Eurovision Song Contest:Kein Selbstläufer

Eurovision Song Contest 2015 - Unser Song fuer Österreich Ann Sophie

Es ist nicht lange her, da machte Ann Sophie Straßenmusik in New York. Am 23. Mai werden ihr Millionen beim "ESC" aus Wien zuschauen.

(Foto: Nigel Treblin/Getty Images)

Ann Sophie Dürmeyer wollte immer ihre eigene Musik machen. Jetzt ist ausgerechnet sie die deutsche Kandidatin beim großen Song-Wettbewerb.

Von Thomas Hahn

Die Eltern hatten früh ein Ohr für die kraftvolle Leichtigkeit und Tiefe, die in der Stimme ihrer Tochter Ann Sophie lag. Und bald kam aus der Familie die Idee, Ann Sophie solle sich bei der Casting Show The Voice bewerben. Aber Ann Sophie wollte nicht zu einer Casting Show. Sie wollte sich nicht in eine Fernsehkulisse stellen und etablierte Lieder singen. Sie wollte mit ihren eigenen Noten bestehen, mit ihren eigenen Versen. "Ich will ich sein", sagte sie - und blieb in ihrer Welt. Bis sie eines Tages im Auto saß und Radio hörte. "Ihr könnt euch mit eurem eigenen Song für das Club-Konzert zur Ausscheidung für den Eurovision Song Contest in Wien 2015 bewerben", sagte das Radio.

"Hm", dachte Ann Sophie. "Trauste dich das? Vielleicht solltest du das mal machen. Okay, ich mach's."

Und jetzt, ein gutes halbes Jahr später, hat Ann Sophie Dürmeyer aus Hamburg, 24, tatsächlich die Chance, hineinzuwachsen in den umkämpften, eitlen, faszinierenden Bühnenbetrieb des Popmusik-Geschäfts. Denn nachdem sie damals mit zitternden Händen und vager Hoffnung den Umschlag mit dem Video von ihrer Eigenkomposition "Get Over Yourself" in den Briefkasten geworfen hatte, hat sich alles zum Besten gefügt: Annahme beim Club-Konzert in Hamburg. Gewinn der Wildcard für die Ausscheidung zum Eurovision Song Contest (ESC). Kür zur deutschen Vertreterin in Österreichs Hauptstadt am 23. Mai. Millionen Menschen in ganz Europa werden zuschauen - und mitabstimmen können. Plötzlich ist sie wer. Reist rum, singt im Fernsehen, hat eilig ein Album eingespielt, bekommt die Aufmerksamkeit, die sie immer wollte.

Kann schon sein, dass jemand findet, der Aufstieg der Dürmeyer habe einen Haken, weil sie im März, bei der Ausscheidung für Wien, ja erst aufrückte, nachdem der Tagessieger Andreas Kümmert die Publikumswahl abgelehnt hatte. Aber das ist Ann Sophie Dürmeyer erstens egal. Zweitens würde das ihrer Geschichte nicht gerecht, wenn man sie auf den Rückzug eines Sängers reduzieren wollte, der sich offenbar vor dem vereinnahmenden ESC-Wahnsinn fürchtet. Ann Sophie Dürmeyer hat bisher eher wenig geschenkt bekommen. Sie ist eine von denen, die keine noch so kleine Bühne scheuen, um von ihrer Leidenschaft leben zu können. Sie spürt ihr Talent und leitet einen Auftrag daraus ab. "Ich muss singen", sagt sie, und das "muss" spricht sie so, als würde sie es in Versalien setzen: "Ich MUSS singen."

Ann Sophie Dürmeyer sitzt in einem Café in Hamburg-Winterhude. Ihre zierliche Statur steckt in einem hellen Blazer und ihr Gesicht ist um ein paar Farbtöne sanfter geschminkt als bei ihren großen Auftritten. Sie strahlt eine bürgerliche, pastellfarbene Eleganz aus, die ein bisschen von ihrem Kampfgeist ablenkt. Aber wenn sie davon erzählt, wie sie versuchte, sich ein Profil als Künstlerin zu verschaffen, öffnet sich das Tor zu einer Ann-Sophie-Welt, in der es keine Illusionen gibt, keine Allüren und keine Selbstläufer.

Die Bühne hat sie schon als kleines Ballettmädchen geliebt. Jede Chance hat sie genutzt, um auf eine Bühne zu kommen, von Musical-Aufführungen mit der Schule bis zum Rothenburger Kartoffelfest. Dass sie Sängerin werden wollte, stand für sie schon mit 14 Jahren fest, und nach dem Abitur machte sie sich auf den Weg: Bewerbung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute auf Empfehlung ihrer Gesangslehrerin. Umzug nach New York.

Am Anfang ist sie dort mit der Gitarre herumgezogen. Es war Winter. Sie spielte in den Straßen des West Village, sie spielte in U-Bahn-Stationen und -Zügen. Manchmal warf ihr jemand Geld in die Mütze, und wenn der Hintern auf dem harten Boden kalt wurde, zog sie weiter. Sie tanzte mit Straßen-Breakdancern. Nachts klapperte sie die Bars ab, um dort zu singen. "Wenn du nicht fragst, kannst du auch kein Ja kriegen", sagt Ann Sophie Dürmeyer. Also fragte sie. In einer Bar lernte sie den Saxofonisten und Musikproduzenten Richie Cannata kennen. Sie zeigte ihm ihre Songs. Einer davon war "Get Over Yourself". Cannata gefiel das Lied, er vermittelte ihr eine Möglichkeit, es aufzunehmen.

Und dann: die Schauspielschule. Zwei intensive Jahre mit 15-Stunden-Tagen und Strasbergs Lehre vom Method Acting, nach der Schauspieler Gefühle nicht nur spielen, sondern sie aus persönlichen Erinnerungen hervorholen, um sie im Rahmen der Rolle selbst empfinden zu können. Es war lehrreich und hart. "Da gibt es Tage, an denen du denkst, jetzt reicht's, jetzt hab' ich keine Lust, was zu fühlen."

Sie hatte danach noch ein paar unergiebige Einsätze als Komparsin beim Fernsehen, bei denen ihr klar wurde, wie kompliziert es ist, in der Masse der Begabten als jemand Besonderes erkannt zu werden. "Dich gibt's in New York tausendmal", sagt sie. Sie kehrte nach Hamburg zurück, und sie müsste lügen, wenn sie sagen sollte, dass alles gut war. "Musik ist so ein schwerer Weg." Plan B war schon gefasst: Für Mai hatte sie ein Praktikum am Universitätsklinikum Eppendorf. Die Nominierung für den ESC kam dazwischen, der Rummel, die PR-Tour. Die Wende? Ann Sophie Dürmeyer sagt jedenfalls: "Ich mag das, wie es jetzt ist, selbst wenn es viel ist."

Die Frage ist nur, wohin sie diese Welle trägt, die sie gerade reiten darf. Bringt der ESC was? Oder ist er nur ein Sprungbrett, von dem aus die Hoffnungsvollen bald in ein tiefes Loch fallen? Dass die früheren ESC-Starter allesamt zu Stammspielern im Bewusstsein der Leute geworden wären, kann keiner sagen. Lena Meyer-Landrut, die ESC-Gewinnerin von 2010, war zuletzt regelmäßig im Fernsehen als Jury-Mitglied bei The Voice Kids. Von den anderen hört man weniger. Andererseits: Was heißt das schon? "Was ist Aufmerksamkeit?", fragt Ela Steinmetz vom Frauen-Trio Elaiza, das beim ESC 2014 mit seiner Eigenkreation "Is It Right!" Platz 18 für Deutschland erzielte: "Die Wahrnehmung der Medien ist so komisch."

"Ich möchte nicht verformt werden. Ich habe auch was zu sagen!"

Elaiza ist nicht mehr so gefragt wie in den Wochen vor dem ESC, natürlich nicht. Aber Singer/Songwriterin Steinmetz, Natalie Plöger (Kontrabass) und Yvonne Grünwald (Akkordeon) haben auch nicht den Eindruck, in die Anonymität zurückgestürzt zu sein. Elaiza ist eine Selfmade-Band, auch Ela Steinmetz und die anderen haben einst jede Chancen zum Musizieren genutzt, auch sie kamen über eine Wildcard in die Vorausscheidung. Der ESC war für sie die Bühne, die sie brauchten, um bekannt zu werden. "Es ist extrem schwer, Gehör zu finden", sagt Ela Steinmetz. Über den ESC hat das geklappt, durch den Start dort können die drei Frauen jetzt das machen, was sie machen wollen: ihren leicht schrägen Folk-Pop. "Für uns war das ein Startschuss, und jetzt geht es weiter", sagt Ela Steinmetz. Mit 47 000 Likes auf Facebook, Aufnahmen für das eigene kleine Label, einem vollen Konzertkalender und Highlights wie dem Silvester-Konzert mit 200 000 Zuhörern in Breslau. Ela Steinmetz ist dankbar dafür.

"Es wird dich niemand entdecken", sagt Ann Sophie Dürmeyer. "Das gibt es nicht. Man muss dafür kämpfen." Und mehr denn je hat sie den Eindruck, dass sich dieser Kampf lohnt. Sie hat diesen Anspruch in sich, kein beliebiges Pop-Sternchen zu sein. "Ich möchte nicht verformt werden. Ich habe auch was zu sagen!" Beim ESC tritt sie dennoch mit einer Soul-Nummer an: "Black Smoke" von Michael Harwood, Ella McMahon und Torino Speciale. Ein Zugeständnis sei das, an den Umstand, dass man mit der eigenen Botschaft stecken bleibt, wenn man sich nie auf den Massengeschmack einlässt.

Ann Sophie Dürmeyer mag noch nicht an die Zeit nach dem ESC denken. Alles ist neu und aufregend gerade. Aber sie verbindet eine klare Hoffnung mit dem Start in Wien: "Dass es nicht aufhört danach." Dass sie bekannt genug bleibt, um eine Musikerin mit Publikum zu sein, wenn das große Getöse sich legt.

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