Fall Kachelmann: Streit um die Pressefreiheit:Raufende Ermittlungen

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Wer es mit Kachelmanns Medienanwalt zu tun bekommt, dem droht auch mal eine einstweilige Verfügung. Doch wer darf eigentlich was berichten? Für Journalisten wird die Arbeit immer komplizierter.

W. Janisch

Das Problem der medialen Vorverurteilung ist nicht erst durch Jörg Kachelmann zum Thema geworden, aber der schillernde Fall verdeutlicht die Spannungslage zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz wie kaum ein anderer. Ein prominenter Wetteransager, ein schwerwiegender Vorwurf, ein dringender Verdacht: Dass darüber geschrieben werden darf, steht zwar außer Zweifel. Doch was und wie berichtet werden darf, darüber wird heftig gestritten.

Wer es mit Kachelmanns Medienanwalt zu tun bekommt, dem droht auch mal eine einstweilige Verfügung. Doch wer darf eigentlich was berichten? Für Journalisten wird die Arbeit immer komplizierter. (Foto: ap)

Das gilt schon für die erste Mitteilung. Am 22. März meldete die Staatsanwaltschaft Mannheim, nachdem bereits Journalisten explizit nach Kachelmann gefragt hatten, Ermittlungen "gegen einen 51-jährigen Journalisten und Moderator" wegen des Verdachts der Vergewaltigung - und dessen Festnahme am Frankfurter Flughafen. Ein paar Nachfragen, und der Name war öffentlich. Selbst der Berliner Medienanwalt Christian Schertz - scharfer Kritiker einer offensiven Informationspolitik der Staatsanwaltschaften - räumt ein, dass es in solchen Fällen eine "normative Kraft des Faktischen" gibt: Anonymität ist dann praktisch nicht mehr zu gewährleisten.

Auch rechtlich wäre dagegen wohl nichts zu machen. Vergangenes Jahr hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt, dass der Name eines vergleichsweise unbekannten, wegen Vergewaltigung verurteilten Ex-Fußballprofis in den Medien genannt wurde. "Wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird", heißt es in dem Beschluss.

Allerdings macht das Gericht eine deutliche Zäsur: Vor einem gerichtlichen Schuldspruch werde oft das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegen, nach dem Urteil hält Karlsruhe die Namensnennung bei gravierenden Straftaten in der Regel für zulässig. Doch auch im Ermittlungsverfahren dürfen mitunter Namen genannt werden, etwa wenn der Verdächtige wegen seiner "Prominenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht".

Kampf um jedes Detail

Überhaupt halten Verfassungsgericht und Bundesgerichtshof (BGH) normalerweise die Fahne für die Pressefreiheit hoch. Der BGH etwa hatte 2005 entschieden, dass über die Raserfahrt von Ernst August von Hannover auf einer französischen Autobahn durchaus berichtet werden durfte - zumal er da bereits durch "mehrere Verfehlungen" aufgefallen sei. Und die Verfassungsrichter stellten im Fall des Ex-Fußballers klar, der "Schutz der Intimsphäre" errichte keine Sperre für die Medien, wo es um einen gewalttätigen Übergriff in die sexuelle Selbstbestimmung gehe. Übrigens auch nicht für die Beziehung des Täters zum Opfer.

Dennoch ist das Klima für die Medien rauer geworden, wenn sie über laufende Ermittlungen berichten. Das liegt auch daran, dass dort ein Geschäftsfeld für Medienrechtsanwälte entstanden ist, die auf der Seite der Betroffenen agieren. Promi-Anwalt Matthias Prinz war ein Wegbereiter, Christian Schertz in Berlin und Michael Nesselhauf in Hamburg gehören zu den aktivsten Klagevertretern.

Häufiger Kritikpunkt ist die Prangerwirkung von Bildern. Ralf Höcker, der Medienanwalt Kachelmanns, findet es "skandalös", dass die Kamerateams seinen Mandanten im Hof des Mannheimer Amtsgerichts filmen durften, auch wenn Kachelmann - vielleicht notgedrungen - zugestimmt haben soll. Höcker: "Ich sehe da eine Schutzpflicht von Gericht und Staatsanwaltschaft." Ein Punkt, den auch Staatsanwälte so sehen. "Selbst wenn er dem zugestimmt hätte, muss man den Beschuldigten vor sich selbst schützen", sagte der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger vor kurzem zu Kachelmanns medialem Kurzauftritt.

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Juristisch hart gekämpft wird neuerdings aber auch über nahezu jede Einzelheit im Zusammenhang mit den Ermittlungen. Höcker hat eine ganze Reihe einstweiliger Verfügungen erwirkt, gegen Focus, Bild und Bunte, gegen Schweizer Blätter, auch gegen die Süddeutsche Zeitung. Er ließ private Fotos des Wettermanns untersagen, seinen SMS-Verkehr mit einer angeblichen Geliebten - und Details aus den Ermittlungsakten.

Spätestens an diesem Punkt wird die Rechtslage vollkommen undurchschaubar. Zwar dürfen die Medien über einen Fall von öffentlichem Interesse normalerweise berichten, wenn sie einen "Mindestbestand an Beweistatsachen" vorweisen können - wenn also der Verdacht Hand und Fuß hat. Allerdings hat das Landgericht Köln der Zeitschrift Focus untersagt, solche "Beweistatsachen" aus den Kachelmann-Ermittlungen zu nennen, und zwar mit der juristisch bislang einzigartigen Begründung, es gebe kein Einsichtsrecht der Medien in die Akten. Weil Focus und Kachelmann den Streit inzwischen einvernehmlich beigelegt haben, wird die seltsame Argumentationslinie nicht von einer höheren Instanz überprüft werden. Aber der Fall illustriert, dass die Medien auf dem juristischen Drahtseil balancieren.

"Man muss in jedem Einzelfall abwägen, ob ein bestimmtes Detail noch für die Berichterstattung erforderlich ist", erläutert die Hamburger Rechtsanwältin Dorothee Bölke. Doch was ist "erforderlich"? Dass bei der Tat ein Messer eine Rolle gespielt haben soll? Das wurde per einstweiliger Verfügung untersagt. Und was ist mit dem Umstand, dass Kachelmann angeblich eine ganze Reihe Geliebter gehabt haben soll? Irrelevant für den Vergewaltigungsvorwurf? Oder relevant für die These, es könnte sich um einen Racheakt des Opfers gehandelt haben?

Erhöht wird die Unsicherheit für die Medien durch eine prozessrechtliche Besonderheit, den "fliegenden Gerichtsstand". Dahinter verbirgt sich kein orientalisches Märchen, sondern die Wahlfreiheit der Anwälte, an welches Gericht sie ihre Klage adressieren. Wurde der Artikel bundesweit verbreitet, kann die "Verletzung" des Persönlichkeitsrechts nämlich überall eingetreten sein. Beliebt bei Klägeranwälten sind etwa die Pressekammern in Hamburg und Berlin - auch wenn Schertz deren angebliche Einseitigkeit zulasten der Presse als "völligen Quatsch" bezeichnet. Jedenfalls bei der "Verdachtsberichterstattung", so hat der Münchner Anwalt Stefan Söder beobachtet, beiße man sich in Hamburg die Zähne aus. "Da kann man fast nichts machen."

© SZ vom 15.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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