulff seinen treuen und langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker feuert, weil der nun auch noch ins Visier von Reportern geraten ist. Sein Amtsleiter fragt Wulff nur, für wann er die Pressemitteilung vorbereiten solle. Für 14 Uhr, sagt Wulff. Ob er Glaeseker noch einmal sprechen wolle? Wulff schüttelt den Kopf. Und sagt kein Wort. Ein Moment unglaublicher Feigheit. Nein, man hat nach solchen Szenen kein Mitleid mehr mit dem Bundespräsidenten.

"Es gibt in diesem Film kein Gut und Böse", sagt Schadt, "es gibt Ambivalenzen." Man sieht einen Bundespräsidenten, der andere eiskalt abserviert und am Schluss selbst abserviert wird, auch wegen eigener Fehler. Es gibt Momente voll Wahrheit, zum Beispiel ein Zornausbruch des eben entlassenen Sprechers Glaeseker, wie er den auf großartige Weise knochentrockenen Amtschef anbrüllt: "Christian ist unbelehrbar, er glaubt, dieses Herrschaftswissen zu besitzen, das hat ihm schon in Hannover keine Freunde gemacht. Das Amt hat ihn verdorben - und wer sagt ihm das? Sie nicht. Und ich auch nicht."

Oder dieser Satz von Bettina Wulff, die in diesem Film von Anja Kling gar nicht tough und berechnend, sondern einsam und waidwund gespielt wird: "Die ganze Welt redet über uns, und wir reden nur noch mit unseren Anwälten."

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Im Grunde kommt niemand gut weg, natürlich auch die Journalisten nicht, der schmierige Bild-Chefredakteur (Hans-Jochen Wagner) mit seinen unappetitlichen Haaren, die selbstverliebten echten Talkshow-Pfaue, ähnlich unappetitlich. In kleinen Häppchen sind sie immer wieder dazwischen geschnitten, sie wirken wie ein Angriff einer außerirdischen Macht auf das Schloss Bellevue. Doch Regisseur Schadt hat sich aus gutem Grund die Zeit genommen, alle Vorwürfe gegen Wulff noch einmal zu benennen. Er will nicht den Eindruck erwecken, dass hier jemand grundlos sein Amt verlassen musste.

So ist es am Ende ein Film geworden, dessen Atmosphäre sich langsam aufbaut, bis sie den Zuschauer irgendwann tatsächlich gepackt hat, ganz ohne Sexszene übrigens. Mag sein, dass Wulffs Anwälte klagen werden gegen die privaten Passagen, es gebe da "drei, vier Einflugschneisen", gibt Produzent Nico Hofmann zu. Andererseits habe man sich ziemlich gut abgesichert, nicht zuletzt dank der vielen Interviews, die Bettina Wulff gegeben hat.

Zur Premierenfeier in Berlin sind Christian und Bettina Wulff übrigens ausdrücklich eingeladen. Sie können sich den Film ruhig anschauen. Es hätte schlimmer kommen können. Viel schlimmer.

© SZ vom 14.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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